Im Schatten zweier Revolutionen

Im Band „Teheran, Stadt ohne Himmel“ beleuchtet Amir Hassan Cheheltan die Kehrseite der Geschichte, die er in den ersten beiden Teilen seiner Teheraner-Trilogie erzählt hat

Von Beat MazenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beat Mazenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man braucht in diesem neuen Buch von Amir Hassan Cheheltan nicht weit zu lesen, um zu begreifen, warum dieser Autor in seiner iranischen Heimat verboten ist und warum dieses Buch hier erstmals unzensiert erscheinen kann. „Teheran – Stadt ohne Himmel“ zeichnet das finstere, ambivalente Bild eines Landes, das in der Person von Kerâmat eine verstörende und grausame Personifikation erhält.

Kerâmat ist männlich, mutig und brutal. Die Quelle seines Tuns liegt nicht im Kopf, sondern in seinen Lenden, wohin er gewohnheitsmäßig greift, wenn er verwirrt oder aufgeregt ist. Kerâmat liebt die Frauen weniger als dass er sie sich untertan macht – mit Erfolg, denn seine Männlichkeit verfehlt ihre Wirkung nur selten. Einzig die schöne, verführerische Talâ weiß, wie mit ihm zu spielen ist, ohne dass sie dafür büßen müsste. Kerâmat lernte sie 1968 kennen, als er sich mit diversen Geschäften etablierte und sich vor einer Edelprostituierten wie Talâ zumindest nicht zu schämen brauchte. Allfällige Nebenbuhler räumte er aus dem Weg. Doch Talâ verließ wenige Jahre darauf die Heimat, um erst 1994 wieder zurückzukehren.

Die Erfolgsgeschichte Kerâmats spannt sich zwischen zwei Revolutionen auf. 1953 erwies er sich beim Staatsstreich gegen die gewählte Regierung Mossadegh als ebenso willige wie effiziente Kraft, mit der im Folgenden während der Schah-Herrschaft zu rechnen war. 1979 stellte er sich bigott in den Dienst der islamischen Revolution, um schließlich zum Herr über Leben und Tod im Foltergefängnis Ewin aufzusteigen. Doch damit ist Kerâmat am Ende der Karriereleiter angelangt, mehr liegt für den Sohn vom Land nicht drin, der 1941 als Zwölfjähriger von zuhause ausriss, um in Teheran ein neues Leben zu finden. „Eine Chronologie von Albtraum und Tod“ heißt Cheheltans dritter Teil der Teheraner Trilogie im Untertitel – er bezieht sich auf Kerâmats Leben und Wirken ebenso wie auf die politische und gesellschaftliche Realität in seiner Heimat Iran.

Der Roman erzählt eine iranische Geschichte im Spiegel seines Helden. Als mutiger, kräftiger Jüngling fand Kerâmat in den 1940er-Jahren Unterschlupf in einer der berüchtigsten Gangsterbanden Teherans, die tatkräftig dazu beitrugen, dass 1953 die Regierung Mossadegh gestürzt wurde. Im Roman „Amerikaner töten in Teheran“ hat Cheheltan diesen Sturz aus der Optik eines amerikanischen Komplotteurs erzählt, der den Teheraner Untergrund zu instrumentalisieren wusste. In der Schahzeit trieben diese Kräfte weiter ihr Unwesen, sie jagten und folterten Kommunisten (wie Resa in „Amerikaner töten“), sie trieben dubiose (il)legale Geschäfte aller Art und gelangten so zu Reichtum und Ehren. Vor allem Letzteres schrieben sich Gangster wie Kerâmat nur zu gerne auf die eigene Fahne. Sie glaubten inbrünstig daran, dass sie „das schutzlose Volk“ retteten und „die Ehre der Nation“ verteidigten. 1953 ebenso wie 1979.

Doch alles Glück hat ein Ende und aller Erfolg eine verdeckte Kehrseite. Cheheltan erzählt seine Geschichte aus der Optik des nunmehr 65-jährigen Helden, der 1994 ermüdet und einsam zuhause im Dunkeln liegt und sein Leben wie in einem Bewusstseinsstrom durch sich hindurch rieseln lässt: assoziativ, ungeregelt, mit historischen Details durchsetzt. In diesem Strom kristallisieren sich nach und nach auch die wunden Punkte heraus: Gefühle der Unbehaustheit ohne seine verlassene Mutter sowie ein grausames Initialerlebnis bei seiner Ankunft in der Stadt. Hungrig und ohne Geld strolchte der Neuankömmling durch die nächtlichen Straßen, als ihm ein englischer Offizier einen Geldschein hinstreckte und sich dafür am Jungen verging. In seinem tiefsten Innern fühlt sich Kerâmat seither als der Gedemütigte und Gefickte, wogegen er auch mit Gewalt und Terror nicht ankommt. Talâ gegenüber deutet er dieses Geheimnis einmal an, ohne es ganz, im Detail preiszugeben: Ja, er sei eine „wichtige Persönlichkeit“, doch „bloß damit ich mich Tag für Tag ficken lassen muss!“

Cheheltans Roman ist eine direkte, schonungslose und politisch nicht ungefährliche Schilderung der Geschichte Irans. „Teheran, Stadt ohne Himmel“ ergänzt dabei wunderbar die anderen zwei Bände der Trilogie; gemeinsam runden sie sich zu einem sinnfälligen Ganzen.

So schillernd ungehobelt, lückenhaft, zuweilen willkürlich jeder der drei Bände für sich wirken mag, demonstriert jeder für sich dennoch Kraft und Leidenschaft. In diesem Band hier beispielsweise in einer Reminiszenz an die islamische Revolution 1979, die sich in Kerâmats Kopf bis ins Unkenntliche vermischt mit Bildern aus der Revolution von 1953. Für ihn verwischen sich die Differenzen, er versteht nicht, wovon die andern reden, doch er ist da, wenn’s ans Hauen und Stechen geht. Ein Opportunist, oder nur ein williges Werkzeug der Herrschenden? Kerâmat sähe sich lieber als Verteidiger der iranischen Ehre wider alles Ausländische. Am Ende muss er jedoch Acht geben darauf, dass er als Folterknecht nicht seine alten Tätowierungen vorzeigt: Bildnisse des Schahs und seiner Gemahlin.

Cheheltans Roman wird bei der iranischen Zensur wohl kaum je Gnade finden, seine Schilderungen sind zu nah an der Wirklichkeit angesiedelt. Dass dieser dritte Teil immerhin gekürzt erscheinen konnte, ist wohl eher dem Missverständnis geschuldet, dass er Szenen aus der Revolution von 1979 erzählt. Unterschwellig rumort in diesem beeindruckenden Roman indes eine zuweilen hämische, ätzende Ironie, vergleichbar der Demütigung in Kerâmats Albträumen.

Allmählich läuft seine Zeit aus. Der Roman beginn um vier Uhr nachmittags, rückt Stunde um Stunde vor bis zur Schlafenszeit. Am Morgen kehrt Kerâmat nochmals ins Foltergefängnis zurück, wo ihn der Anruf der zurückgekehrten Talâ erreicht, die ihn unbedingt sehen will. Vier Uhr nachmittags treffen sie sich, beim Auseinandergehen blickt er versonnen ihrem Hintern nach, als ein Motorrad vor ihm hält und Kerâmat mit ein paar Schüssen niedergestreckt wird. Verrat oder Zufall? Cheheltan hält sich bedeckt, er weiß, dass Gerüchte und Gemunkel untrennbar zur Diktatur gehören.

Titelbild

Amir Hassan Cheheltan: Teheran, Stadt ohne Himmel. Roman.
Übersetzt aus dem Persischen von Kurt Scharf.
Verlag C.H.Beck, München 2012.
222 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406639432

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