„Kiss, kiss, bang, bang“: Aber bitte ironisch-reflexiv geschüttelt und intertextuell gerührt!

Zu dem von Marc Föcking und Astrid Böger herausgegebenen Sammelband „James Bond Anatomie eines Mythos“

Von Marie-Luise WünscheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marie-Luise Wünsche

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„James Bond Anatomie eines Mythos“, so lautet der Titel des im Folgenden vorzustellenden Aufsatzbandes. Er versammelt die nicht immer angemessen überarbeitet wirkenden Einzelvorträge einer Ringvorlesung, welche auch – zumindest teilweise – online gestellt ist. Diese wurde im Wintersemester 2010 an der Universität Hamburg gehalten. Die Beiträge teilen sich also vor allem als kleinsten gemeinsamen Nenner das Gegenstandsfeld, nämlich jene Spionageserie, deren smarter Held nach dem Verfasser eines ornithologischen Fachbuches ‚James Bond‘ heißt. Das hängt damit zusammen, dass Ian Fleming, der Autor der Storys um eben diesen Geheimagenten James Bond, sich für Ornithologie interessierte und ein Sachbuch kannte, das von eben jenem US-amerikanischen Wissenschaftler namens Bond, James Bond, stammte. Mit „Casino Royal“ legte Ian Fleming 1953 den ersten Band eben dieser Reihe von Romanen um einen Agenten vor. Bereits 1962 kam dann mit „Dr. No.“ der erste Film in die Kinos, bei dem Sean Connery James Bond spielte und Terence Young Regie führte. Unlängst, im Oktober 2012, war die Weltpremiere des 23. Bondfilms, pünktlich zum fünfzigsten Jubiläum dieses cineastischen Großereignisses. Daniel Craig spielt darin zum dritten Mal die Rolle des britischen Geheimagenten, und Sam Mendes führte Regie.

Stets dreht sich alles um den Kampf des Guten gegen das abgrundtief Böse. Letzteres wurde anfangs natürlich hinter der Berliner Mauer verortet, je weiter ostwärts, am besten weiter als die Füße tragen, umso abgrundtiefer geriet der Schurkenkosmos. Selbst Filme, die nach dem Mauerfall entstanden, bedienen noch, leicht variiert, dieses Klischee, und es ist nicht immer klar, ob sie es zugleich mit Komik und Slapstick kritisieren oder mit roher Gewalt affirmieren wollen. Immer auch geht es um 007 mit der Lizenz zum Töten. Damit steht als Protagonist im Zentrum der „Spy-Novels“ jener Geheimagent der Queen, der – laut fiktiv gesetzter Legende, – 1920 in Wattenscheid zur Welt gekommen sein soll.

Als Romanheld und als Filmheld zeichnet er sich bei allen Unterschieden stets durch eine ihm stillschweigend von Fleming schon zusätzlich zu der anderen und bekannteren Lizenz eingeschriebene Lizenz aus. J. Ch. Meister beschreibt in seinem Vorlesungsbeitrag diese Lizenz genauer als ein „unverschämt auf den Kern der Sache zusteuernde[s] ,Womanizing‘“. In der Tat hat James Bond, obwohl er gewöhnlich nicht Klavier spielt, in einer auffälligen Weise „Glück bei den Frauen“, die auch urkomisch wirken kann und somit als ironischer Subtext lesbar ist. Dazu ist wie in Bezug auf andere Ingredienzien des intermedial präsenten Helden, der zugleich eine Markenware ist, noch lange nicht das letzte Wort gesprochen.

Das erklärt auch, weshalb jetzt schon eine Schlüsselszene aus dem 23. Film mit dem Namen „Skyfall“ heftig und kontrovers diskutiert wird. Der Antagonist, brillant verkörpert von Javier Bardem, erotisiert einen aus den letzten Filmen bereits wohlbekannten Folterstuhl, auf dem der Protagonist, gespielt von dem bereits erwähnten Daniel Craig, gefesselt und wehrlos sitzt: ein Häufchen verlorenes und nacktes Leben. In der Schwebe bleibt, ob diese mit homoerotischen Anspielungen gesättigte Szene den Zuschauer nur als Zeugen einer kaum mehr zu toppenden Erniedrigung des Frauenschwarms 007 braucht, der nun nicht nur ohnmächtig Opfer von Gewalt, sondern auch von Vergewaltigung werden könnte oder ob, ein wenig gegenläufig dazu, der Zuschauer am Ende Bond als einen imaginieren soll, der altbackene Genderklischees sprengt und so einem „Manizing“, selbst einem sadomasochistisch eingefärbten, nicht ganz abhold zu sein scheint; dies würde dann mit einer Stuhlfolterszene des Bondfilms „The World is not enough“ aus dem Jahr 1999 korrespondieren, in dem eine Frau, mit dem vielversprechenden Namen Elektra, Bond mit Peitsche und Garotte quält.

