Wolfgangs Reise in die Literatur

Frühe und verstreute Prosa von Wolfgang Welt in „Ich schrieb mich verrückt!“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel spricht für sich. Es stimmt, Wolfgang Welt hat sich schon mal in die Verrücktheit hineingeschrieben. Aber er hat mit seinen Texten auch in ihr gelebt. So wie seine Texte verrückt sind, in ihrer Qualität und Authentizität neben der Norm liegen, so gewinnt man auch den Eindruck, dass der vorliegende Band neben der Norm, im positiven Sinne, also eigentlich weit über der „normalen“ Qualität eine Sammelbandes liegt. Es sind Texte eines Autors, der über Musik, über den Ruhrpott und über sein eigenes, teilweise vergeigtes, irgendwie abgerocktes, letztendlich aber auch durch sein Schreiben in Poesie verwandeltes, einmaliges Leben schreibt.

Der Charles Bukowski des Westens? Oder ist er der Woody Guthrie des Gonzo Journalismus? Was immer man für Bezeichnungen und Etiketten für Wolfgang Welt finden mag, man kann ihm nicht gerecht werden. Es ist kein Poetenleben, das er führt und es ist kein normales Leben, dem er sich hingibt. Er pendelt in seinen Texten ebenso wie in seinem Leben zwischen Tätigkeiten im Security-Bereich und Bohèmien-Existenz hin und her.

Dass sich Wolfgang Welt vor allem zu Beginn seiner Laufbahn als schreibender Musikjournalist in seiner schreibenden Existenz verliert, das wundert den Leser seiner verstreuten Musik-Prosa nicht. Insofern ist der Titel des vorliegenden Sammelbandes „Ich schrieb mich verrückt“ sehr treffend gewählt und charakterisiert die Schreibsituation Wolfgang Welts auf das Genaueste. Der Popmusikjournalist liefert ein schreibendes Paradigma für einen neuen Typus von Erzähler des 21. Jahrhundert. Er liefert neue Interpretationen der Welt, neue „Weltdeutungsmuster“ im Sinne einer Theorie von Kultur. Seine Adaptionen von regional konnotierten Versatzstücken, die das regionale Kolorit des Ruhrgebietes spiegeln, aber normalerweise nur als Schlagwort dienen und leer bleiben, werden bei Platz Wolfgang Welt durch die eigene Biografie,  eigene Erlebnissen und Texte ersetzt. Es wird nicht mehr interpretiert – sondern der Text über die Popmusik, das Herumrennen des Popmusikjournalisten wird zum Ersatz für die Interpretation der Musik. Welts Leben wird zur Popliteratur, direkt vom Stift, in das Buch, in das Herz der Leser.

Und sein grandioses stilistisches Geschick, seine treffenden Worte und die wie in kleinen Prosaminiaturen gebannten kulturkritischen Texte liefern einen Subtext zu Welts umfangreicheren Texten, zu „Buddy Holly“, zu „Doris hilft“ und so weiter. Aber auch alleine können sie sich behaupten und bilden einen der interessantesten Kommentare zu unserer Medienkultur der letzten zwanzig Jahre, egal ob er über eine „Oceans“-LP, über den überschätzten Herbert Grönemeyer oder über Peter Handke schreibt. Und man findet in dem Sammelband einen der besten Texte über Lou Reeds Album „The Blue Mask“. Was bleibt, ist immer Text zur Welt, Kommentar zum Leben. Warren Zevon, Thomas Bernhard, Buddy Holly, Rockpalast, Beatles und Bob Dylan – es rauscht bei der Lektüre intensiv an einem vorbei und man versteht plötzlich, warum der Band „Ich schrieb mich verrückt“ heißt. Es rauscht durch ihn hindurch, schüttelt ihn, und er schreibt sich in die Psychiatrie. Und er gehört mittlerweile mit seinen Texten zu den besten Erzählern der Gegenwart. Hat es sich da vielleicht nicht gelohnt, sich verrückt zu schreiben? Selten hat sich ein Sammelband so gelohnt gelesen zu werden, wie der vorliegende Band mit den Texten von Wolfgang Welt. Und nebenbei erfährt man auch noch eine Menge über die Pop- und Mediengeschichte der letzten Jahre. Prädikat: „Besonders wertvoll“!

Titelbild

Wolfgang Welt: Ich schrieb mich verrückt. Texte von Wolfgang Welt 1979 - 2011.
Herausgegeben von Martin Willems.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2012.
358 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783837507478

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