Jenseits globalisierter Trivialität

Zum 80. Geburtstag des russischen Filmemachers Andrej Tarkovskij (1932-1986) hat sich sein deutscher Hausverlag nicht nehmen lassen, ein opulentes Buch zu dessen Ehren vorzulegen

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Hauptteil dieser bemerkenswerten Erinnerungsgabe besteht darin, die sieben großen Filme Andrej Tarkovskijs in ihren eindrucksvollsten und ausdrucksstärksten Szenen vorzustellen. Hans-Joachim Schlegel, der mit Andrej Tarkovskij befreundet war, hat hierzu einführende Texte verfasst.

Andrej Tarkovskij, 1932 als Sohn des russischen Dichters Arsenij Tarkovskij in Sawrashje an der Wolga geboren, hatte im Laufe von 25 Jahren sieben beeindruckende Filme geschaffen, die ihm internationale Preise und Anerkennung einbrachten. Fünf seiner Filme hatte Tarkovskij in der Sowjetunion drehen können. Der Preis dafür war gewaltig, um nicht zu sagen mörderisch. Über Jahrzehnte hatte er sich mit schikanöser Bürokratie und skrupellosen Intriganten herumzuschlagen. Notgedrungen und eigentlich gegen seinen Willen sah sich Tarkovskij schließlich gezwungen, am 10. Juli 1984 auf einer Pressekonferenz in Mailand bekanntzugeben, nicht mehr in die Sowjetunion zurückzukehren.

Als Tarkovskij im Alter von 54 Jahren am 29. Dezember 1986 in Paris nach einem schweren Krebsleiden verstarb, waren offizielle Vertreter der Sowjetunion aus Kultur und Politik zu seiner Beisetzung angereist. Auf Wunsch Andrej Tarkovskijs war er im Januar 1987 auf dem russischen Friedhof von Saint-Géneviève-des-Bois unweit von Paris nach orthodoxem Ritus beerdigt worden.

Im Fall des Filmemachers Andrej Tarkovskij waren Michail Gorbatschows Ideen von „Glasnost“ und „Perestroika“ auf tragische Weise zu spät gekommen. Der 1990 von den sowjetischen Kulturbürokraten posthum verliehene Leninorden wirkte da nur noch wie Hohn. „Die Entdeckung der ersten Tarkovskij-Filme war für mich ein Wunder. Plötzlich stand ich vor der Tür zu einem Zimmer, für das ich bisher keinen Schlüssel hatte“ – mit diesem Bekenntnis bringt Ingmar Bergmann das geheimnisvolle Wechselspiel von Hermetik und Offenbarung in Tarkovskijs Filmen auf den Punkt. Der internationale Rang des Filmschaffens von Andrej Tarkovskij wird in der vorliegenden Publikation durch sechs weitere biografische Zeugnisse oder Erinnerungen ausgesuchter Persönlichkeiten, darunter Jean-Paul Sartre oder Tschingis Ajtmatov belegt.

In Auszügen aus der Sammlung „Die versiegelte Zeit“ kommt Andrej Tarkovskij auch unmittelbar zu Wort. Unbeeindruckt von zeitgeistigen Moden im Westen oder ideologischen Vorgaben im Osten versuchte er, seiner Maßgabe einer metaphysischen Entsprechung der Kunst gemäß, sein Werk ins Bild zu setzen. Er war sich über die gewaltige Herausforderung dieser Grundhaltung bewusst: „Ein Bild kann man erschaffen und fühlen, es akzeptieren oder ablehnen, aber nicht im rationalen Sinn eines Handlungsaktes begreifen“. Die globale geistig-moralische Entwicklung des 20. Jahrhunderts hatte Tarkovskij im Blick, wenn er sich vehement vom Gedanken der rationalen Verwertbarkeit allen Denkens und Handelns abwandte. „Die Idee des Unendlichen kann man nicht mit Worten ausdrücken und beschreiben. Die Kunst jedoch macht das möglich, läßt das Unendliche erfahrbar werden“.

Im letzten Teil dieses umfangreichen Bandes zeigen schwarz-weiß Fotos aus dem Familienalbum der Tarkovskijs Kinderbilder von Andrej Tarkovskij, aber auch Porträtaufnahmen seiner Eltern. Ebenso sind Auszüge aus Tarkovskijs Fotosammlung abgedruckt, die dieser in Russland, aber auch in Italien mit einer einfachen Polaroidkamera gemacht hatte. Nebelschwaden am Fluss neben einem verlassenen Boot, geheimnisvolle Büsche, die sich hinter Zäunen auftun – aber auch seine Datscha mit dem Hund Dak und seine geliebte Frau Larissa werden in eindrucksvollen Sequenzen festgehalten.

In der 2004 erschienenen Sammlung „Lichtbilder“ waren etlichen der abgedruckten Bilder einfühlsam Zitate aus Tarkovskijs Tagebüchern zugeordnet worden, ohne dass damit eine Interpretation erzwungen werden sollte: „Das Bild ist nicht etwa dieser oder jener hierdurch vom Regisseur ausgedrückte Sinn, sondern eine ganze Welt, die sich in einem Wassertropfen spiegelt“.

Eine Bibliografie sowie ein übersichtlicher, wiederum von Hans-Joachim Schlegel erstellter biografischer Überblick runden diesen schönen Band ab. Diese bemerkenswerte Publikation wird junge Regisseure aber auch heutige Kinoliebhaber nachhaltig inspirieren. Zurecht weist Hans-Joachim Schlegel in seinem hinführenden Essay darauf hin, daß Tarkovskijs Filmschaffen es gerade in der heutigen Zeit vermag, „wieder neue Impulse jenseits der globalisierten Trivialität des Mainstreams“ zu vermitteln.

Titelbild

Hans-Joachim Schlegel / Lothar Schirmer (Hg.) / Andrej Tarkovskij: Andrej Tarkovskij. Leben und Werk. Schriften, Filme, Stills & Polaroids.
Schirmer/Mosel Verlag, München 2012.
319 Seiten, 68,00 EUR.
ISBN-13: 9783829605878

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