Vermittlungslogischer Universalismus

Janne Mende hat ein notwendiges Buch über kulturrelativistische Begründungen weiblicher Genitalverstümmelung vorgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Treffen Universalismus und Kulturrelativismus aufeinander, so scheinen sie nicht selten einen konträren Gegensatz zu bilden. Jana Mende ist ihrem Verhältnis nun in einer erhellenden Studie „zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus“ auf den Grund gegangen und widerlegt diese Auffassung schlagend. In einem zweiten Abschnitt illustriert sie das zuvor von ihr als „strickte Antinomie“ bestimmte Verhältnis beider anhand der Kontroverse um kulturell begründete Exzisionen weiblicher Genitale. Mende zieht dieses „Beispiel“ heran, da „die Widersprüchlichkeiten der Auseinandersetzungen um universalistische und kulturrelativistische Verfahrensweisen“ zwischen „universalistischen Begründungsstrategien“ und „kulturrelativistischen Einsprüchen“ an ihm besonders deutlich aufgezeigt und behandelt werden können. Tatsächlich bietet dieser zweite titelstiftende Teil allerdings weit mehr als eine bloße Illustration des ersten, in dem die Autorin die „Diskussion um Menschenrechte zwischen Kulturrelativismus und Universalismus“ behandelt, zeichnet er sich doch durch besonderen Kenntnisreichtum und ein geradezu außerordentliches Differenzierungsvermögen aus. Vor allem aber legt Mende sehr überzeugend dar, „auf welche Weise und aus welchen Gründen die Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung/Genitalbescheidung abgelehnt werden kann und muss – ohne dass es sich dabei (in theoretischer Hinsicht) um einen ‚kulturimperialistischen‘ Ansatz handeln muss.“

Im ersten, theoretischeren Teil weist die Autorin aber zunächst einmal nach, dass es weder zielführend ist, das Feld der Kontroverse zwischen „universalistische Begründungsstrategien“ und „kulturrelativistische Einsprüche“ zu verlassen, noch eine „Mittlerposition“ zwischen beiden einzunehmen. Statt sich in eine dieser beiden „Sackgassen“ zu begeben, verspricht sie eine „Verhältnisbestimmung von Kulturrelativismus und Universalismus“ zu entwickeln, die es „erlaubt, mögliche Stärken und Schwächen auf beiden Seiten zu erkennen und zu benennen.“ Tatsächlich leistet sie aber noch einiges – und zwar entscheidendes – mehr, indem sie nachweist, dass und warum einem der beiden Momente des Verhältnisses „ein Vorrang, eine Präponderanz“ zukommt: dem Universalismus.

Zunächst aber zeigt sie, dass Universalismus und Kulturrelativismus nicht nur Elemente des je anderen innewohnen, sondern dass diese jeweils konstitutiv für das je andere Moment sind. So sind Begründungsstrategien universalistischer Menschenrechte „historisch verortet und entwickeln sich kontextspezifisch“. Kulturrelativistische Positionen reklamieren mit dem Anspruch, jeder Kultur sei „Toleranz und Respekt“ entgegenzubringen, ihrerseits eine „universelle Grundannahme“ für sich. Sowohl Universalismus wie auch Kulturrelativismus werfen Mende zufolge „Probleme“ auf, falls sie nicht „auf ihre jeweiligen Vorannahmen und auf ihre inneren Vermittlungen“reflektieren. Diese mangelnde Reflexion führe dazu, dass universalistische Haltungen „Werte, Ideen und Normen zwangsverordnen“ und kulturrelativistische Argumentationen „repressive Praktiken legitimieren“. Indem ein „hypostasierter Kulturrelativismus“ in „Beliebigkeit“ führe, nimmt er Mende zufolge selbst „repressiven Charakter“ an, während ein Universalismus „differenzierten Herrschaftsformen“ gegenüber „blind“ ist, falls er „statisch und abstrakt“ bleibt.

