Ablehnen, was nach Rosen stinkt!

Björn Kuhligks Gedichtband „Die Stille zwischen null und eins“ ist ein Abenteuer

Von Thorsten SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thorsten Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist, als hätt’ Björn Kuhligk die Angst vor Routine und Normalität geküsst. Dass er seine Fahne gegen den Wind hissen muss und ablehnt, was „nach Rosen stinkt“, scheint der Antrieb für seinen neuen Gedichtband gewesen zu sein. Bloß kein Kitsch, bloß keine Romantik: „Die Stille zwischen null und eins“ hat Kuhligk seinen fünften Gedichtband getauft. Er führt uns hinaus in die Natur, hinauf an die Nordsee, hinunter an die Alpen, hinein nach Frankfurt und hinüber ins Zimmer eines kranken Kindes, auf dessen Atem wir achten. „Das Vergehen der schlafenden Körper/ aufhalten zu können, das wäre was“, wünscht sich einer, der zu viel arbeitet und dabei „die Poren dicht“ macht. Björn Kuhligk sucht die Öffnung, die Reinigung der Poren. Seine Gedichte schulen den Blick für Neues, sie gleichen einem Erkundungsgang. Bildfetzen, „die in der Stirn stecken“, mischt Kuhligk eigenwillig in eine neue Reihenfolge, um den Fokus neu zu setzen. Er beobachtet und kommentiert zugleich. Beobachtung und Reflexion bedingen einander und verschwimmen.

Vielleicht hat es der Dichter dabei häufig übertrieben. Die Auflösung des referentiellen Bezugs führt zu Unschärfen. Doch das Bedeutungspotential der zerschnittenen Gedanken bleibt erkennbar. „Von der Idee einer Oberfläche zu sprechen“, bezeichnet der Frankfurt Besuchende und während einer nächtlichen Tunnelfahrt aus dem Fenster Blickende als „Blödsinn“. Die zerstückelten Spiegelungen des Wageninnern in der Scheibe können nicht festgehalten werden. Eine Oberfläche bietet sich wahrlich nicht. Und wer sich auf die zuckenden Spiegelungen im Tunnel konzentriert, um etwas Konkretes zu greifen, der rudert schwindelnd mit den Armen: „Der Schmerz war groß“, wird ausgerufen. Mit Kraft stemmt sich Björn Kuhligk gegen die Schönheit. Während der Lektüre begibt sich der Leser auf einen verstörenden Pfad „zwischen Euphorie und Bitterkeit“ – ganz wie der kleine Junge in „Kurzfilm“, einem Gedicht, das zurück in die Kindheit führt. Ähnlich wie das lyrische Ich heranwächst, zeitlich und räumlich Fuß vor Fuß setzt und „hegemonial die Flut“ grüßt, muss der Leser vorgehen. Das Ganze ist nur im Einzelnen zu verstehen. Der Himmel ist vorhanden, aber: „Welche Tiere hab ich gesehen / welchen Himmel, welche Tiere / welchen Himmel, welches Gras“. Antworten auf die großen Fragen sind nicht notwendig. Die Zeilen kreisen und drehen sich wie Rilkes Karussell, das sogar wörtliche Erwähnung findet. Atemlos und fiebrig richtet der Dichter mitten in diesem Taumel den Blick auf das Wesentliche, die Liebe („die Liebe / ist ein Milchmädchen“). Die Bitterkeit ist vergessen, es wird getanzt. Und über die Zeilensprünge hinweg denkt das lyrische Ich „an ihre Brust“. Das ist der wahre Schmerz: „l’amour / natürlich“. Wen interessiert da noch, welche Tiere er gesehen hatte?

Der einst als Shootingstar der Berliner Lyrikszene gefeierte und mehrfach ausgezeichnete Jungpoet Björn Kuhligk ist reifer geworden. Den „romantisierte[n] Formationen“ vermag er sich nicht vollständig zu entziehen: Mit Tochter und Sohn wird ein Weihnachtsbaum aus dem Wald geholt. Verschneite Felder, ein Neuschneegarten und die Blüten der Friedhofsmagnolie drohen tatsächlich kitschige Romantik in die Zeilen zu ziehen. Hier droht die Normalität, die bereits erwähnte Angst vor der Routine. „Nichts von Belang“, wiegelt das lyrische Ich in einem anderen Gedicht ab. Rasch werden die letzten Exemplare einer Tierart als „überflüssige Randgruppe“ bezeichnet. „Einsame Buchten, Seen und Fjorde“ werden der Lächerlichkeit ausgesetzt. Denn es beginnt „das große Schmiegen“ – „Die Alpenkette an die Wasserfläche/ […] die Katze an den knisternden Hund“. Was andere Sicherheit nennen, wird Sachertorte genannt. Vermutlich lehnt sich in dem Moment jemand lächelnd wider die Spießigkeit zurück – „auf den Hügeln der Hochmut“, so lautet eine Überschrift. Auch der Humor findet seinen Platz: „Alles ist verständlich“, dies ist der letzte Vers des Buches. Bewegt man sich tastend und taumelnd im Nebel der Vielstimmigkeit, erscheint dieser beinahe spöttisch. Doch Kuhligk gibt die Anweisung rechtzeitig: „links / ein Weg, rechts ein Weg, passt schon“. Antworten sind schließlich „wie Weltraumschrott“. Im Raum herrscht Stille. Das Lesen hat sich gelohnt. Welch’ ein Abenteuer! Die Liebe ist ein Milchmädchen!

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Björn Kuhligk: Die Stille zwischen null und eins. Gedichte.
Carl Hanser Verlag, München 2013.
80 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783446241473

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