New Yorks ,bourgeoise Noblesse‘ unter der Lupe

Maeve Brennans Erzählsammlung „Tanz der Dienstmädchen“ imponiert als schneidend scharfe Gesellschaftsstudie

Von Nathalie MispagelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nathalie Mispagel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In dem weltberühmten Song „Theme from New York, New York“ (1977) von Fred Ebb und John Kander heißt es über die Stadt der Städte: „If I can make it there, I’ll make it anywhere“. Maeve Brennans Figuren aus ihrem Erzählband „Tanz der Dienstmädchen“ hätten dem wohl kaum zugestimmt. Denn nur wer in Herbert’s Retreat, einer am Ostufer des Hudson River gelegenen Wohnsiedlung lebt, hat es wirklich geschafft – 45 Kilometer außerhalb von New York.

„Eine schmale Straße schlängelt sich launisch, kurvenreich und unberechenbar durch das düstere Baumlabyrinth“, heißt es einmal, und das darf durchaus als Warnung verstanden werden. Die Bewohner von Herberts Retreat, allesamt der begüterten Bourgeosie zuzurechnen, sind nämlich mit Vorsicht zu genießen. Als anmaßende, dünkelhafte Wichtigtuer, die sich über Hauslage sowie Gartenaussicht definieren, ist sozialer Status für sie alles. Und Charakter nichts. Kaum etwas erscheint ihnen schlimmer, als für gewöhnlich gehalten zu werden. Außer vielleicht, gänzlich ignoriert zu werden. Jedenfalls muss sich Isobel Bailey schnell die ,überanstrengte Stirn mit Eau de Cologne‘ kühlen, nachdem ein Bettler ihre großzügige Mildtätigkeit mit impertinenter Verachtung beantwortet. Unerhört!

Maeve Brennans durchdringender Blick, mit dem sie in ihren Kolumnen auf den New Yorker Alltag blickt, verdichtet sich in den Kurzgeschichten zu ätzender Schärfe, perzeptorische Wachheit wird zu beißendem Witz. Sie entlarvt die Kleingeistigen mit dem großen Ego, ihre Bindungen wie Abhängigkeiten und entwirft ein glasklares Bild amerikanischer Verhältnisse der 1950er/60er-Jahre. Tatsächlich ähnelt das damalige Großbürgertum in seiner snobistischen Selbstherrlichkeit, den rigorosen Binnen-Normen und der überheblichen Abschottung gegenüber anderen sozialen beziehungsweise gesellschaftlichen Schichten der Geldaristokratie zur Jahrhundertwende. Wie Edith Wharton gewissermaßen deren Biografin war, wird Brennan zur Zeitzeugin der modernen kapitalistischen US-Klassengesellschaft, die eine eigene selbsternannte Upper Class ausbildet. Das ,land of the free‘ war einmal.

Diese traurige Erkenntnis gewinnt dank Brennans geschliffen ironischen Stils und ihres Talents für die karikative Nuance einen außerordentlichen Unterhaltungseffekt. Ebenso konsequent spitzzüngig wie detailreich seziert sie die Sozialstrukturen bis hinein in die letzten, gar nicht so edlen menschlichen Regungen. Herrlich, wenn Charles Runyon, seines Zeichens Stilexperte von Herberts Retreat, auf ein paar winzige Lügen und bedeutungslose Gemeinheiten zurückgreift – schon hat er sich seinen Tag ruiniert. Die Gesellschaft ist eben eine Arena, in der sich jeder so gut wie er kann inszeniert, um seine Machtposition zu behaupten. Nachbarn und Bekannte sind hierbei erwünschte Zuschauer, die irischen Dienstmädchen eher unerwünschte.

Aufgrund ihrer Stellung haben sie Einblick in das Geschehen hinter der mondän-respektablen Fassade. Wie schnell ist da eine Leona Harkey mit ihrem ,unkomplizierten Verstand‘ enttarnt, die ihre Bedeutung aus fremder Anerkennung, gerne auch aus fremdem Neid zieht. Tatsächlich sind die Bediensteten schlau genug, um ihre Herrschaft tendenziell als ignorant, eitel und oberflächlich zu begreifen, erkennen andererseits jedoch nicht, dass sie ebenfalls Teil jener Frühform einer ,Gated Community‘ sind. Emotional distanzieren sie sich nie von den Zwängen ihres sozialen Raumes, urteilen mit der gleichen bitterbösen Selbstüberschätzung wie ihre blasierten Arbeitgeber. Moralisch stehen sie beide auf gleicher Stufe. Gleichwohl werden sie alle von Maeve Brennan nie endgültig bloßgestellt, nur ihr heuchlerisches Sozialverhalten.

Die einzelnen Geschichten wurden zunächst im „New Yorker“ abgedruckt, lassen sich in der Zusammenstellung „Tanz der Dienstmädchen“ aber als episodisches Gesellschaftsporträt lesen, das die immer gleichen menschlichen Schwächen thematisiert. Dass dennoch kein zynischer Abgesang oder ein mahnendes Edikt daraus wurde, liegt allein an Maeve Brennans distanzierter Klugheit. Die Berechnung wie Berechenbarkeit ihrer ,Artgenossen‘ hat sie längst zu gnadenlosem (literarischem) Amüsement inspiriert.

Und zu fragilen Sozialminiaturen. Die letzten drei Storys des Erzählbandes haben nichts mehr mit den tückischen Bewohnern von Herberts Retreat zu tun. Es sind zarte Skizzen über Einsamkeit, laute Leute, leise Missverständnisse, Schnee und einen Abend im Restaurant. Denn auch das ist New York: Immer noch kein entspannter Platz des ,Laissez-faire‘, dafür ein Ort, wo das menschliche Drama mit seinen tragischen Untertönen oft einen leisen Gang nimmt. Zu unauffällig für viele. Nur nicht für Maeve Brennan.

Titelbild

Maeve Brennan: Tanz der Dienstmädchen. New Yorker Geschichten.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Christian Oeser.
Steidl Verlag, Göttingen 2010.
232 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783869300788

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