Demgegenüber entwickelt Mende eine „Herangehensweise, die universalistisch den Wert der Verringerung individuellen Leidens auszuweisen erlaubt, dies gesellschaftstheoretisch absichert, dabei kontextsensibel und historisch spezifisch vorgeht und die Gefahr, selbst in eine statische und repressive Konzeption zu entgleiten, reflexiv aufnimmt.“ Hierzu legt sie dem Verhältnis von Universalismus und Kulturrelativismus einen „ scharfen dialektischen Widerspruchsbegriff“ zugrunde, der es ihr erlaubt, das „Vermittlungsverhältnis“ zwischen beiden als „strikte Antinomie“ zu fassen, was besagt, dass „das eine Moment konstitutiv im entgegengesetzten Moment enthalten ist“. Dieses „strikte Dialektikkonzept“ schließt eine „abschlusshafte, statische Bestimmung“ von Universalismus und Kulturrelativismus sowie des Verhältnisses beider zueinander aus. Zugleich aber ermöglicht es, „für den historischen Moment Gültigkeit und Wahrheit allgemeinverbindlich zu beanspruchen“. So verstanden sind universalistische Argumentationen weder „überhistorisch“ noch „zeitlos“, sondern vielmehr per se je in konkrete und besondere Verhältnisse gebettet. Jedoch führt dies keineswegs notwendig zu der Schlussfolgerung, „dass die normative Dimension, die universalistischen Positionen inhärent sind, lediglich kulturell oder historisch relativ sind.“ Nur wenn eine universalistische Haltung um die Bedeutung einer kontextsensiblen Herangehensweise weiß, kann sie „ihren progressiven Charakter aufrechterhalten“, so Mendes Argumentationsgang in Kürze. Nachdrücklich betont die Autorin, dass der Kategorie der Reflexion somit eine „entscheidende Bedeutung“ zukommt.

Eine „vermittlungslogische Herangehensweise“ an das Verhältnis Kulturrelativismus/Universalismus“ wie die ihre kann die „repressiven Fallstricke“ beider „aufheben“. Doch gelingt dies „nicht lediglich durch den Rekurs auf sowohl universalistische als auch kulturrelativistische Elemente innerhalb einer Argumentation“. Ein „kontextsensibler, aber verbindlicher und zugleich universellen Ansprüchen genügender Maßstab für Kritik“ kann erst von einen „vermittlungslogischen Universalismus“ bereitgestellt werden. Dies begründet eine „Verschiebung im Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus“ zugunsten des letzteren. Denn es stehen sich nicht etwa ein „universalistisch vermittelter Kulturrelativismus und ein kulturrelativistisch vermittelter Universalismus äquivalent (und damit in gewisser Hinsicht austauschbar) gegenüber.“

Im Abschnitt zur Exzision weiblicher Genitale fokussiert Mende ihren Blick auf die „hochgradig kontroverse Debatten“ über Kolonialismus, Gesundheit, kulturelle Rechte und den freien Willen. Die Autorin behandelt jeden dieser vier Punkte erschöpfend. Allerdings räumt sie der Frage, wie frei der Wille von Frauen, die der Exzision ihrer Genitale zustimmen oder diese sogar wünschen, tatsächlich ist, aus guten Gründen den größten Raum ein.

Wie sie im Laufe ihrer Untersuchung zeigt, kann sich die kulturrelativistische Forderung, die Kontextualität einer Exzision zu berücksichtigen, der „Überprüfung repressiver Maßnahmen entziehen“, wenn es ihr gelingt, deren „autonomieeinschränkenden Charakter“ auszublenden. Andererseits sind „abstrakt und kontextunsensibel“ erhobene „feministische Forderungen“ sinnlos, da sie Gefahr laufen, die „Lebensrealität“ der betroffenen Frauen zu ignorieren. Erst die „kulturrelativistische Erforschungen der Exzision, die sie eingebettet in ihrem spezifischen Kontext zunächst verstehbar machen“, bieten eine vielversprechende Grundlage dafür, erfolgreiche „(menschenrechtlichen) Abschaffungsstrategien“ zu entwickeln. Dies gilt umso mehr, als eine „ausschließliche Konzentration auf die Beendigung der Exzision zu kurz“ greifen würde, da sich der Eingriff „nur schwerlich aus dem Geflecht von Sinnzusammenhängen und Funktionen herauslösen“ lässt. Vor allem aber blieben die „repressiven sozialen Mechanismen“ unangetastet, wenn nur die Exzision abgeschafft oder „ihre Funktion durch Ersatzhandlungen übernommen“ würde. Eines aber, so zeigt Mende auch, ist den Exzisionen weiblicher Genitale bei allen kulturellen Unterschieden doch gemeinsam: Stets dienen sie der „Herstellung von Identität“.

Mendes literatur- und quellengesättigte Untersuchung versäumt nie, ihre Behauptungen mit dem Hinweis auf eine Belegstelle zu autorisieren. Zweifellos ist dies zu begrüßen. Da dies jedoch im Text selbst geschieht, leidet dessen Lesbarkeit nicht selten darunter. Entscheidend aber ist, dass die Autorin das vermutlich reflektierteste Buch zu seinen beiden Themen, dem Verhältnis von Kulturrelativismus und Universalismus so wie weiblicher Genitalverstümmelung, vorgelegt hat. Ein vergleichbar instruktives Buch hierzu wird sich so schnell nicht finden lassen.

Titelbild

Janne Mende: Begründungsmuster weiblicher Genitalverstümmelung. Zur Vermittlung von Kulturrelativismus und Universalismus.
Transcript Verlag, Bielefeld 2011.
207 Seiten, 28,80 EUR.
ISBN-13: 9783837619119

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