Den Unerforschlichen ruhig veralbern

Wenzel Storchs liebevolle Hommage an Arno und Alice Schmidt

Von Stefan HöppnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höppner

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Darauf muss man erst mal kommen: Eine Biografie Arno Schmidts und seiner Frau Alice – aber in grellbunten Kinderbildern wie aus dem Malwettbewerb einer Kreissparkasse oder frisch von der Kühlschrankwand einer Familienküche. Das Kind heißt allerdings Wenzel Storch, ist bereits Mitte 50 und im Hauptberuf Filmemacher. Die bonbonbunten Bilder stammen dann auch nicht aus der Raiffeisenbank von Bad Salzuflen, sondern aus konkret.

Wer hofft, hier fundamentale Informationen über den Autor zu bekommen, wird enttäuscht. Vieles stimmt zwar, wird aber konsequent verfremdet und verhohnepipelt. So die Tatsache, dass der Roman „Das steinerne Herz“ zuerst „Gesicht aus Kartoffelschalen“ heißen soll, und dass der Lehrer Wilhelm Michels als Mäzen fungiert und die Schmidts in seinem Opel Kapitän herumchauffiert. Aber wo die Grenze zur Erfindung verläuft, merkt nur, wer mit Schmidts Biografie schon vertraut ist. Eine Studienreise nach Peenemünde hat es garantiert nicht gegeben. Im Grunde sind die Ereignisse aber ohnehin nur die Basis für Bildmotive wie „Wieder zu Hause, muß Arno kotzen“ oder eine Filzstiftzeichnung, die Alice Schmidt beim Verhauen ihrer Katzen zeigt. Manche Erfindungen sind dann auch – Verzeihung – schlagend, wie eine mit Maggi gefüllte Hausbar (Schmidt liebte tatsächlich Maggi) oder eine Tandemtour des jungen Ehepaars zur fiktiven, aber tatsächlich verehrten „Insel Felsenburg“. Ich habe mich jedenfalls beim Lesen vor Lachen weggeworfen.

Wie vertraut Storch mit Schmidts Œuvre ist, zeigen zwei Zeichnungen, auf denen des Autors angebliche Bewerbung bei der NASA zu sehen ist. Er lässt ihn auf dem ersten Bild die beiden Zukunftsromane „Die Gelehrtenrepublik“ und „Kaff auch Mare Crisium“ einsenden. Auf dem zweiten ist Wernher von Brauns Absage zu lesen: „Sehr geehrter Herr! Anbei die Gelehrtenrepublik zurück.“ Lustig ist nicht nur die angebliche Bewerbung, die Ablehnung imitiert auch einen Brief Schmidts aus der posthum publizierten Sammlung „Arno Schmidts Wundertüte“, in der dieser mit großer Geste an Klopstock schreibt: „Sehr geehrter Herr! Anbei den Messias zurück.“ Klopstock hatte aber ebenfalls eine „Gelehrtenrepublik“ (1774) geschrieben, die Schmidt sehr schätzte. So bekommt es Schmidt mit gleicher Münze heimgezahlt – noch dazu mit einem Titel, der geradezu als Klopstock-Plagiat gelten kann. Aufschlussreich ist aber auch, dass der in Kinderschreibschrift hinkalligrafierte Brief nur einen der beiden Schmidt-Titel nennt. Nicht abgelehnt ist nämlich „Kaff auch Mare Crisium“ – und das ist jener der beiden Zukunftsromane, der tatsächlich auf dem Mond spielt.

Ihre Fallhöhe gewinnen die Zeichnungen nicht allein aus dem generellen Kontrast zwischen „ernstem“ Sujet und „naiver“ Umsetzung. Komisch sind sie vor allem, wenn man den unglaublichen Ernst kennt, mit dem Schmidt sich in der Öffentlichkeit inszenierte (privat konnte das ganz anders aussehen), und wenn man weiß, wie ihn seine Leser vor allem in den 1970er- und 1980er-Jahren zum mysteriösen „Solipsisten in der Heide“ stilisierten, dessen Werk über fast jede Kritik erhaben sei. Nicht umsonst ist Jörg Drews, Gründer des Bargfelder Boten und „Anführer“ des (realen) „Arno-Schmidt-Dechiffrier-Syndikates“ mit Schlaghosen und Hornbrille zu sehen, wie er sich den Inhalt des Schmidt’schen Werkes als ganz, ganz kompliziertes Labyrinth denkt. Mag sein, dass mancher Schmidt-Verehrer das Buch als Provokation sieht. Eigentlich handelt es sich aber um eine liebevolle, überbordende Hommage. Noch dazu kommt sie aus dem Verlag einer Zeitschrift, die Anfang der 1960er-Jahre einige von Schmidts besten Erzählungen veröffentlichte und ihm damit überhaupt bei einer breiteren Leserschicht bekannt machte. Man kann diesem schreiend bunten Bändchen nur wünschen, dass es noch viele Leser findet.

Titelbild

Wenzel Storch: Arno & Alice. Ein Bilderbuch für kleine und große Arno-Schmidt-Fans.
Konkret Literaturverlag, Hamburg 2012.
88 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783930786664

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch