Simulierte SimulantInnen

Maite Katharina Hagen untersucht Verhaltensstrategien und Erzählverfahren im neusachlichen Roman

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Neue Sachlichkeit gehört zu den literarischen Richtungen, die immer mal wieder gerne in Dissertationen und anderen Qualifikationsarbeiten behandelt werden. Nun hat Maite Katharina Hagen mit ihrer Untersuchung der „Verhaltensstrategien und Erzählverfahren im neusachlichen Roman“ der nicht eben kurzen Reihe einschlägiger Veröffentlichungen eine weitere hinzugefügt. Anders als die meisten ihrer KollegInnen legt sie ihrer Arbeit einen denkbar weiten, fast möchte man sagen überdehnten Begriff der Neuen Sachlichkeit zugrunde, und subsumiert auch Werke unter ihn, „die bisher zumeist in andere Kontexte gestellt wurden“. Sie nimmt sogar Arthur Schnitzlers Erzählung „Fräulein Else“ in den Quellenkorpus einschlägiger literarischer Werke auf. Selbstverständlich verzichtet sie auch nicht auf die gängigen Untersuchungsobjekte wie etwa diverse Werke Erich Kästners, Alfred Döblins „Alexanderplatz“ oder Hans Falladas „Kleiner Mann – was nun?“. Ebenso wenig fehlen „Die Verliebten“ von Gina Kaus, Marie Luise Fleißers „Mehlreisende Frieda Geier“, Irmgard Keuns am Ausgang der Weimarer Republik für Furore sorgenden Romane „Gilgi, eine von uns“ und „Das kunstseidene Mädchen“ sowie Vicki Baums Erfolgsroman „Menschen im Hotel“ oder ihre „Komödie aus einem Schönheitssalon“ mit dem Titel „Pariser Platz 13“. Schließlich treten sogar einige weithin vergessene Werke hinzu wie etwa „Das Mädchen George“ und „Drei Tage in Berlin“ von Joe Lederer. Mit ihrer „Öffnung des üblichen Textkorpus“ möchte die Autorin „eine möglichst fundierte Untersuchung“ gewährleisten. Sie gilt der „Simulation als einem im Kontext des Sachlichkeitsdiskurses stehenden Erzählverfahrens“.

Bevor sich Hagen den fiktionalen Werken zuwendet, lässt sie die in den Feuilletons tätigen „Zeitgenossen“ der LiteratInnen zu Wort kommen, um an deren Texten „die modernetypische urbane Wahrnehmungsdisposition sowie Verhaltensstrategien des Großstädters zu eruieren“. Die in den Feuilletons „konstatierten Phänomene“ werden sodann „in ihrer literarischen Verarbeitung“ nachvollzogen.

Hagens grundlegender These zufolge löst „das Simulationsverfahren des neusachlichen Romans“ ein „Spannungsverhältnis“, das sich zwischen Alfred Döblins „Plädoyer für einen entpsychologisierten ‚geschichteten‘ Roman“ einerseits und Siegfried Krakauers Befund der die „Wahrnehmung der modernen Großstadt“ bestimmenden „Überschneidung von Lebens- und Kunstwelten“ andererseits auftut. Hagen untersucht die neusachliche Literatur nun sowohl aus kulturhistorischer Perspektive wie auch narratologisch, „um den Zusammenhang von Dargestelltem und Darstellung unter dem Begriff der Simulation zu konkretisieren“.

Hierzu analysiert sie die „literarische Reflexion des zentralen Modernekonflikts individueller Positionierung“ anhand zweier Beispiele, deren eines die „ambitionierten und vielfach durchkreuzten Lebenspläne weiblicher Figuren“ bilden. Als zweites tritt die „Darstellung strategischer Selbstinszenierung“ hinzu, „mit der auf den Verlust gültiger Orientierungsmuster reagiert wird“. Abschließend richtet sie ihr Interesse auf „das erzählte Großstadtleben“.

Auf gut 300 Seiten führt ihr Unternehmen sie zu der Schlussfolgerung, dass es „im Medium der Literatur gelingt, die zum sozialen Phänomen verallgemeinerten Verhaltensstrategien des Simulanten sowie die zeittypische Wahrnehmung simulierter Realität zu simulieren.“ Ein Befund, der weniger pleonastisch anmutet, wenn man weiß, dass die Autorin mit dem Begriff „Simulation“ sowohl „strategisch eingeübte Verhaltensmuster“ als auch „Erzählverfahren“ bezeichnet.

Titelbild

Maite Katharina Hagen: Simulation. Verhaltensstrategien und Erzählverfahren im neusachlichen Roman.
Hergestellt von Irmela von der Lühe und Gail K. Hart.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2012.
339 Seiten, 56,95 EUR.
ISBN-13: 9783631624937

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