Die Bibliophilie des Jahres

Claudia Ott hat die Geschichte aus „101 Nacht“ in einer opulenten Edition herausgegeben

Von Jasmin M. HlatkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jasmin M. Hlatky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die bibliophile Edition des Jahres 2012 kommt dieses Mal ganz ohne Zweifel vom Manesse Verlag. Sorgfältig editiert, liebevoll gestaltet und prachtvoll ausgestattet präsentiert sich die „kleine Schwester“ der Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“ hier als wahres Fest für Leser. Alleine der rotsamtene, geprägte Einband ist schon beeindruckend, aber auch eine passende Hülle für den erzählerischen Reichtum der Geschichtensammlung.

Die Erzählungen selbst entfalten die gesamte Pracht der orientalischen Erzählkunst in all ihrer Opulenz. Kluge Fürsten, heimtückische Frauen, schöne Mädchen und verliebte Prinzen, die auf langen Reisen böse Schurken besiegen müssen – das Figuren- und Handlungsinventar erinnert stark an die Erzählungen aus „Tausendundeiner Nacht“, auch wenn es ganz andere Geschichten sind, die hier erzählt werden.

Im Nachwort werden dann sehr eindrucksvoll die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der vorliegenden Sammlung zu den Erzählungen von „Tausendundeiner Nacht“ dargestellt. Trotz vieler Ähnlichkeiten wie der Rahmenerzählung durch die schöne Schahrasad wird hier mehr als deutlich, dass die Erzählungen von 101 Nacht durchaus eigenständig sind.

Von der mittelalterlichen Handschrift, die als Vorlage für diese Übersetzung diente, befinden sich einige teilweise sehr detaillierte Abbildungen im Anhang. Darüber hinaus sind auch ihrer Beschreibung im Anhang ein paar Seiten gewidmet. Die kodikologische Analyse und die daraus resultierende Datierung auf die Zeit um 1234 kann dabei sicherlich von den wenigsten Lesern fachmännisch geprüft werden, liest sich aber auch für den Laien interessant und spannend. Dass man es hier mit einer sehr besonderen handschriftlichen Grundlage zu tun hat, ist nach der Lektüre des Anhangs wohl unumstritten – und ebenso, dass hier besondere Sorgfalt bei der Edition dieser Handschrift betrieben wurde. Das Buch schafft mühelos den Spagat zwischen bibliophiler, kritischer und (übersetzungs-)wissenschaftlicher Edition, eine beeindruckende Leistung.

Einziger, wenn auch winziger Kritikpunkt: Es hätte der Wissenschaftlichkeit der Edition sicherlich keinen Abbruch getan, wenn man kurz zu Anfang des Buches darauf hingewiesen hätte, dass die Zweifarbigkeit des Textes aus der Handschrift übernommen wurde. Vielleicht ist diese anfängliche Unklarheit über einzelne rot gefärbte Wörter oder Passagen jedoch der perfekte Anlass, das überaus informative Nachwort tatsächlich auch zu lesen. Wer dies nämlich bei diesem Buch unterlässt, dem entgehen nicht nur interessante textkritische und editorische Erläuterungen, sondern überdies die spannende Überlieferungsgeschichte dieser Sammlung.

Titelbild

Claudia Ott (Hg.): 101 Nacht. Nach der Handschrift des Aga Khan Museums.
Übersetzt aus dem Arabischen von Claudia Ott.
Manesse Verlag, Zürich 2012.
336 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783717590262

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