„Im Karneval der Freiheit“

Norman Manea erörtert in seinem Roman „Die Höhle“ das Emigrantendasein im Allgemeinen und im Besonderen

Von Anke PfeiferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anke Pfeifer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Vergangenheit lässt sie nicht los im amerikanischen Exil. Nicht nur den anständigen Taxifahrer aus dem heute zur Ukraine gehörenden Odessa, der sich immer noch entschieden als Sowjetmensch betrachtet, sondern vor allem die Gelehrten aus dem „Land aller möglichen Gerüchte“, Augustin Gora und Peter Gaşpar. Ihre Liebe zur stets abwesenden schönen Lu führt sie gedanklich ebenso zurück in die frühere Zeit, wie die Erinnerung an die Zusammenkünfte in der „Mansarde der Verdächtigen“, an das von Misstrauen, Mutmaßungen und Bedrohungen beherrschte Leben, an erlebtes Unrecht, empfundene Ohnmacht, an Ausgrenzung und Überwachung. Manche dieser Gefühlslagen bedrängen sie auch hier im freien Westen, in New York, der „Stadt der Heimatlosen, Mondsüchtigen und Schlafwandler“.

Die Angst ist mitgereist, Bedrohung scheint ganz konkret. Schließlich ist der Landsmann und Freund von Professor Gora, Mihnea Palade, ein Schüler und enger Mitarbeiter des berühmten und gleichzeitig umstrittenen Gelehrten Cosmin Dima, auf der Toilette der Universität erschossen worden. Vom Mörder keine Spur. War es die Geheimpolizei aus der alten Heimat oder ein rechtsextremer Exilant, um Palade für seine kritischen Artikel abzustrafen? Ausgerechnet über die Memoiren dieses Dima soll Gaşpar eine Rezension verfassen. Und nun taucht auch noch ein Schreiben an Gaşpar mit einer Todesdrohung auf. Dabei wünschte sich Gaşpar, der einsam wie in einer Höhle auf dem Campus der Universität haust, nichts mehr als ein Leben in „Unverantwortlichkeit“. Und der Bücherwurm Gora, der für noch Lebende ironische Nekrologe vorbereitet, möchte sich vor der Realität in einem ihm vertrauten Raum, der Höhle zwischen zwei Buchdeckeln, verkriechen.

Dieser Geschichte um den Mordfall liegt ein reales Ereignis zugrunde. Hinter der Figur des Palade verbirgt sich der rumänische Kulturhistoriker und Philosoph Ioan Petru Culianu, der in die USA emigrierte und aus nie aufgeklärten Gründen 1991 in Chicago erschossen wurde. Als enger Mitarbeiter des ebenfalls aus Rumänien stammenden bekannten Religionswissenschaftlers Mircea Eliade, im Roman in der Figur des Dima identifizierbar, gab er mit diesem zusammen das „Handbuch der Religionen“ heraus. Culianus Kritik an Nationalismus und Diktatur, an den politischen Zuständen in seiner rumänischen Heimat sowie an der in den 1930er-Jahren wirkenden nationalfaschistischen „Eisernen Garde“, mit der auch Eliade sympathisiert hatte, wurden als mögliche Mordmotive diskutiert. Dem Wissenschaftler und Schriftsteller Mircea Eliade und seinem Werk wurde gerade nach 1989 in Rumänien wieder großes Interesse entgegengebracht, wobei seine rechtsextreme Weltanschauung während der Zwischenkriegszeit zunächst außer Acht gelassen wurde.

Wie seine Figur Palade im vorliegenden Roman hat sich auch der bis 1986 Rumänien lebende und dann ebenfalls in die USA emigrierte Norman Manea öffentlich kritisch über den neuen Kult um Mircea Eliade geäußert und seine frühere politische Gesinnung analysiert. Er verurteilte die Nichtaufarbeitung der Vergangenheit in Rumänien insbesondere hinsichtlich der Judenverfolgung und löste damit heftige Debatten in seiner früheren Heimat aus, die ihm sowohl wütende Anschuldigungen, als auch nationale und internationale Anerkennung einbrachten.

