Kindliche Sehnsüchte

Über Hans-Joachim Maaz’ „Die narzisstische Gesellschaft“

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mein Bankberater sagte mir neulich, die Menschen würden von zwei Grundgefühlen gesteuert: Gier und Angst. Beides führt die Menschen zu rational nicht nachvollziehbaren Entscheidungen. So legen manche ihr Geld in einem Goldbarren an, den sie als Sicherheit in ihren Keller legen. Sie vergessen dabei jedoch, dass man Gold a) nicht essen kann und b) der Goldpreis starken Schwankungen unterworfen ist. Die vermeintliche Sicherheit ist also keine. Den Grund für diese Gefühlslage sieht Hans-Joachim Maaz in der ungestillten Sehnsucht des Kindes nach Liebe, die der Erwachsene kompensatorisch durch die Anerkennung und Bewunderung der ihn umgebenden Gesellschaft zu erringen versuchen möchte.

Die Verschiebung des eigentlich narzisstisch motivierten Bedürfnisses auf die Sphäre von Leistung, Arbeit, Konsum und die damit verbundene Gier nach immer mehr von allem ist es, die den Kapitalismus am Laufen hält und ihn gleichzeitig so destruktiv macht.

Diese Problematik ist zudem durch das besonders im Protestantismus ausgebildete Leistungsethos motiviert, wie wir seit Max Webers fundamentaler Studie über den Aufstieg des Kapitalismus aus dem Geiste des Protestantismus wissen. Schon Robinson führte sein Tagebuch auf seiner einsamen Insel als Kassenbuch aus Soll und Haben und ein Überschuss auf der Habenseite musste demzufolge bedeuten, von Gott auserwählt zu sein. Und wenn auf dem amerikanischen Dollar steht: „In God we trust“ so kann das in diesem Zusammenhang wohl auch nur heißen: „Wir vertrauen auf den Dollar“? Diese religiöse Ebene des Narzissmusproblems lässt Herr Maaz wohl aus Rücksicht auf die Kirche als Arbeitgeber aber aus.

Die anderen gesellschaftlichen Felder, auf die er seine Analyse anwendet, beispielsweise Politik und Gesellschaft streift er leider nur oberflächlich, obwohl er den Finger durchaus in die offene Wunde legt, wie zahlreiche Beiträge zu seinem Buch im Internet beweisen. Offensichtlich greift es aber inhaltlich zu kurz, wenn man psychotherapeutische und psychopathologische Modelle auf die menschliche Gesellschaft als Ganzes überträgt. Und zu glauben, man könne Berufspolitiker durch psychologisch ausgebildete und erfahrene Experten ersetzen, ist wohl ein Ausdruck der Maaz’schen Egomanie. Dass Politiker zudem immer nur im Zeitraum von Wahlperioden und nie darüber hinaus denken und planen, wissen wir außerdem schon aus Max Webers Schrift „Politik als Beruf.“

Außerdem ermüden die zahlreichen Wiederholungen der Maaz’schen Kernthese von der frühen ungestillten und unstillbaren narzisstischen Befriedigung den Leser bzw. die Leserin im Laufe der Lektüre zunehmend. Es erscheint nicht plausibel, wenn der Autor behauptet, dass dieser frühe emotionale Mangel niemals geheilt werden kann. Ist es denn nicht erklärtes Ziel und Zweck der Psychotherapie, Fehlendes nachzuholen, durchzuarbeiten und frühe Verletzungen, wenn möglich, zu heilen? Sind diese nicht vor allem durch Einsicht in ihre Existenz und Natur sowie den Aufbau konstruktiver und intensiver Beziehungen zu anderen Menschen heilbar oder in ihrem Ausmaß zumindest verringerbar? Hier bleibt der Autor eine überzeugende Antwort schuldig

Titelbild

Hans-Joachim Maaz: Die narzisstische Gesellschaft. Ein Psychogramm.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
236 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783406640414

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