Der Kampf der Christen

Über Stephanie Hathaways Studie „Saracens and Conversion“

Von Albrecht ClassenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Albrecht Classen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In ihrer für den Druck aufbereiteten Doktorarbeit, 2009 an der University of Sydney eingereicht, behandelt Stephanie L. Hathaway die Frage, wie Wolfram von Eschenbach die Welt der Araber, das heißt der Sarazenen in seinem Epos „Willehalm“ schildert. Die Tatsache selbst, dass Wolfram sich hier so intensiv mit Muslimen auseinandersetzt, auch wenn nur im literarischen Kontext, verdient unsere Anerkennung, selbst wenn andere Forscher wie Jerold C. Frakes („Vernacular and Latin Literary Discourses“, 2011) in dem Zusammenhang primär von kolonialistischen Vorstellungen ausgehen. Hathaway lehnt aber von vornherein ab, im „Willehalm“einen Reflex der Kreuzzüge zu erblicken und betont vielmehr, wie sehr der Dichter hier das Ideal des höfischen Rittertums zum Ausdruck bringen will, das auch von zahlreichen sarazenischen Protagonisten reflektiert werde. Sie untersucht den mittelhochdeutschen Text im engen Vergleich mit den altfranzösischen Quellen, „Aliscans“ und „Le Prise d’Orange“, aber der Schwerpunkt ruht trotzdem auf Wolframs Fassung, weil dort am deutlichsten die Beziehung zwischen höfischer Liebe und Rittertum zur Sprache komme.

Im ersten Kapitel untersucht Hathaway die möglichen Beziehungen zwischen der arabischen und der lateinisch-europäischen Kultur, die sie aber wohl viel zu optimistisch und auf der Grundlage veralteter Forschungsliteratur als relativ eng beurteilt, so als ob direkte Einflüsse von der muslimischen Welt vor allem auf der iberischen Halbinsel auf die christliche Kultur im Norden wahrzunehmen wären. Die europäischen Autoren konnten sich aber nur dann positive Araber beziehungsweise Muslime vorstellen, wenn diese zum Christentum konvertierten, wie es in den literarischen Zeugnissen zu lesen ist. Im zweiten Kapitel versucht Hathaway, die Herkunft des Rittertums spezifisch mit der arabischen Kultur zu verbinden, was nicht nur sehr waghalsig ist, sondern zugleich völlig die heute führenden Theorien (zum Beispiel C. Stephen Jaeger, 1985, hier noch nicht einmal erwähnt) ignoriert und sich damit selbst etwas aufs Glatteis führt. Wenn sie George Makdisi (1980) zitiert, der behauptete, dass die europäischen Universitäten originär seien, die Colleges dagegen islamisch, fällt das gesamte argumentative Gerüst zusammen. Die Hintergründe des geistig verbrämten Rittertums mit dem Sufismus zu verbinden, grenzt an Absurdität, und es überrascht dann nicht mehr, die Entstehung der Sitte, Mitglieder von Ritterorden mit einem Gürtel zu versehen, als Entlehnung von arabischen Kulturen hingestellt zu sehen.

Alle weiteren Versuche Hathaways, islamische und europäische Kulturen im Mittelalter als im engen Austausch befindlich hinzustellen, scheitern, obwohl sie auch auf die Kreuzzüge hinweist, wobei die Argumentation zunehmend verwirrender wird, weil ja auch die entscheidende Forschung weitgehend ignoriert wurde (noch nicht einmal R. W. Southerns „Views of Islam in the Middle Ages“, 1962, findet Berücksichtigung). Dies erweist sich aber im Laufe der Abhandlung letztlich nicht unbedingt abträglich, weil dieses theoretische Gerüst, so untragbar es auch sein mag, nicht entscheidend für das eigentliche Thema dieser Arbeit ist.

Die Autorin diskutiert die zentralen Wertvorstellungen, die Wolfram in seinem „Willehalm“ zum Ausdruck gebracht hat, sei es Loyalität und Solidarität, Religion und Minnedienst, und all dies unter dem Schirm des Rittertums. Ob wir aber tatsächlich davon ausgehen können, dass Wolfram nach einer friedlichen Koexistenz von Christen und Muslimen gestrebt habe, scheint mir doch sehr fraglich zu sein. Ab dem vierten Kapitel kommt Hathaway endlich wirklich zum Zuge und vermag, eine wertvolle Interpretation zu liefern, die sich auf die Fülle an würdigen und bedeutenden Gestalten unter den Muslimen bezieht. Zwar entdecken wir keine wesentlich neuen Perspektiven, aber die genaue Überprüfung des Textes daraufhin, wie der Dichter diese Figuren charakterisierte, erweist sich als hilfreich und aussagekräftig. Nur, dass Arofels zum Beispiel als ein Mann der Ehre, als tugendhafter Ritter und als Minnediener beschrieben wird, überrascht keineswegs, ist er ja schon lange so diskutiert worden. Immerhin bietet Hathaway gute Vergleiche zwischen „Willehalm“ und den altfranzösischen Quellen und kann dabei wichtige Unterschiede aufdecken. So verweigert man Rainouart in „Aliscans“ die Taufe, während Rennewart in „Willehalm“ diese von sich aus ablehnt. Wieso Hathaway dann aber wieder zu spekulativen Vermutungen springt, die keinerlei Grundlage im Text besitzen, enttäuscht beträchtlich (die vermutbare Heirat von Alyze und Rennewart würde zur Überwindung der Feindseligkeiten zwischen Christen und Heiden führen). Zustimmen kann man ihr freilich ganz darin, dass Wolfram keine religiöse Polemik gegen die Sarazenen führte, sondern sogar bereit war, einzelne ihrer Helden als vorbildliche Ritter zu identifizieren, denn es ging ihm nicht um Bekehrung der Heiden oder um eine Kreuzzugsideologie.

Zuletzt geht Hathaway noch auf die Präsentation der Gyburg ein, die die so bekannte, ja berühmte Rede im Kriegsrat hält, aber auch hier fehlt etwas die kritische Auseinandersetzung mit der Forschung, die immer wieder die Frage aufgeworfen hatte, ob an dieser Stelle etwa Gedanken der Toleranz ausgedrückt würden, was aber bestimmt nicht der Fall ist. Dass Gyburg eine starke Führungsrolle während der Belagerung einnimmt, zugleich ihre selbstbewusste und unwandelbare Liebe zu Willehlam demonstriert, trifft sicherlich zu, ist aber schon lange so gesehen worden.

„Saracens and Conversion“ ist eigentlich falsch betitelt worden. Es handelt sich gar nicht um die Konvertierung der Muslime, sondern um den Kampf der Christen gegen ihre Feinde, wobei, was Hathaway zu Recht betont, viele der Sarazenen als würdige und eigentlich schon ideale Ritter beschrieben werden, die aber niemals siegen können beziehungsweise dürfen. Das Buch schließt mit einer leider nach Themengruppen gegliederten, damit unübersichtlichen Bibliografie und einem wertvollem Register.

Titelbild

Stephanie Hathaway (Hg.): Saracens and Conversion. Chivalric Ideals in "Aliscans" and Wolfram's "Willehalm".
Studies in old germanic languages and literatures.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a.M. 2012.
432 Seiten, 59,40 EUR.
ISBN-13: 9783034307819

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