Nach Art des „politischen Romans“, wie er in den 1970er-Jahren in der rumänischen Literatur verbreitetet war, entwickelt Manea nun hier verschiedene Perspektiven auf das Romangeschehen, setzt zwecks Aufklärung der Todesdrohung eine Untersuchungsmaschinerie in Gang, präsentiert Meinungen, Vermutungen und Verdächtige.

Liebes- und Kriminalgeschichte miteinander verbindend verarbeitet der Autor in obsessiver Art und Weise vielfältige Exilerfahrungen und setzt sich auch mit jüdischem Selbstverständnis auseinander. „Wirre, balkanische Geschichten“ entspinnen sich, die keine leichte Lektüre sind, da die rückblickenden und reflektierenden Gespräche und Gedanken der Handelnden erst nach und nach Licht in das Dunkel des komplizierten Beziehungsgeflechtes zwischen den literarischen Figuren, in deren Denken und Handeln, in Gefühle und Vorstellungen bringen. Dabei geht es um philosophische Probleme und ganz praktische Fragen, um Identität, Verantwortung, Kompromiss, Schuld, Verschweigen, Schicksal, Krankheit. Ein bisweilen stakkatohafter Stil mit Ellipsen unterstreicht die Eindringlichkeit, mit der diese beredet werden. Manea gelingt es, eine beklemmende Atmosphäre aufzubauen und bietet durch die Komplexität des Textes viele Deutungsmöglichkeiten an.

Der Roman verknüpft West und Ost, heutiges Emigrantenschicksal in den USA und rumänische Geschichte, die zurück reicht bis in die 1930er-Jahre und heraufziehenden Faschismus, Judenverfolgung, „byzantinischen Sozialismus“ und die Zeit danach umfasst.

Der Autor rechnet aber nicht nur mit Rumänien ab, dem „magischen und surrealistischen Heimatländchen“, in dem das Glück „gesetzlich vorgeschrieben“ war, sondern setzt sich auch kritisch mit den USA als Sinnbild für Freiheit auseinander, was ebenso wenig zwangsläufig ein Garant für Glück ist. Manea erörtert den Status des Emigranten, der zwar frei mache von früheren Zwängen, aber auch einsam und unsicher und andere Überlebenstechniken erfordere als jene, der früher angewandten „sozialistischen Doppelbödigkeit“. Exil ist stets ein kleiner Tod und Neubeginn gleichzeitig, ist ein „Ersatzleben der Heimatlosigkeit“. Getrennt von Orten, Menschen, oft auch von der Muttersprache, reichen die Lebenswurzeln aber weit ins alte Dasein und lassen sich nicht kappen. Nicht nur die Erinnerung, sondern auch alte Geschichten verbinden mit dem Damals. Und Ängste werden gar neu entfacht.

Die verschiedenfarbigen Handschuhe auf dem Schutzumschlag symbolisieren die unauslöschliche Liebe Goras zu seiner Frau Lu, für die er immer neue Futterale in verschiedenen Farben kauft, um so imaginäre Verbundenheit zu spüren. Vielleicht ist die Assoziation von den besonders auffälligen roten Handschuhen zum Roman „Rote Handschuhe“ von Eginald Schlattner, der ebenfalls das Thema Schuld und Verstrickung im rumänischen Kontext erörtert, zu gewagt – auf jeden Fall stellt Manea zahlreiche intertextuelle Bezüge eindeutig her, unter anderem zu Thomas Manns „Zauberberg“, Kafkas „Prozeß“ und zu Borges Prosa, in der es auch um unaufgeklärte Morde geht und der Detektiv, schließlich selbst Opfer, zur Erkenntnis gelangt, dass eine Flucht aus der labyrinthischen Welt unmöglich ist – eine Erkenntnis, die auch für Maneas Romanhelden wie wohl für den Autor selbst gilt. Georg Aescht hat eine sehr gute Übersetzung vorgelegt, die den speziellen Stil Maneas adäquat wiedergibt.

Titelbild

Norman Manea: Die Höhle. Roman.
Übersetzt aus dem Rumänischen von Georg Aescht.
Carl Hanser Verlag, München 2012.
365 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446239852

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