Diese Ambivalenz aufzulösen und eine mögliche Deutung zu Gunsten der verabsolutierenden anderen Deutung fallen zu lassen, das hieße einen flachen Blick auf einen Serienhelden zu werfen, der als Antwort ebenso flach zurücklächelte. Entsprechend werten dann auch die Eindeutigkeit gegen Ambivalenz setzenden Interpretationen innerhalb und außerhalb der hier relevanten Vorlesungsbeiträge Bond als wenig Neues bergenden „Groschenroman“ respektive Blockbuster und Kino-Film von RTL 2 -Niveau. Beschreibt man dagegen die Ambivalenz, indem man die narrativen und audiovisuellen Stilmittel in ihrem Zusammenspiel mit den Motiven und Themen zu beobachten sucht, dann zeigt sich als Ergebnis entsprechender methodisch hochreflektierter Analysen ein vieldeutig zurücklächelnder Protagonist. Bond, James Bond, Agent 007 mit der Lizenz zum Töten, agiert dann nicht nur, sondern reflektiert: sich, seine ihm zugesellten Figuren und das Genre, in dem alle gemeinsam agieren, generiert also zugleich mit der Fiktion stets auch Metafiktion.

Alles in allem sprechen in der Tat einige Indizien dafür, dass der Film dem Protagonisten Bond Grenzüberschreitungen und seinem Genre damit literarische Qualitäten zu eröffnen scheint, von denen Fleming als Autor der Romanvorlage wohl nicht und wenn, dann eher in Alps zu träumen gewagt haben wird. Schließlich war Fleming selbst es, der seine Romane mit der Umschreibung „kiss, kiss, bang, bang“ gelegentlich hinreichend umschrieben sah, und der sicher eher Geschlechterklischees festzuschreiben, denn zu dekonstruieren Lust verspürte. Letzteres allerdings scheint den Filmen zunehmend zu gelingen.

Vor allem die letzten fünf Filme, die natürlich nicht mehr alle wirklich und ausschließlich auf den Romanvorlagen von Fleming beruhen, sind als Blockbuster beschreibbar, welche eben nicht mit „„sex and drops and action“ allein unterhaltend Kasse machen. Der mündige Kinobesucher, ein vielleicht gar nicht so rarer Menschenschlag der vermeintlich überlebten Postmoderne, so scheint es, unterhält sich gern mit intertextuellen und selbstreferentiellen Denklektionen zur Reichweite cineastischer Ästhetik zu Zeiten ökonomischer Weltherrschaft. Nur wenn das auch gewährleistet ist, dann lässt er sich eben zugleich gern noch unterhalten mit schönen Körpern, schnellen Autos und dergleichen Markenartikeln mehr. Dies gilt umso mehr dann, wenn Q einige davon als harmlos daherkommende Geheimwaffen an Bond weiterreicht, der sie garantiert entweder stark ramponiert oder gar nicht nach erfülltem Auftrag mit nach London zurückbringen wird. Und was für einen Q bekommen Fans mit dem vorerst letzten Bond-Film geboten, der irritiert wahrscheinlich nicht nur den Topagenten.

Die Beiträge, die sich schon mit dem Buchtitel Bond als Neonlichtgestalt mit sezierend-analytischer Absicht widmen, streben alle je spezifisch eine ‚Mythen‘-Zergliederung und Bestimmung der Einzelteile an. Sie stammen aus den unterschiedlichsten kulturwissenschaftlichen Fächern. Forschungsbeiträge sind vertreten, deren Verfasser Lehrstühle der Nordamerikanistik, der klassischen Philologie, der romanistischen, anglistischen und germanistischen Literaturwissenschaft respektive Linguistik inne haben. Doch auch Wissenschaftler aus der Theologie, Musikwissenschaft und endlich gar der experimentellen Physik melden sich zu Wort.

