Ein streitbarer Individualist

Zum 70. Geburtstag des Schriftstellers Peter Handke

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Ich bin nicht da, um anderen ein Beispiel zu geben, ich will mich nur selber ermahnen, mir selber die Bilder geben, den Rhythmus geben. Wenn ich zum Beispiel einen Tag nicht gelesen habe, schreibe ich: ,Tag ohne lesen‘, und das ist wie eine Sünde“, bekannte der Schriftsteller Peter Handke 2006 in einem „Zeit“-Interview.

Peter Handke schwimmt gerne gegen den Strom, er liebt das Extreme und gefällt sich in der Pose des Non-Konformisten. Mit seinem umfangreichen literarischen Werk und seinen spektakulären öffentlichen Auftritten hat er stets – und dies bewusst – polarisiert. Als junger Mann brüskierte er 1966 die arrivierte deutschsprachige Literatengilde der Gruppe 47 auf ihrer Jahrestagung in Princeton und attestierte der Nachkriegsliteratur eine „Beschreibungsimpotenz“. Ein Mann von 23 Jahren, der gerade seinen ersten Roman „Die Hornissen“ durch Alfred Kolleritschs Fürsprache beim Suhrkamp Verlag veröffentlicht hatte, zog Heinrich Böll, Günter Grass, Alfred Andersch, Peter Weiss und all die anderen renommierten Autoren durch den Orkus. „Die Sprache bleibt tot, ohne Bewegung, dient nur als Namensschild für die Dinge“, lautete sein Vorwurf – nachzulesen im 1972 erschienenen Essayband „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms“.

Nur wenige Monate nach seinem Schmäh-Auftritt in Princeton war Peter Handkes Status als Rebell des Literaturbetriebs endgültig manifestiert – nach der von Claus Peymann inszenierten Uraufführung des Theaterstücks „Publikumsbeschimpfung“ in Frankfurt.

Peter Handke, der am 6. Dezember 1942 in Griffen (40 km östlich von Klagenfurt) als uneheliches Kind in kleinbürgerlichen Verhältnissen (er selbst bezeichnete sich als „Kleinhäuslersohn“) geboren wurde, besuchte zunächst das katholische Internat in Tanzenberg, dann ein Gymnasium in Klagenfurt. Erst kurz vor Beginn seines Jurastudiums in Graz, das er 1966 nach seinen ersten literarischen Erfolgen abbrach, erfuhr Handke, dass der Ehemann seiner Mutter nicht sein leiblicher Vater war.

Die Finanzierung seines Studiums erfolgte über ein Stipendium, über erteilte Griechisch-Nachhilfe und einen Nebenjob in einem Versandhaus. Von dieser Arbeit bei grellem Neonlicht stammt Handkes Augenleiden, gegen das ihm ein Arzt eine Brille mit dunklen Gläsern verschrieb – das Markenzeichen des jungen Handke, der 1973 durch die Verleihung des Georg-Büchner-Preises endgültig literarisch geadelt wurde.

Eine ganze Generation Gymnasiasten und Studenten wurde mit den Handke-Büchern „Die Angst des Tormanns beim Elfmeter“ (1970, später verfilmt von Wim Wenders), „Wunschloses Unglück“ (1972), „Der kurze Brief zum langen Anschied“ (1972) und „Die linkshändige Frau“ (1976, Handke schrieb später auch das Drehbuch zur Verfilmung) literarisch sozialisiert. In den 1970er-Jahren war aus dem „enfant terrible“ eine Art Pop-Star der Literaturszene geworden, der stets prominente Frauen an seiner Seite hatte: die Schauspielerinnen Libgart Schwarz und Sophie Semin (mit denen er jeweils eine Tochter hat), Jeanne Moreau und Katja Flint.

„Der größte Erfolg war ganz einfach der, dass ich schreiben konnte und publiziert wurde. Sich die Zeit zu nehmen, sie fruchten zu lassen, das ist schon ein Erfolg“, erklärte Handke in einem Interview rückblickend auf seine Anfangsjahre.

Die Handke-Lesegemeinde wurde stetig kleiner, als sich der seit Anfang der 1990er-Jahre im Pariser Vorort Chaville lebende Autor literarisch immer stärker von der Außenwelt verabschiedete („Ich habe immer die Einbildung, dass ich Literatur verkörpere“) und sich in seinen Werken als selbstbespiegelnder Narziß präsentierte („Nachmittag eines Schriftstellers“, 1987, „Versuch über die Müdigkeit“, 1989, „Versuch über die Jukebox“, 1990, „Versuch über den geglückten Tag“, 1991, „Mein Jahr in der Niemandsbucht“, 1994).

Der (auch literarisch) zur Egozentrik neigende Handke pflegte sein Image des „enfant terrible“ über Jahrzehnte nach Kräften. Er gefiel sich als eine Art ewig-jugendlicher Rebell. Reichlich Aufsehen erregte er durch seine (kaum nachvollziehbare) Nähe zum serbischen Diktator Slobodan Milosevic, die 1996 mit seinem Buch „Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina“ begann, im Juli 2005 mit einem opulenten Aufsatz in der Zeitschrift „Literaturen“ untermauert wurde und im März 2006 mit seiner Rolle als Redner auf der Beerdigung des Diktators ihren Höhepunkt fand. Wenige Monate später verzichtete er wegen der öffentlichen Kritik an seiner Person auf den ihm zugesprochenen Heinrich-Heine-Preis der Stadt Düsseldorf.

Peter Handke, der jüngst mit dem mit 15.000 Euro dotierten Großen Kunstpreis des Landes Salzburg ausgezeichnet wurde, hat auch in den meisten seiner Bücher die Rolle des Außenseiters wortgewaltig kultiviert; er war nie ein Erzähler im konventionellen Sinn, sondern ein reflektierender Suchender und Beobachter, der das Medium Sprache als Heiligtum pflegt und auf diese Weise (trotz aller Vorbehalte) die deutschsprachige Literatur und auch die Bühnenwelt um eine singuläre Stimme bereichert hat. Seine Produktivität ist ungebrochen. Zwei Theaterstücke („Immer noch Sturm“ (2011 uraufgeführt in Salzburg) und „Die schönen Tage von Aranjuez“ (2012) und ein vor sechs Wochen erschienener Prosaband legen davon ein beredtes Zeugnis ab. Auch hier pflegt Handke wieder die Attitüde des leicht kauzigen Individualisten. In dem schmalen Bändchen beschäftigt er sich mit der Toilette als Zufluchtsort im doppelten Sinn – als einer der letzten Plätze des Alleinseins und damit auch ein Platz der inneren Einkehr und Meditation.

Titelbild

Peter Handke: Versuch über den Stillen Ort.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012.
109 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783518423172

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