Die Hilfskräfte als heimliche Helden

Friedrich Michael Dimpel setzt die Zofen der mittelhochdeutschen Epik ins rechte Licht

Von Stefan SeeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Seeber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Nebenfiguren in mitttelhochdeutscher Epik ist viel geschrieben worden. Was bislang fehlt, ist eine das Einzelwerk beziehungsweise die Gattungen übergreifende, synthetisierende Betrachtung, die den Weg für die weitere Auseinandersetzung mit den Hilfskräften der Helden liefert. Friedrich Michael Dimpel ist es gelungen, in seiner Habilitationsschrift genau dieses Sprungbrett für weitere Forschung zu bieten. In genauen Einzelanalysen der Zofen, die in Veldekes „Eneasroman“, Hartmanns „Iwein“, Gottfrieds „Tristan“, dem „Mauritius von Craûn“, Wirnts „Wigalois“ sowie in Konrads „Partonopier und Meliur“ auftauchen, legt er weit reichende Betrachtungen zur Sympathiesteuerung durch die vermeintlichen Nebenfiguren vor: Lunete im „Iwein“ hat ihren eigenen Kopf und nimmt einen Gutteil des Konfliktpotentials auf sich, das Iwein und Laudine zu tragen haben, indem sie als Organisatorin hinter den Kulissen die Wege ebnet.

Brangänes Rolle insbesondere auf dem Weg von Gottfrieds „Tristan“ zu seinem Fragmentschluss wird als spannungsgeladene, nicht auflösbare Treuebeziehung zu Isolde gelesen, für die Anna Veldekes wird das Unverständnis für die politischen Bedenken und die Krise ihrer Herrin betont. In der (namenlosen) Zofe im „Mauritius von Craûn“ sieht Dimpel den Versuch unternommen, die widerstreitenden Gefühle der harschen, aber zugleich minnesehnsüchtigen Herrin zu externalisieren – ebenso wie Irekel in „Partonopier und Meliur“ ergänzt die Zofe hier das Bild der Protagonistin, ohne allein in der Rolle des Alter ego aufzugehen: Allen Zofen eignet ein Mehrwert, der sich in spezifischen Formen der Fokalisierung, Fokussierung und Sympathielenkung fassen lässt.

Den Analysen vorgeschaltet ist eine umfangreiche theoretische Grundlegung, die bisweilen zu sehr ins Detail geht. Über viele Seiten werden Hübners Fokalisierungskonzept, Jannidis’ Thesen zur Figurenkonzeption und Pfisters Überlegungen zur Sympathiesteuerung im Drama behandelt, der Blick auf Barthels wichtiges (aber in Teilen zu schematisch arbeitendes) Buch zur Empathielenkung öffnet den Blick auf die Sympathiesteuerung in mediävistischer Forschung. Als eigene Zutat des Autors kommt ein Konzept der Fokussierung hinzu, das da ansetzt, wo die Fokalisierung nicht mehr greift: bei der Figurenrede. Diese wird von Dimpel umfassend anhand der Kategorien von Raumkontext, Positionierung, Perspektivenabweichung, -festlegung, -unterschiebung sowie Tabula-Rasa-Sicht (bei der „quasi per Resetknopf“ alle positiven Eigenschaften ausgeblendet werden) erfasst.

Fokalisierung und Fokussierung gehören zum großen, eigentlich für eine genaue Kategorisierung zu großen Spektrum der sympathielenkenden Strukturen der Dichtungen. Man merkt immer wieder, wie schwer sich der Autor mit einigen der theoretischen Passagen seiner Arbeit tut: So fühlt er sich gezwungen, die Fokalisierungsidee umfänglich zu referieren, er hält fast entschuldigend fest, dass Sympathielenkung eine vortheoretische Logik besitzt, die sich schwer fassen lässt, um es dann doch zu versuchen. In diesem Zusammenhang überrascht allerdings, dass Verweise auf die rhetorische Diskussion zur Sympathielenkung fehlen, denn diese hätten die Kluft überbrücken können.