Die Beitragenden spüren dem „Consumerism“ respektive seiner ironischen Brechung von drei unterschiedlichen Perspektiven aus nach. Daraus ergibt sich eine Dreiteilung, der gemäß erstens die narrativen Muster, zweitens dann eine differenzierte Diskussion der medialen Expansionen dieses Stoffes und drittens dessen mythische Potenz in den Blick geraten. Der dritte Teil besteht allerdings nur aus zwei Aufsätzen. Man hätte bei dem Buchtitel anderes erwartet, auch etwa gelegentliche Abrisse zum bisherigen Forschungsstand dessen, was jeweils als Mythos oder „Arbeit am Mythos“ Geltung beanspruchen darf, um in einem zweiten Schritt die eigenen Bemühungen vorzustellen und davon abzusetzen. Dies allerdings unterbleibt eigentlich ganz und gar, sofern das Gedächtnis die Rezensentin nicht trügt.

Räume des Erzählens vermessen die Literaturwissenschaftler J. N. Schmidt, J. CH. Meister, M. Föcking und die Linguistin A. Redder. Dabei stehen in unterschiedlicher Gewichtung die figurativen Konstellationen sowie deren Sprachgesten und Sprachhandlungen im Zentrum des jeweiligen Interesses. Während Schmidt und Meister einleitend eher vor allem Korrespondenzen zwischen Flemings Leben als Autor und Spion einerseits und der fiktiv gesetzten Biografie seines Romanhelden andererseits en gros nachspüren, widmen sich Redder und endlich Föcking detaillierter und methodisch raffinierter der detailgetreuen Rekonstruktion komplexer textpragmatischer sowie ästhetischer und rezeptionshistorischer Aspekte. Am Beispiel des Debütromans „Casino Royal“ zeichnet Redder die vor allem spezifisch historisch bedingte Weise nach, in der hier die „literarische Verbalisierung von Mentalem, von Denken und Wissen“ gelingen kann. Die Art und Weise, wie Fleming zu diesem Zwecke „Handlungen in ihre Modalitäten und Teilhandlungen […] zerlegt“, erinnert die Linguistin an „die Handlungslogik der analytischen Philosophie“. Bond erweist sich so als ein Thriller für Fortgeschrittene, der weniger zum Chillen und mehr zum „intellektuellen Genuss“ einer „genreüberschreitenden Ironie“ einlade. Dies gilt vor allem auch, weil der Action-Heroe James Bond zugleich als „perfekter Akteur von „speech-actions in der Romanstruktur“ nachweisbar werde.

Die Fokussierung narrativer Aspekte der Romane innerhalb dieses ersten Teiles beschließt Föcking mit seiner Analyse auf fulminante Art. Diese greift weit aus und ist zugleich gesellschafts- und medienhistorisch, aber auch literarästhetisch- und wissenshistorisch relevant. Die reich kontextualisierte Relektüre der Bond-Lektüre Umberto Eccos zeigt deutlich, dass James Bond nacheinander sowohl als „Trash“ und dann aber auch als „Klassiker“ (der Moderne) vermarktet und gelesen wurde und noch wird. In dieser Hinsicht ist die argumentative Berücksichtigung der historisch changierenden Umschlagentwürfe zu diesem Roman von kaum zu überschätzender Bedeutung. Dass jede Zeit ihre randständigen und ihre zentralen Lektüren eines vermeintlich stets gleichbleibenden Gegenstandsfeldes hat, und dass diese sich zueinander kontradiktorisch verhalten können, das ist nur eine von vielen beeindruckenden neuen Detailansichten, die sich der überraschend anderen Perspektivierung verdanken. Nicht als Mythos, wohl aber als Märchen für Erwachsene liest Föcking diesen Agententhriller.

