Prächtiger Leierschwanz Raddatz

Fritz J. Raddatz imaginiert die deutschsprachige „fauna literaria“ der Gegenwart

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„In diesem Bestiarium habe ich […] den Versuch gemacht, eine so kurze wie anschauliche und genaue Beschreibung derer lebenden Tiere zu geben, so ans Licht der Bücherwelt zu stellen Gott dem Herrn gefallen, und soweit sie im Gebiete der deutschen Sprache wesen und unwesen“. Mit diesen Worten leitete Franz Blei 1922 sein „Bestiarium der modernen Literatur“ ein, in dem er spielerisch zeitgenössische Schriftsteller lexikonartig und in satirischer Form als Tiere abbildete. Nun, 90 Jahre später, hat er einen prominenten Nachahmer gefunden: Fritz J. Raddatz hat sich den deutschsprachigen Schriftstellern der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit angenommen und sie gleichfalls in einem „Bestiarium der deutschen Literatur“ gebannt.

Der ehemalige Feuilleton-Leiter der „Zeit“ gestaltet in seinem „Schmunzel-Brevier“ die deutschen Dichter in tierische Wesen um: So transformiert er Peter Kurzeck in einen Igel, Nobelpreisträgerin Herta Müller in eine Viper und Wolf Biermann in einen Eichenprozessionsspinner, der „Deutschland in Angst und Schrecken versetzt“. Mit Begriffen aus dem Tierreich will Raddatz die Schriftsteller möglichst kurz, doch satirisch treffend porträtieren – was ihm mal mehr, mal weniger gut gelingt.

Bisweilen verliert sich Raddatz in seinen Tiermetaphern, zwingt allzu menschliches in das tierische Korsett: so muss „Schmetterling“ Daniel Kehlmann mottengleich das Licht umschwirren und sich Huhn-Kreuzung Andreas Maier „unter den Apfelbäumen eines neu errichteten Hauses majestätisch pickend“ sichten lassen. Mitunter fehlt Raddatz’ Bildern schlichtweg das Hintergründige und Ausdrucksstarke, um wirklich überzeugend zu sein, fallen seine Ideen ins Alltägliche und Witzlose ab. Hier hilft als Gegenstück ein Blick in Bleis’ Original: Wenn er Thomas und Heinrich Mann als zwei Holzkäfer zeichnet, die zwar „immer auf demselben Baum“ leben, „aber auf dessen gegengesetzten Seiten, da sich die beiden Holzkäfer durchaus nicht leiden können“, beweist er Ideenreichtum wie Präzision gleichermaßen – und damit zwei Elemente, die Raddatz vereinzelt vermissen lässt.

An anderer Stelle jedoch wissen Raddatz’ liebevolle Skizzen vollends zu überzeugen, werden seine Assoziationen und Metaphern dann doch ausnehmend zielsicher. Aus Thomas Bernhard wird bei ihm ein „Fledermausartiger Totenvogel, dessen Flügel ihn klebrig umschlingen“, ein Wesen, das „als bösartig gegenüber seine Umwelt gilt“. Oder zum öffentlichkeitsscheuen Patrick Süskind: „Das Süskind […] ist eine kapriziös-seltene, vielarmige Variante des Tintenfisches. Das wendige Tier zu fassen ist schwierig, weil es sich auf der Flucht in jeweils seiner Umwelt angepaßte farbige und stark riechende Tintenwolken hüllt.“ Fantasiereicher und zugleich auch treffender sind einige der hier vertretenen Autoren noch nicht beschrieben worden.

Besonders sehenswert sind die Illustrationen zu Raddatz’ „Bestiarium“, mit spitzem Bleistift von Klaus Ensikat gezeichnet. Sie verleihen den Assoziationen Raddatz’ die nötige Anschaulichkeit und hauchen der „fauna literaria“ stilvoll Leben ein. Insbesondere die aufwendigen Innenseiten des Einbandes, die Raddatz inmitten seiner Gestalten zeigen, und die seitengroßen Zeichnungen, wie im Falle „Nashorn“ Heinrich Böll und „Aal“ Günter Grass sind mehr als einen flüchtigen Blick wert und ermöglichen dem aufmerksamen Betrachter so manche Entdeckung.

Wer nach der kurzweiligen Lektüre letzten Endes noch am Zweifeln ist, wie er dem schmalen Bändchen denn nun gewogen sein soll, der wird letztlich spätestens durch Raddatz’ ironisches Selbstporträt am Ende des Buches positiv gestimmt sein. Hier beherzigt der 81-Jährige das vorangestellte Bonmot Kurt Tucholskys: „Was darf die Satire? Alles.“ Raddatz zeichnet sich selbst nach Ambrose Pratts „Menura. Prächtiger Vogel Leierschwanz“ als legendäres und eigenwilliges Federvieh. Dabei spart er nicht mit Selbstironie und weist augenzwinkernd darauf hin, „daß der sexuelle Appetit“ dieser Gattung „sich durchaus auch auf das eigene Geschlecht konzentrieren kann“.

Fritz J. Raddatz hat mit seinem „Bestiarium der deutschen Literatur“ eine kleine, unterhaltsame Lektüre gezimmert, deren Einfälle zwar nicht in allen Fällen zünden mögen, jedoch zweifelsohne einige Highlights bereithalten. Wenngleich Raddatz’ Variation nicht an die Originalität des Blei’schen Klassikers heranreicht, so hält es doch gerade in Kombination mit den genialen Zeichnungen Klaus Ensikats für alle Kenner der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur einige Überraschungen bereit und wird daher zu einem interessanten Autoren-Führer, der den Leser so manches Mal zum Schmunzeln verführt.

Titelbild

Fritz J. Raddatz: Bestiarium der deutschen Literatur.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2012.
192 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498057930

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