Glühende Farben fließen in reines Schneeweiß

Eine Publikation über Emil Nolde und die Schweiz

Von Klaus HammerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hammer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auf einem seiner Berg-Aquarelle ist der Abendhimmel über einem düsteren Gebirgszug in leuchtendem Gelb entflammt. Auf einem anderen Blatt erglüht eine Gipfelkette in hellem Orange. Die Bergspitzen über einem eisgrauen Bergsee erstrahlen einmal in kräftigem Rot, dann wieder in hellem Gelb. Gelb, blau und rot beziehungsweise in dunklem Violett, das ins Braun changiert, spiegelt sich ein Bergsee in den Wolken. Dann wieder zieht einsam ein Schlittschuhläufer seine Kreise, die Szenerie ist in sattes Gelb getaucht, doch erscheint der Bergausläufer, welcher Himmel und Wasser voneinander trennt, hier in kühlem Blau. Gerade wenn Figuren – Schlittschuhläufer, Skiläufer, Bergwanderer – das vielschichtige, nahezu abstrakte Farbgefüge beleben, macht das einen besonderen Reiz dieser Arbeiten aus. In leuchtendem Rot suchen sich dagegen Alpenveilchen vor der majestätischen Gebirgskulisse zu behaupten.

Der im Norden beheimatete Emil Nolde ist nicht nur ein Maler der Blumen in strahlender Blütenpracht, des friesischen Flachlandes und der von geheimnisvollen, fantastischen Gestalten bevölkerten nächtlichen Landschaften, des in erhabener Ruhe liegenden oder sturmgepeitschten Meeres, sondern auch der Alpenlandschaft, in der sich glühende Farben mit reinem Schneeweiß vermischen. Auf der Suche nach dem Ursprünglichen, nach Naturnähe, Unverfälschtheit und Originalität konzentriert sich seine Darstellung auf das unruhige Spiel der Farben, die sich stets wandelnden Gebirgs-, Wasser- und Wolkenformationen und das Ineinandergleiten bzw. Aufeinandertreffen der Elemente am Horizont. Fasziniert vom unerschöpflichen Gestalt- und Farbenreichtum der Alpen, suchte Nolde nach adäquaten Ausdrucksmöglichkeiten für das Urzuständliche, die er zum einen in der lebhaften Pinselführung und im pastosen Farbauftrag, zum anderen in der vehementen Dramatik des Kolorits mit irisierenden Reflexen aus Weiß, Gelb, Blau und Rot erreichte. Es sind Bekundungen eines vor allem inneren Erlebens des Künstlers, der starken seelischen Spannung, mit der das Naturschauspiel erlebt und in Farbklängen entäußert wird. In der unmittelbaren Begegnung mit der einsamen, endlosen Weite und Größe von Landschaft und Himmel setzen Noldes Berg-Aquarelle die Tradition der romantischen Malerei, vor allem die Caspar David Friedrichs und William Turners, in ganz neuer Art und Weise fort.

Karin Schick (Kirchner Museum Davos) und Manfred Reuther (Nolde Stiftung Seebüll) haben anlässlich der Davoser Ausstellung der Berg-Aquarelle Noldes von 2010/11, die jetzt in veränderter Form bis 14. April 2013 in der Berliner Dependance der Nolde Stiftung Seebüll gezeigt wird, ein reizvolles Lesebuch mit Texten von Nolde wie von Zeitgenossen über die Schweizer Alpenlandschaft, mit Dokumenten, Briefen, Postkarten, Fotografien, alten Plakaten und Landkarten zusammengestellt. „Wie hoch sind die Berge?“ fragt der Autor Peter Stamm und beschreibt die Einzigartigkeit der Alpenwelt: „Man kann auf einem Gipfel am Himmel stehen, wie man am Meer steht, kann hinausschauen ins Unendliche aus Wasser oder Luft“. Andreas Fluck steuert Kommentare zu Noldes Aufenthalten in der Schweiz und zu seinen Berg-Aquarellen bei. Zeigen Noldes frühe Arbeiten noch vergleichsweise ruhige Gebirgsformationen und mäßig bewegte Himmelszonen, so steigert sich später das in ungestümen, wilden Farbstrudeln wiedergegebene Naturschauspiel ins Düstere, Unheimliche und Bedrohliche, während in anderen Arbeiten die eigentliche Spannung des Geschehens ihren Ausdruck im extrem aufgewühlten Himmel über dem Horizont findet.

Mit 24 Jahren – 1892 – war Nolde für einige Jahre Lehrer für gewerbliches Zeichnen am Industrie- und Gewerbemuseum in St. Gallen geworden. Zahllose Wanderungen führten ihn durch die Alpentäler und seine hochalpinen Bergtouren auf das Matterhorn und den Monte Rosa. Das Zusammenspiel von zarten, changierenden Blautönen in dem mächtigen Bergmassiv und einem hell leuchtenden, orange-gelben Zwischenstreifen vermag die romantisch geprägte Abendstimmung überzeugend einzufangen. Zwischen 1895 und 1897 entstand eine insgesamt 30 Motive umfassende Postkartenedition, die sogenannten „Bergpostkarten“, mit Darstellungen der Schweizer Bergwelt als groteske Sagen- und Märchengestalten. Mit seiner Frau Ada ist Nolde dann immer wieder in die Schweiz zurückgekehrt. Aus spontanen Farbaufträgen, aus Unregelmäßigkeiten, Flecken und Verläufen – dem kontrollierten Zufall eben – wachsen seine Bilder eruptiv hervor. Die zahllosen, übereinander gelegten Farbaufträge reichen von fast transparenten Farbschleiern bis zu deckenden, von leuchtenden Farbpigmenten gesättigten Schichten. Verschiedenste Blautöne laufen ineinander, verschmelzen mit zartem Grün oder Braun und enden als lichte Pastelltöne im neutralen Weiß der Schneeflächen. Oder das Blau dominiert, sparsam eingesetztes Gelb oder Schwarz deuten dann Licht- und Schattenzonen an. Die Darstellung von Bergmassiven weist durchgehend eine sehr hohe Horizontlinie auf, gelegentlich berühren gar die Bergspitzen den oberen Bildrand, so dass einige der Bergaquarelle durchaus als Meeresbilder missverstanden werden könnten. Auch unter den „Ungemalten Bildern“, die der während der Nazizeit mit Malverbot belegte Künstler heimlich in seinem Haus in Seebüll schuf, gibt es Berglandschaften; in seiner „Berglandschaft mit Burgen (Abendhimmel)“ schimmert der Himmel in einem in Regenbogenfarben funkelndem Lichtzauber. Auf der zehnwöchigen Hochzeitreise mit seiner zweiten Frau Jolanthe in die Schweiz entstand 1948 dann noch einmal eine Serie von Bergaquarellen. Mit reduzierter, teilweise surrealer Farbpalette und mit einer auf wenige Bildelemente beschränkten Ausdrucksform schafft Nolde auf großen, querformatigen Aquarellbögen ein Gegenstück zur majestätischen Würde der ihn umgebenden Berglandschaft.

Titelbild

Manfred Reuther / Karin Schick (Hg.): Emil Nolde und die Schweiz.
Mit einem Text von Peter Stamm.
DuMont Buchverlag, Köln 2010.
148 Seiten, 24,99 EUR.
ISBN-13: 9783832193720

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