Insgesamt erscheint der mehr als 170 Seiten umfassende theoretische Teil der Arbeit als monolithischer Block. Der praktische Teil der Arbeit greift auf das von Dimpel entwickelte Vokabular zur Fokussierungsbeschreibung zurück, ebenso auf seine modifizierte Fokalisierungstheorie – aber anders als in der Einleitung angemahnt, ist es nicht notwendig, die Theoriekapitel vollständig zu lesen, um die praktischen Analysen zu verstehen. Ein Blick in die umfangreiche Ergebniszusammenfassung am Ende des theoretischen Teils der Arbeit reicht völlig aus. Gerade auch in diesem Zusammenhang wird deutlich, dass dem Buch in einigen Passagen Raffungen und Kürzungen gut getan hätten, um bessere Zugänglichkeit zu gewährleisten.

In der vorliegenden Form nämlich kommt Dimpels Buch bei aller Prägnanz der Einzelbeobachtungen und trotz zahlreicher erhellender Interpretationsansätze zu den Zofen-Figuren oft schwerfällig daher: Seitenlange Forschungsreferate und häufige petit-gesetzte ausführliche Zitate belasten den theoretischen Teil der Arbeit. Im praktischen Teil findet sich zu viel Ballast in Form von Inhaltsrekapitulationen. Bisweilen gerät Dimpel die Analyse dabei aus dem Ruder, so etwa wenn seine Interpretation des „Mauritius von Craûn“ über mehrere Seiten die Zofe, um die es eigentlich gehen soll, aus dem Blick verliert.

Es wären, um das Buch insgesamt leserfreundlicher zu gestalten, Verfugungen, Verknüpfungen, Perspektivierungen notwendig, die Dimpels Arbeit in der vorliegenden Form oft schuldig bleibt. Das Buch ist sehr umfangreich und umfasst mehr als 400 Seiten, trotzdem werden einige wichtige Themenbereiche nicht angesprochen: Es fehlen in den Kontext von Forschung und Rezeptionsangeboten der Zeit einbettende und klärende Worte zur Textauswahl (Dimpels Anmerkungen hierzu bleiben sehr knapp), die Textuntersuchungen stehen unverbunden nebeneinander und setzen immer unvermittelt ein, ein Ausblick auf die weiteren Anwendbarkeitsfelder der Theorie fehlt (das Teilkapitel „Ausblick“ umfasst nur zwei Seiten). Der Umstand, dass wir es mit weiblichem Personal zu tun haben, führt eigentlich zur Frage danach, wie sich die männlichen Helfer (etwa Curvenal bei Gottfried) unter diesem Blickwinkel zeigen würden, verbunden auch mit Gender-Überlegungen, die Dimpel nicht anstellt. Die unterschiedliche Qualität der Figurenkonstellationen (Anna als Schwester, Brangäne als niftel, die Zofe im „Mauritius“ als Bedienstete) und ihrer Verbindungen untereinander (von Verwandtschaft über amicitia zum Dienstverhältnis) wird nicht für eine übergreifende Interpretation genutzt. Es ergibt sich deshalb auch in der Reihung der Einzelanalysen kein Bild, das eine Synthese über den Einzeltext hinaus erlauben würde.

Das alles schmälert den Wert von Dimpels Arbeit allerdings nicht, es bietet im Gegenteil Anlass dazu, weiter zu denken und sein System kritisch weiterzuentwickeln. Besonders im Bereich der Sympathielenkung fehlt es noch an einer stärkeren Fokussierung auf den Rezipienten als Ziel der Bemühungen. Dies ist ein Desiderat, das gerade auch durch fassungsvergleichende Analysen beseitigt werden könnte. Dimpel selbst greift immer wieder auf die Vorlagen seiner Texte und andere Vergleichstexte zurück, um Spezifika der Gestaltung zu erklären, doch geschieht dies nicht systematisch und nicht umfassend genug. Es bleibt deshalb der durchaus positive Eindruck zurück, dass noch viel zu tun ist, und dass Dimpel dafür mit seinem Buch eine gute, solide und vor allem auch theoretisch reflektierte Ausgangsbasis geschaffen hat.

Titelbild

Friedrich Michael Dimpel: Die Zofe im Fokus. Perspektivierung und Sympathiesteuerung durch Nebenfiguren vom Typus der Confidente in der höfischen Epik des hohen Mittelalters.
Erich Schmidt Verlag, Berlin 2011.
446 Seiten, 59,80 EUR.
ISBN-13: 9783503122929

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch