Führer war alles besser – später vielleicht auch

Anmerkungen zu der verstörenden Satire „Er ist wieder da“ von Timus Vermes

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Umschlag des vorliegenden Buches hat einen hohen Wiedererkennungswert. Dies mag nicht nur an der einfachen, leicht verständlichen Grafik der Titelgestaltung liegen. Es ist auch eine fast allgemeinverständliche Metapher, mit der hier gearbeitet wird. Und es ist ein Versprechen an den Leser. Hier wird mit einem Allgemeinplatz gearbeitet, der, wie man an dem kommerziellen Erfolg des Romans sieht, offensichtlich von vielen verstanden wird: „Hitler“. Und dabei ist nicht nur die historische Figur von Timus Vermes gemeint, sondern auch die heterogene Rezeptionsgeschichte des Schlagwortes und der historischen Figur. Und schon an dieser Stelle, in diesem Text, beginnt sich der Name „Hitler“ – nicht nur beim Schreiber, sondern auch bei dem Leser dieser Rezension – in verschiedene Bestandteile aufzusplittern. Oder besser formuliert: „Hitler“ bedeutet für jeden etwas anderes.

Selbst bei Personen, die den Nationalsozialismus noch erlebt haben, besteht durchaus ein differenziertes Verhältnis zu den Vertretern der herrschenden Eliten vor 1945 und ihrem oberstem Befehlsherren. Aber genau diese Problematik der Rezeption, des Missverständnisses, hat Timus Vermes in seinem Roman thematisiert und sogar humorvoll beleuchtet, etwa wenn er eine Krankenschwester, die nach dem „Führer“ sehen muss, der ironischerweise von Rechtsradikalen zusammengeschlagen wurde, sagen lässt, das sie nur „nach dem Rechten sehen möchte“ und Hitler daraufhin antwortet, der „Rechte“ sei schon aufgestanden. Dabei ist diese fast kalauernde Art des Buchs eine geschickte Tarnung, um auf diese besagte Verschiebungen in der Rezeption zu verweisen, die an anderer Stelle, wenn etwa die politischen Ansichten Hitlers ebensolchen Missverständnissen ausgesetzt sind, ganz andere Folgen haben können.

Worum geht es also in diesem leicht als Satire abzuhandelnden Roman von Timus Vermes? Sein Ausgangsszenario ist simpel. Adolf Hitler erwacht in der Gegenwart auf einem ungenutzten Grundstück in Berlin. Er steckt in einer leicht nach Benzin riechenden Uniform und ist offensichtlich im selben Alter wie im Jahr 1945, also 56 Jahre alt. Er selbst erinnert sich noch an die letzten Tage im Führerbunker, bis kurz vor seinem offiziellen Tod. Mit diesem Erlebnishorizont beginnt er seine Odyssee durch das Berlin des 21. Jahrhunderts. Er hat kein Geld, keine Vasallen und vor allem kein Volk. Und da der Roman aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur erzählt wird, erfährt der Leser auch nur die Meinung Hitlers zu diesen Problemen.

Hitler macht sich auf in eine neu strukturierte Welt. Deren Mechanismen und Neuentwicklungen – nicht nur im Bereich der Technologie – begreift er schnell und kann diese für seine Zwecke einsetzen. Denn seine Absichten und Ansichten scheinen sich seit 1945 nicht geändert zu haben. Die Möglichkeiten des Mobiltelefons, des Internets und des Fernsehens lassen ihn wehmütig an seinen ehemaligen Mitstreiter und Medienfachmann Joseph Goebbels denken, der sich über diesen Fortschritt in den Medien sicher gefreut hätte.

Adolf Hitler wird anfangs auf der Straße mit der Filmfigur Stromberg – das ist Christoph Maria Herbst, der auch das Hörbuch von „Er ist wieder da“ eingelesen hat – verwechselt. Anschließend vermittelt ihn ein freundlicher Kioskbesitzer als „Hitler-Darsteller“ an einen privaten Fernsehsender. Die Aufmerksamkeit des Lesers sollte sich schon hier auf die Verschiebung der Perspektiven richten. Hitler meint seine Kommentare, Situationseinschätzungen und Meinungen zum aktuellen Geschehen ernst. Seine Gegenüber suchen jedoch immer nach der Ironie, dem Humor und der Doppeldeutigkeit. Diese Bedeutungsebenen sind zwar vorhanden, von Hitler aber nicht intendiert. Darüber hinaus kann er witzig, humorvoll und ironisch sein: „Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube, dass eine Führerpersönlichkeit alles wissen muss. Sie muss nicht alles wissen. Sie muss nicht einmal das meiste wissen, ja es kann sogar so weit gehen, dass sie überhaupt rein gar nichts wissen muss. Sie kann der Ahnungsloseste der Ahnungslosen sein. Jawohl, auch blind und taub nach einem tragischen Bombentreffer des Feindes. Mit einem Holzbein. Oder ganz ohne Arme und Beine, sodass beim Fahnenappell sogar der Deutsche Gruß völlig unmöglich ist und beim Absingen des Deutschlandliedes nur eine bittere Träne aus dem lichtlosen Auge rollt.“