Dies geschieht in Übereinstimmung mit und ein wenig auch gegen die autoreflexiven Statements Flemings. Es werden etwa – neben anderen rhetorischen Figuren und Stilelementen – die zahlreichen „Spiegelungen des Ganzen“ nicht einfach literaturwissenschaftlich korrekt als „mise en abime“ kategorisiert und gut ist, sondern sie werden in ihrer konkreten Art und Weise genauer beobachtet, beschrieben und folgendem Zwischenfazit zugeführt: „So werden Literarisierung und erkennbare Elemente des Märchenhaften nicht zum Lack auf einer funktionierenden ,ideologia manichea‘, sie zersetzen diese vielmehr“. Flemings Ästhetik wird demnach als Ästhetik der Collage lesbar. Abschließend wagt Föcking die Spekulation, inwieweit heutzutage nicht auch für Ecco die Bond-Romane sich als innovativer und bedeutsamer erweisen würden, etwa als „von Referenzdruck entlastete Märchen für Erwachsene“, in denen „Trash und das Zeug zum Klassiker friedlich koexistieren“.

Im zweiten Teil geraten Transformationsprozesse und „mediale Expansionen“ in den Blick. M. Neumann thematisiert unter dem Aspekt des Parodistischen die „Jaime Bunda-Romane“ des angolanischen Schriftstellers Pepetela, der mit bürgerlichem Namen Artur Carlos Muaricio Pestana dos Santos heißt. In seinen Romanen hat ein Agent mit ungeheurem „Gesäß“, worauf das portugiesische „Bunda“ bereits als speaking name verweist, mehr die „Lizenz“ zum Scheitern und Poltern als jene zum Töten, was ihn zu einem erfolgreichen Serienstar werden ließ. In der „Stimme des Autors“ erkennt diese basale narratologische Studie jedoch zudem auch noch eine „,Lizenz‘ zur Metanarrativität“.

K. Hicketier widmet sich in seinem Beitrag der paradigmatischen Bedeutung früher Bondromane und Bondfilme. Dazu ist es notwendig, exakt jene Serien in den Fokus des Interesses zu stellen, an denen sich der realgesellschaftlich vollzogene „Wechsel von einer nachfrageorientierten zu einer angebotsorientierten Konsumkultur“ ablesen lässt. Die James Bond Filme mutieren derart betrachtet vor allem auch zu Benimmregeln der etwas anderen Art. Sie avancieren zu einem ‚Knigge‘ der „Einübung in den westlichen Konsumerismus als neuer Lebenshaltung am Ende der Nachkriegszeit.“

A. Pankratz sichtet die differenten Weltentwürfe im Kontext der jeweils relevanten Figurenkonstellationen innerhalb der cineastischen Narrationen am Beispiel einiger Bondfilme. Hierzu bezieht sie sich vor allem auf „Dr. No“ (1962) und „From Russian with Love“ (1963) einerseits und auf „Tomorrow Never Dies“ (1997) und „Die another Day“(2002) andererseits. Ihre ästhetischen Analysen vermögen dabei lange nicht so zu überzeugen wie es jenen von A. Redder und M. Föcking im ersten Teil des vorliegenden Sammelbandes gelang. Dies liegt vor allem daran, dass die ironischen Brechungen mittels rhetorischer Überblendungen und motivischem Marinismus des komplexen, multimedialen Erzählens weniger im Fokus methodischer und mehr im Interesse literaturkritischer Adnoten stehen. Interessanter und aufschlussreicher dagegen gelingen hier die Kommentare zu James Bond, die sich dieser Figur in ihrer Funktion als geschütztes Markenzeichen widmen oder aber als fiktiv gesetztes Vorbild für real nach zu vollziehende und historisch verbriefte machtpolitische Manöver.

