Mord als Familientherapie

Zu „Wildnis“ von Robert B. Parker

Von Pepe DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Pepe Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

1973 schuf Robert B. Parker mit dem Bostoner Privatdetektiv Spenser – ehemaliger Profiboxer und Ex-Polizist – einen typischen Einzelkämpfer, der mit dem Verstand und den Fäusten umzugehen weiß. Damit überführte er den Hardboiled Detective in der Tradition von Raymond Chandler und Dashiell Hemmett kommerziell erfolgreich in die Neuzeit.

In „Wildnis“, verfasst 1979, als bereits fünf Spenser-Romane veröffentlicht waren, lässt Parker dann Aaron Newman, einen eher sanften Schriftsteller, einen Mord beobachten. Angetrieben durch dessen wackeliges Unrechtsbewusstsein und gestützt durch den naiven Mut des Ahnungslosen bringt der Zeuge den Mord zur Anzeige. Und setzt so eine Kette von Ereignissen in Gang, die ihn nicht nur in einen ernsthaften Konflikt mit Vertretern der organisierten Kriminalität führt, sondern auch in einen beinahe ernsthafteren Konflikt mit sich selbst.

Denn einmal auf dem Radar des finsteren Schützen Adolph Karl aufgeblitzt, ist das Leben wie Newman es kannte vorbei. Seiner Frau wird Gewalt angetan und beiden wird Schlimmeres in Aussicht gestellt, sollte er seine Aussage gegen Karl nicht zurückziehen. Doch selbst dann kommt das ungleiche Ehepaar nicht zur Ruhe. Mit etwas Ansporn von Chris Hood, einem befreundeten Kriegsveteranen aus der Nachbarschaft, fällt das Trio an einem bierseligen Abend die Entscheidung, die Mörder selbst zur Strecke zu bringen. Um kein Leben in ständiger Angst zu führen – vor dem nervösen Gemüt eines Killers, der sich nie ganz sicher sein kann, ob sie denn auch dicht halten.

So wollen die Gejagten zu Jägern werden. Parker lässt die raue Welt organisierter Kriminalität, eine Welt, von der sich Spenser nie einschüchtern lässt, mit dem Leben von Aaron Newman kollidieren. Newman ist nicht Spenser, Newman ist so wie wir. Kein hart gekochter Haudegen, sondern weiches Fleisch in der Knochenmühle des Tagesgeschäfts zwischen Mördern und Entführern. Beide haben jedoch ein eigenes Moralempfinden gemein, das über dem Gesetz steht. Aaron billigt einen Mord, – weniger aus Rache, als vielmehr aus einem betriebsbedingten Pragmatismus heraus – auch wenn er handwerklich kaum über die notwendigen Qualitäten verfügt.

Während sich seine Frau aber resolut, ja beinahe kaltschnäuzig an den Mordplan macht, sorgt er sich um seine Beschützer- und seine Kämpferqualitäten. Beim Showdown in Wäldern fernab von Zivilisation schließlich kämpfen alle drei, das Ehepaar und der jagdlustige Nachbar, nicht nur gegen einen Trupp schwerer Jungs und die Wildnis, sondern auch gegen Probleme mit der eigenen Rolle im Leben und gegen Untiefen in den Beziehungen zueinander. Gerade die schwierige Ehe zwischen der lieblosen und auf ihre Unabhängigkeit bedachten Janet und dem anhänglichen und um Zärtlichkeit buhlenden Aaron birgt einigen Zündstoff. Eine Verkehrung klassischen Rollenverhaltens, die besonders in ihm Selbstzweifel und Unsicherheit schürt. Und den Wunsch nach Absolution; danach, etwas Animalisches, Grobes zu tun.

Eines der bezeichnenden Bilder des Romans veranschaulicht den Zwist: Newman setzt die skrupellosen Killer, die er durch die Wildnis verfolgt, mit menschenraubenden Indianern im alten Amerika gleich. Er selbst nimmt in diesem Bild die Rolle eines Trappers ein, der die Entführten zu retten versucht. Führt man sich vor Augen, dass in der Beziehung zwischen Siedlern und amerikanischen Ureinwohnern die Siedler die eigentlichen Eindringlinge waren, so wird deutlich, dass Newman seine Beobachtung des anfänglichen Mordes gleichsam als eine Art Eindringen betrachtet. Ein Eindringen in eine Welt jenseits von rechtsstaatlicher Ordnung, für deren Regeln und Rollen er nicht geschaffen ist. Zu seinem Bedauern. Dieses Fehlen kämpferischer, aggressiver, klassisch männlicher Eigenschaften ist seiner Ansicht nach der Malus, den es zu beheben gilt. Hier will er mehr als nur das eigene Leben und das seiner Ehefrau retten; er versucht, seine Selbstachtung zu restaurieren, die unter der eigenen, in den späten 1970er-Jahren mehr noch als heute gültigen Vorstellung eines statthaften Mannes leidet. Eines Mannes, der sich seiner Haut zu wehren weiß.

Sein Begleiter und Planführer, Chris Hood, ist daher auch mehr als nur der kampferprobte Sidekick, der zur Beruhigung des Lesers mitgeschickt wird, damit sich der verweichlichte Schreibtischtäter Newman in der unwirtlichen Umgebung rauer Natur nicht ganz so nackt fühlt. Hood ist über weite Teile der Geschichte der Gegenentwurf Newmans. Ein Gradmesser der Männlichkeit. Er beflügelt Aarons Machismo. Mit den Newmans und Hood als Nachbarn leben zwei Welten direkt nebeneinander, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Und die bei dem verschwörerischen Trip in die Weite der Wälder mehr finden, als nur ihre wehrhafte Beute.

„Wildnis“ ist sprachlich schnörkellos und direkt, wie man es von Parker kennt. Sind die meisten Dialoge auch über längere Dauer noch nachvollziehbar, können die diversen detailreichen aber losen Enden etwas ermüden. Dennoch ist die vorliegende aktualisierte und überarbeitete Übersetzung eine unscheinbare, aber spannende, relevante Ergänzung zum Schaffen des Spenser-Schöpfers.

Titelbild

Robert B. Parker: Wildnis. Krimi.
Pendragon Verlag, Bielefeld 2012.
280 Seiten, 10,95 EUR.
ISBN-13: 9783865323385

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