Und hier liegt seine Gefährlichkeit verborgen. Er ist flexibel, wortgewandt und kann Situationen auch auf den Metaebenen richtig einschätzen. Die Analyse der gegenwärtigen politischen Situation ist treffend, auf den Punkt genau. Die NPD wird als lächerlicher, chaotischer Haufen dargestellt, die SPD schneidet auch nicht besser ab: „Es trieb mir im Angesicht der Sozialdemokratie die Tränen in die Augen, wenn ich etwa an einen Otto Wels dachte, einen Paul Löbe. Gewiss, das waren vaterlandslosen Gesellen, Lumpen, gar keine Frage, aber doch Lumpen von einem gewissen Format. Heute wurde die deutsche Sozialdemokratie von einem penetranten Wackelpudding und einer biederen Masthenne geleitet.“

Bei der Lektüre der vierbuchstabigen Boulevardzeitung fühlt sich Hitler, mittlerweile erfolgreicher Star einer Comedysendung und neuer Stern am Medienhimmel, an seine ehemaligen „Partei-Zeitungen“ erinnert: „Das Blatt vermittelte eine durchaus ansprechende Mischung aus Volkszorn und Gehässigkeit. Den Anfang machten Berichte von politischen Tölpeleien, es formte sich das Bild einer so tumben wie jedoch letztlich immerhin gutartigen Kanzlermatrone, die unbeholfen durch eine Horde hinderlicher Zwerge schlurfte. Parallel dazu wurde von dem Blatte so gut wie jede demokratisch ‚legitimierte‘ Entscheidung als völliger Unsinn entlarvt. Insbesondere der Gedanke der europäischen Einigung war der herrlichen Hetzschrift komplett zuwider.“

Das Erschreckende bei der Lektüre ist die Zustimmung, die der Protagonist an vielen Stellen beim Leser findet und finden wird. Und Adolf Hitler ist überzeugt davon, das dieses ziellos herumirrende Volk ohne Ziele, nur dem Konsum verfallen und geleitet von einem Haufen entscheidungsunfähiger Politiker, eine neue Führungsspitze benötigt. Seine Personalityshow, die auch ein wenig an die ehemalige Harald Schmidt-Show erinnert, heißt folgerichtig „Der Führer spricht“. Er trifft auf Zustimmung, man rezipiert ironisch, aber auch unreflektiert und findet seine derben, diskriminierenden und natürlich eigentlich bekannten Ansichten ganz stimmig. Das einzige Problem ist nur, dass es keine Comedy und der Darsteller kein Darsteller ist, sondern eben der „Führer“ selbst. Und der Roman ist auch auf der sprachlichen Ebene sehr authentisch, durchaus vergleichbar mit den „Tischgesprächen“ Hitlers.

Besser hätte man es kaum auf den Punkt bringen können, wenn sich der Leser am Ende der Lektüre in dem Zwiespalt zwischen Wissen und Emotion, zwischen Zustimmung und Ablehnung befindet – und den richtigen Weg argumentativ finden soll, um rational die Gefahr „Hitler“ zu erkennen. Das Bild des Autors von dem Leser ist das eines kompetenten, gebildeten und reflektierenden Lesers, der mit rationalen, aufklärerischen Argumenten überzeugt werden kann. Dies ehrt den Autor, aber trifft es die Realität? Ist es nicht eher das Unbewusste, sind es nicht eher die Gefühle, die der Protagonist geschickt aktiviert? Trotzdem, großes Kino, Herr Vermes!

Titelbild

Timur Vermes: Er ist wieder da. Roman.
Bastei Lübbe, Köln 2012.
400 Seiten, 19,33 EUR.
ISBN-13: 9783847905172

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