Abermals detaillierter an den konkreten Filmtextbeispielen entlang argumentiert A. Böger in ihrem Beitrag „Zum Sterben schön: Das Bond-Girl als modische Projektionsfläche“. Bereits innerhalb der früheren Filme kann sie so, da sie Titelsequenzen und Hauptfilm jeweils als eigenständige ungeheuer aufwändig organisierte Erzählkomplexe würdigt, die Gegenläufigkeit der jeweils dominierenden Geschlechterkonstruktionen nachzeichnen. Schon in Bezug auf den ersten Bondfilm „Dr. No“ erweist sich ein mittels dieser Elemente inszeniertes Spannungsverhältnis als erzählkonstituierendes Movens. Dieser Raum mit differenten Schwellen und Übergängen legt einem audiovisuellen Erzählprozess Grund, der Klischees konstruiert, um sie sogleich komisch burlesk zu reflektieren und zu deformieren. Die stets als Trias auftretenden Bond-Girls entpuppen sich bei näherem Hinsehen also weder nur als willig dem männlichen Beobachterblick ausgesetzte ästhetische Eyecatcher noch als filmwissenschaftlich wenig relevante Beigabe, die einzig den Heldenglanz des Protagonisten Bond, James Bond zu untermalen hätte. Protagonist, Antagonisten und Bond-Girls wachsen in den ihnen zugesprochenen gegenläufigen und mehrfach codierten Handlungsräumen über das Klischeehafte immer deutlicher hinaus, so dass die anfangs noch wichtige „binäre Struktur des Bond-Universums, die stets auf einer nicht-horizontalen heterosexuellen Geschlechtermatrix beruht hat, immer brüchiger“ werden kann. Damit werden die Filme selbst aber auch immer zeitgemäßer und entgehen so dem Schicksal „Auslaufmodelle der Populärkultur“ zu sein.

T. Janz analysiert und kommentiert die narrativen Potenzen der Soundtracks. Insgesamt erweisen sich die Titelsongs dabei als eher „jazzartig-orchestral“ oder „lyrisch-sentimental“. Der „harte Rock-Sound“, der diese Regel als Ausnahme bestätigt des Soundtracks von „The Man With The Golden Gun“ realisiert dann allerdings mittels musikalischer Stilmittel wie der „fallende[n] Quarte“, die an eine „fallende Sekunde“ anschließt und im Zusammenspiel mit der anderen Filmmusik tonal das passende ‚Lokalkolorit‘: „Gongs, chinesische Zimbeln und eine chinesische Zither“ bezeugen, dass auch auf der Audioschiene die Form die Musik macht.

M. Tolan beschließt mit seinem Beitrag „Die Mythen aus Goldfinger“ den zweiten Teil aus der Perspektive eines Physikers. Damit bereitet er zugleich den abschließenden Teil auf ungewöhnliche Weise vor, der sich der „Arbeit am Mythos“ namens Bond dann philologisch im Umfeld antiker Mytheme widmen wird. Tolans stellt unter dem Titel „Die Mythen aus Goldfinger“ höchst naturwissenschaftliche und gerade darin aber auch höchst amüsante Proben aufs Exempel an. So fragt er, ob die fiktionsimmanent gesetzten Methoden des Mordens, also etwa die jeweilige Logik des Tatvorgangs, die Effizienz der Tatwaffe, der angenommene oder erschließbare Todeszeitpunkt und die Todesursache den physikalischen Gesetzmäßigkeiten unserer real existenten Welt Stand halten würden oder nicht. Am Beispiel des so prominenten Mordes mittels einer vermeintlichen Goldglasur aus dem Film Goldfinger etwa, in dem „James Bond […] Jill Masterson vollständig mit Gold überzogen auf ihrem Bett – tot“ vorfindet, ist rekonstruierbar, dass es sich unter heutzutage in Mitteleuropa normalen Umständen nicht ganz so leicht auf diese Weise sterben ließe. Interessanterweise werden die Überlebensstrategien Bonds selbst erst gar nicht zum Gegenstandsfeld physikalischer Neugierde erhoben. Dabei überlebte 007 ja bereits innerhalb dieses 1964 gedrehten Filmes einen ähnlich berühmt gewordenen cineastischen Mordanschlag Auric Goldfingers, wie es der gerade geschilderte ist, dem das Bondgirl allerdings leider erlag.

Wer kennte sie nicht, diese Szene, in der Bond wehrlos daliegt und ein glimmend blau bis giftgrün drohender Laserstrahl als Kettensäge fungierend nicht ganz zufällig unterhalb der Gürtellinie Bonds zielt, und so dessen sozusagen geschlechtsspezifisch maximal entwürdigenden Ruin mit tödlichem Ausgang vorbereitet? Bond setzt wie so oft auf Zeitgewinn durch smarte Sprüche, gerichtet an den Oberbösen: „Erwarten Sie von mir, dass ich rede?“ – Auric Goldfinger, unnachahmlich gespielt von Gerd Fröbe antwortet kurz, knapp und präzise, was der US-amerikanische Drehbuchautor Richard Maibaum ihm in den Mund gelegt hatte:: „Nein, Mr. Bond, Ich erwarte von Ihnen, dass Sie sterben.“

Wollte man die physikalische Wahrscheinlichkeit ausrechnen mit der James Bond in unserer realen Welt die dramatischen Anschläge auf sein Leben überleben könnte, man gäbe sich gerade in Bezug auf die frühen Filme der Lächerlichkeit preis. Natürlich erwarten wir, dass eine Figur fantastischen Erzählens, in welchem Medium auch immer dies geschehen mag, die bedrohlichsten, makabersten und unmöglich überlebbaren Abstürze und Angriffe überlebt: ohn einen Kratzer, ohne blauen Fleck und mit perfekt sitzendem Galaanzug und ebensolcher Frisur. Kurzum: wir erwarten, dass der etwas andere Märchenprinz auf der Hetzjagd gegen das Böse eine gute unverwüstliche Figur macht, just to please us! Dies gilt jedenfalls ganz entschieden für die ersten Bond-Filme, es gilt nicht mehr so für jene, die Daniel Craig als 007 Agenten zeigen. – Tolan unterläuft also in seinem Beitrag den Märchen-Pakt und zielt von einer anderen als der komparatistisch und narrativ geschulten Perspektive aus auf die Dekonstruktion von alltagsmythologischen Vorstellungen physikalischer Gesetzmäßigkeiten. Gerade darin liegt der Gewinn dieses etwas anderen Forschungsblicks auf das Gegenstandsfeld „Spynovel“.

Im Gegensatz dazu wählen die den Band beschließenden beiden Beiträge des dritten Teils intendierter Weise einen vergleichenden kulturhistorischen Fragehorizont aus, innerhalb dessen sie das typisch Mythische dieses Agententhrillers je spezifisch vor dem Hintergrund antiker respektive christlich geprägter Mythopoetik in den Blick nehmen.

Einen so gewagt wirkenden, so aufschlussreichen und bereits innerhalb der vorausliegenden Forschungsliteratur geebneten Weg schlägt der klassische Philologe Ch. Brockmann ein. Das Korrespondenzobjekt der vergleichenden Heldensichtung kündigt nicht nur der Titel, sondern auch das den Beitrag selbst eröffnende Zitat unmissverständlich an. Dort heißt es: „Den Mann nenne mir Muse, den vielgewandten…“. Nicht nur Bond erweist sich innerhalb dieser ungeheuer detailverliebten und cineastisch wie philologisch äußerst kompetenten Studie als mythischer Nachfahre Odysseus. Auch andere Figuren und Figurenkonstellationen weisen entfernte Ähnlichkeiten zu dem figurativen Personal der Odyssee auf. So erweist sich bei genauerem Hinsehen schon Moneypenny schon mit ihrem Namen als moderne Nachfolgerin Penelopes, teilt sich aber in diese Rolle im Film „Octopussy“ (1983) mit ihrer neuen Assistentin, Miss Penelope Smallbone. Dies bleibt kein vereinzelter Nachweis, so dass ein Zwischenfazit lautet: „Auch in späteren Filmen der Bond-Reihe werden die Abenteuer des Odysseus durch bestimmte Szenen und Figuren oder auch witzige Bemerkungen und Pointen evoziert, Öfters hat es Bond z.B. mit Gegnern zu tun, die an Zyklopen erinnern.“

Den Schlusspunkt setzt ein Beitrag, der die mythischen Potenzen von Blockbustern noch einmal von einem anderem Blickwinkel aus und mit einem erweiterten Gegenstandsfeld zu beobachten sucht. H.-M. Gutmann vergleicht in seinem Beitrag „Opfer und Erlösung im Blockbuster-Film die James Bond Filme mit anderen Blockbustern, etwa mit Matrix und Avatar und gelang zu einem verblüffenden Ergebnis. Als Analyseinstrumentarium dient ihm dabei Voglers Buch „Die Odyssee des Drehbuchschreibers.“ Legt man die dort ausführlich betrachteten Stationen und Arsenale der „Reise des Helden“ als Schema an mehrere Blockbuster an, wir erstens deutlich, dass das christliche Opfer-Erlösungs-Erzählmuster eine tragende rolle spielt und zweitens, dass es gerade die älteren James Bond Filme sind, die dem nicht entsprechen und darin eine gewisse Originalität enthalten.

