Mehr als eine bloße Wiedergabe von Inventaren

Norbert Furrer belebt mit „Des Burgers Buch“ die Privatbibliotheksgeschichte

Von Jochen SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jochen Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Privatbibliotheksgeschichte kann mittlerweile auf eine langjährige Tradition zurückblicken, in der sich die Forschung meist auf einzelne Bibliotheken als Untersuchungsgegenstand beschränkte. Die Untersuchung des Buchbesitzes war dabei meist nur ein Mittel, ihren Besitzer und seinen geistigen Hintergrund vorzustellen. Dagegen blieben die weiteren Möglichkeiten solcher Untersuchungen allenfalls im Hintergrund präsent. Trotz zahlreicher Veröffentlichungen bleibt das Manko, dass die erhobenen Daten nicht verglichen werden können, da bislang kein Konsens über ein einheitliches Vorgehen, geschweige denn über eine vergleichbare Darstellung der Ergebnisse erlangt werden konnte.

In „Des Burgers Buch“ hat der Berner Historiker Norbert Furrer nun weit über 100 Berner Privatbibliotheken des 18. Jahrhunderts untersucht. Grundlage der Untersuchungen sind die „Geltstagsrödel“, Versteigerungskataloge, in denen das Hab und Gut der Besitzer inventarisiert wurde. Trotz der Möglichkeit, vor der Inventarisation einzelne Bücher entfernen zu können, gelten solche Verzeichnisse als relativ sichere Quelle, den gesamten Buchbesitz eines Individuums umfassend greifen zu können. In Furrers Untersuchung stehen zahlreichen Kleinstbibliotheken mit bis zu zehn Werken, über die nur wenige Aussagen möglich sind, 37 Kleine und Mittlere Bibliotheken gegenüber, die genauer untersucht werden. Ergänzt wird das Buch durch eine reiche Materialsammlung, die diverse Quellen zur Berner Buchgeschichte des 18. Jahrhunderts liefert, und ein Register zu den in den Berner Bibliotheken präsenten Autoren.

Beachtung verdient das Buch vor allem aufgrund der Einleitung, in der sich Furrer ausführlich für sein Vorgehen rechtfertigt. An mehreren Stellen werden dabei auch alternative Methoden diskutiert, sodass der Leser gut erkennt, dass die Untersuchung über Jahre hinweg entstanden ist, in denen Furrer mit Fachkollegen und Studenten ausgiebig über sein Vorhaben diskutierte. Die zeitweise schwer zugänglichen Einleitungskapitel werden von einer Reihe Tabellen ergänzt, die auch dem Laien einen leichten Zugang zur Erforschung der Privatbibliotheken ermöglichen. Man mag in dieser Einleitung nicht an jeder Stelle mit Furrer übereinstimmen, doch da seine Rechtfertigung in angemessener Ausführlichkeit dargelegt wird, erhält die Forschung eine gute Grundlage für eine zukünftige Diskussion zur Erforschung von privatem Buchbesitz.

Obwohl sich Furrer mit der Berner „Leseelite“ des 18. Jahrhunderts auf eine eng umrissene Personengruppe beschränkt, ist jede Bibliothek ein Spiegel ihres individuellen Besitzers. Dies wird durch Furrers Verzicht auf eine genaue Untersuchung der einzelnen Bibliotheken, die nur exemplarisch vorgeführt wird, zugunsten einer grafischen Darstellung schnell deutlich. Der Autor wird schließlich auch nicht müde, vor den Problemen der Privatbibliotheksgeschichte zu warnen. Ein bisschen Mut zur Interpretation der Ergebnisse hätte man sich an mancher Stelle trotzdem gewünscht.

Es überrascht kaum, wenn „Des Burgers Buch“, wie Norbert Furrer schon im Vorwort schreibt, als Materialsammlung erscheint. Statt übereilte Schlüsse aus den vorgestellten Quellen zu ziehen, lässt Furrer diese für sich sprechen und beschränkt sich auf eine kurze Schlussbetrachtung. Norbert Furrer hat mit „Des Burgers Buch“ kein Lesebuch und auch keine abgeschlossene Arbeit vorgelegt. Der unvoreingenommene Leser erhält hier vielmehr eine gelungene praxisnahe Einführung in die Problematik und wird in die Vielfalt des privaten Buchbesitzes des 18. Jahrhunderts eingeführt. Der Experte findet hier eine reiche Sammlung transkribierter und rekonstruierter privater Buchbesitze, bei der allenfalls die fehlende Differenzierung zwischen sicher, wahrscheinlich und möglicherweise identifizierter Ausgaben negativ auffällt. Ansonsten sollte Furrers detaillierte Vorstellung seiner Vorgehensweise zu Diskussionen anregen und der Privatbibliotheksforschung auf dem Weg zu einer einheitlichen Methodik, die zu vergleichbaren Ergebnissen führt, neuen Schwung verleihen.

Titelbild

Norbert Furrer: Des Burgers Buch. Stadtberner Privatbibliotheken im 18. Jahrhundert.
Chronos Verlag, Zürich 2012.
824 Seiten, 80,00 EUR.
ISBN-13: 9783034011136

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