Demonstration der Machtlosigkeit

Über Ivan Klimas Roman „Stunde der Stille“

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ivan Klíma, geboren am 14. September 1931 in Prag, ist neben Václav Havel, Bohumil Hrabal oder Milan Kundera einer der erfolgreichsten zeitgenössischen tschechischen Schriftsteller. Seine Romane werden in hohen Auflagen veröffentlicht und wurden weltweit in über 30 Sprachen übersetzt.

Umso verwunderlicher ist es, dass Ivan Klímas Debütroman „Stunde der Stille“ (1963) erst jetzt in deutscher Übersetzung vorliegt. Das Erstaunliche dabei ist, daß dieser Roman nichts von seiner packenden Authentizität verloren hat, auch wenn der „real existierende Sozialismus“ seit über zwanzig Jahren nicht mehr existiert. In der Tschechoslowakei war „Stunde der Stille“ in jenem Zeitfenster der 1960er-Jahre veröffentlicht worden, als sich das Regime für vorsichtige Reformen öffnete. Insofern kam dieser Roman den kritischen Reformern innerhalb der Kommunistischen Partei wie gerufen. Wird doch zum Beispiel an dem Bauingenieur Martin Petr eindrucksvoll das Ringen geschildert, an den im stumpfen Alltag einer Parteibürokratie zu ersticken drohenden sozialistischen Idealen festzuhalten.

Ivan Klíma war als junger Mann selbst Kommunist gewesen. Als Kind hatte der 1931 geborene Schriftsteller dreieinhalb Jahre im KZ Theresienstadt überlebt. Grund genug für ihn, nach Kriegsende an der Errichtung einer wahrhaft menschlichen Gesellschaft mitwirken zu wollen. Auch er wollte, wie Martin Petr „nicht mitschuldig werden durch Abseitsstehen“.

Die Meisterschaft in Ivan Klímas späteren Erzählungen und Romanen findet sich bereits in diesem Erstlingswerk souverän ausgebildet. Eine atemberaubende Dramaturgie punktierter Dialoge sorgt für subtil angelegte Spannungsbögen, geschickt werden Handlungsebenen ineinander geblendet. Der Leser wird von einer geschmeidigen wie kraftvollen Sprache, griffig von Maria Hammerich-Maier ins Deutsche übertragen, in das ausgebreitete Geschehen hineinversetzt.

Die Handlung dieses Romans spielt kurz nach Kriegsende in der Ostslowakei an den Grenzen zu Polen und der Ukraine. Immer noch streifen faschistische Partisanen durch die Berge. Der Krieg hatte auch in dieser rückständigen Gegend seine schrecklichen Spuren hinterlassen. In vereinsamten und verarmten Dörfern herrschen überkommene Traditionen. Die geschilderte dörfliche Landschaft versinkt regelmäßig im Schlamm riesiger Überschwemmungen. Eine Regulierung des Flusses scheitert sowohl an der Arroganz eines Machbarkeitswahnes als auch an der Starrköpfigkeit der Kleinhäusler. In einem Milieu von Armut und Verzweiflung bieten heroische Aufbauphrasen keine Alternative. Ein starrer Parteiapparat regiert über Köpfe wie Mentalitäten hinweg.

Sogar der Vorsitzende der örtlichen Parteiorganisation Smoljak hat längst verstanden, dass der revolutionäre Aufbruch des Volkes eigentlich gar nicht richtig stattgefunden hat. Angetrieben von hehren Zielen hatte die Partei angeordnet, die widerspenstigen Dorfbewohner per Unterschrift zum Verzicht auf ihren Bodenbesitz zu zwingen. Ein Einsatz, der selbst bei einem alten Revolutionär wie Smoljak keine Begeisterung aufkommen lässt. Resigniert wendet er sich an den Bauingenieur Martin Petr: „Ich habe immer gesagt: Wir alle haben die Revolution gemacht. Aber Sie wissen, dass das nicht wirklich stimmt. Sie waren dabei. Diese Stille damals! Und jetzt halten sie wieder das Maul… Es müßte etwas geschehen, damit sie wieder den Mund aufmachen. Ich kann diese Stille nicht ertragen“.

Für Martin Petr hatten sich längst Zweifel an der einst begeisternden Sache des sozialistischen Aufbaus eingestellt. Die Agitation zur Kollektivierung hatte ihn endgültig ernüchtert: „Das war alles ganz und gar unsinnig, es war nichts weiter als demütigend, es war ungeheuer unsinnig, und genau darin steckte der wahre Kern dieses Unterfangens: den Leuten zu demonstrieren, dass sie machtlos waren und sich zu fügen hatten“. Martin Petr ist nicht mehr gewillt, sich etwas vorzumachen. Besonders schmerzhaft ist für ihn, dass sich der ideologische Riss auch gegenüber seiner Frau Evžena bemerkbar macht, die sich nach wie vor unermüdlich einsetzt, den angeblich unmündigen und verstockten Dörflern die Vorzüge des Sozialismus zu vermitteln.

Als Evžena und Martin Petr einer misstrauischen Menge von Dörflern die Vorzüge einer geplanten Umleitung der Flussläufe mithilfe von Pumpsystemen erklärten, eskalierte die Situation. Hunde wurden auf die beiden gehetzt, die nur mit Mühe dem wütenden Mob entkamen. Evžena ist entsetzt, dass Martin ihre Wut auf das Volk, das doch mit Wohltaten versehen wurde, offenbar nicht teilt: „Du denkst wie ein Herr, der den Diener neu einkleidet und beleidigt ist, wenn der Diener dennoch seinen persönlichen Stolz behält“.

Hierin liegt die eigentliche politische Sensation in Ivan Klímas Roman verborgen: Die niederschmetternde Erkenntnis, dass der Sozialismus grundsätzlich zum Scheitern verurteilt ist, da er sich nicht die Verhältnisse, sondern den einzelnen Menschen zum Untertan macht.

Titelbild

Ivan Klima: Stunde der Stille. Roman.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Maria Hammerich-Maier.
Transit Buchverlag, Berlin 2012.
240 Seiten, 19,80 EUR.
ISBN-13: 9783887472689

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