Die nun hier publiziert vorliegenden Vorlesungen sind von recht unterschiedlicher Qualität. Das zeigt sich allein schon in der teilweise an Sorgfalt zu wünschen übrig lassenden Besprechung und Integration der relevanten und dem eigenen Ansatz vorausliegenden Forschungsliteratur. So gelangen einige Beiträge auch nicht wirklich über den bereits erreichten Forschungsstand hinaus, fallen eher sogar gelegentlich dahinter zurück. Denn James Bond als Buch- und Kinoheld ist längst schon innerhalb angelsächsischer und deutschsprachiger Wissenschaftsräume als lohnendes Objekt der analytischen Neugierde entdeckt worden, und zwar nicht nur und nicht einmal in erster Linie von Umberto Ecco, auf den vor allem zwei Beitragende in differenter Absicht Bezug nehmen.

Auch wissenschaftspropädeutisch und wissenschaftsjournalistisch liegen bereits eine Reihe guter Beiträge vor. Vor allem aber vermisst man dann doch eine eingehendere Auseinandersetzung mit den Mythentheorien, so dass oft unklar bleibt, welches Mythenkonzept den einzelnen Beiträgen zugrunde liegt, ob hier mehr nach Maßgabe Barths etwa oder nach Maßgabe Blumenbergs oder, oder gesichtet und argumentiert wird.

Dennoch: Zur Lektüre kann dieser Sammelband dennoch mit gewissen Einschränkungen nur empfohlen werden. Einmal, weil er auch wahre Sternstunden kulturwissenschaftlicher Beschäftigung mit Populärkultur enthält. So eröffnet Föckings eigenwillige und sehr konzise Lektüre ebenso wie Redders pragmalinguistische Studie eindeutig eine neue Sichtweise auf einen altbekannten Serientäter im Namen des Guten, der gerade innerhalb der neueren Filme zwischen Action, Thriller und Science Fiction gekonnt hin und her floated. Die beiden abschließenden Beiträge endlich sind ähnlich herausragend, weil sie ein noch zur weiteren Erschließung vorbereites Feld mythopoietischer Verfahren innerhalb gegenwärtiger Blockbuster fokussieren. Die narrative Potenz endlich von Musik arbeitet Janz nachvollziehbar heraus und Bögers Lesart der Bondgirls überzeugt allein darin sehr, weil sie gegen den Strich einer zu simplifizierenden feministischen Genderstudie argumentiert, vor der frau sich ähnlich dringend zu schützen lernen müsste wie sie es in Bezug vor alteingefahrenen Klischees patriarchalischer Provenienz längst gelernt hat.

Alles in allem vereint dieser Band eine bunte Mischung differenter Ansätze, die alle jedoch eindrucksvoll zeigen, dass sich eine Auseinandersetzung mit Popkultur lohnt. Damit aber eignete der vorliegende Band sich eventuell auch dazu, neben einem bunten Teller als Geschenk neben, unter oder trotz eines Tannenbaums einen guten Eindruck zu machen? – Jedenfalls könnte ein ebenfalls den Gabentisch zierendes Modellauto á la Aston Martin so nicht mehr ohne Weiteres als Indiz dafür gelten, dass hier jemand unreflektierter Weise dem Produktplacement auf den Leim gegangen sei. Vermag doch ein Buch gerade in Zeiten, in denen ihm gelegentlich der Charakter abgesprochen wird, noch ein Leitmedium zu sein, für die notwendige Portion an ironischer Brechung zu sorgen, um einen tumben Konsumverdacht zu enthärten. Diesem Christkind reiche man dann eventuell weder Martini gerührt, noch geschüttelt noch egal wie, sondern allenfalls ein Bier jener holländischen Brauerei, die sich das eine Menge hat kosten lassen, ihr Produkt für den Bruchteil einer Sekunde in „Skyfall“ gemeinsam mit Bond, James Bond in Szene gesetzt zu sehen. Na denn: Frohes Fest!

Titelbild

Marc Föcking / Astrid Böger (Hg.): James Bond. Anatomie eines Mythos.
Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2012.
304 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783825358785

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