SPD-Geist und CDU-Macht

Über Günter Rüthers „Literatur und Politik. Ein deutsches Verhängnis?“

Von Jerker SpitsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jerker Spits

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die politische Macht versuchte oft, Einfluss auf die Künste zu nehmen, insbesondere auf die wortmächtigste unter ihnen, die Literatur. Die Schriftsteller näherten sich ihrerseits der Macht an, da sie sich Vorteile davon versprachen. Dem Verhältnis von Geist und Macht ist Günther Rüther in seinem Buch „Literatur und Politik. Ein deutsches Verhängnis?“ nachgegangen. Rüther ist Professor am Seminar für Politische Wissenschaft und Soziologie der Universität Bonn. Der Konrad Adenauer Stiftung ist er als Experte für politische Kultur verbunden.

Das Buch, das sich auf das 20. Jahrhundert beschränkt, ist in drei Teile gegliedert. Der erste stellt Thomas Mann in den Mittelpunkt. Der zweite Teil konzentriert sich auf die Literatur der DDR und nimmt acht Autoren in den Blick (Franz Führmann, Johannes Bobrowski, Anna Seghers, Christa Wolf, Günther de Bruyn, Hans Joachim Schädlich, Herta Müller und Volker Braun). Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem geteilten Deutschland und der Wiedervereinigung. Am meisten erwähnt werden Heinrich Böll, Günther Grass und Hans Werner Richter.

Rüther beruft sich auf der Theorie der „verspäteten Nation“. In Deutschland misslang, so Rüther, die Verbindung zwischen Aufklärung und Nationalstaat. Deshalb zogen viele Bürger die geistige der politischen Welt vor. Sie zogen sich „in eine Welt politikferner und kulturverliebter Innerlichkeit“ zurück.

Im ersten Teil wird als einziger Autor Thomas Mann untersucht. Ein Autor, dessen Wandel vom „konservativen Revolutionär“ zum „Vernunftrepublikaner“ bereits mehrfach dargestellt wurde – so von Hermann Kurzke, aber auch von Kurt Sontheimer und Philipp Gut. Der erste Teil hätte eine ausführlichere Darstellung mehrerer Autoren verdient, um dem Thema dieser Untersuchung gerecht zu werden. Rüther tut sich schwer mit den politischen Standpunkten des späten Thomas Mann. „Gefährliche Einseitigkeit“ lautet das Kapitel über Manns Ansprachen zum Goethejahr 1949.

Im zweiten Teil fällt vor allem Rüthers kenntnisreiche Darstellung der DDR auf. Die Idee der deutschen „Kulturnation“ hätten linientreue Schriftsteller der DDR auf den Gegensatz zwischen Kapitalismus und Kommunismus übertragen. Die DDR galt ihnen als der bessere deutsche Staat, weil sie sich offen zum Antifaschismus bekannte. Sie waren daher besonders anfällig für die sozialistische Diktatur. Rüthers Gesamturteil über die Literatur der DDR fällt allerdings differenziert aus: „Eine pauschale Verurteilung wird dem Stellenwert der DDR-Literatur nicht gerecht. Sie verkennt ihr literarisches und ästhetisches Niveau und übersieht die Anerkennung, die sie gerade auch im Westen Deutschlands in den Jahren der Teilung aus diesem Grund gefunden hat. Zudem ist sie für viele Menschen in der DDR eine wichtige Orientierungshilfe und seelische Stütze gewesen“. Die Lyrik Johannes Bobrowskis und die autobiografisch gefärbten Romane und Erzählungen Günter de Bruyns stellt der Bonner Politikwissenschaftler scharfsinnig und mit besonderer Wärme dar.

Im dritten Teil dürfen die Schriftsteller der Bundesrepublik mit weniger Sympathie rechnen. Den Autoren der „linken Intelligenz“ wirft Rüther vor, dass sie „der Bevölkerung den durch das Wirtschaftwunder erreichten kleinen Wohlstand missgönnten“. Die Bedeutung Konrad Adenauers hätten sie nicht verstanden. An Grass kritisiert er, dass „der, der in Freiheit lebte und die Vorteile der Marktwirtschaft auskostete, der Utopie des Sozialismus eine neue Chance geben wollte“.

Nur kurz geht Rüther auf den deutsch-deutschen Literaturstreit ein. Die Debatten um Martin Walsers „Friedenspreisrede“ und Botho Strauss „Anschwellender Bocksgesang“ fehlen. Rüther konzentriert sich auf die linke Intelligenz der Bundesrepublik, wobei er ihre SPD-Nähe kritisiert: SPD-Geist und CDU-Macht. Sein Buch ist zwar wissenschaftlich, aber auch klar politisch motiviert. Allerdings weist Rüther auch daraufhin, dass die CDU sich bis in die 1980er-Jahre kaum um ein wirkliches Gespräch mit Künstlern bemühte.

Nach Rüther hat die Literatur „Verantwortung für den Zusammenhalt der Gesellschaft, die Funktionstüchtigkeit des Staates“. Schriftsteller sollten „mehr als andere“ ihre Worte abwägen, „weil sie als moralische Autorität gelten“. Diese Aussagen rufen Fragen auf. Haben Schriftsteller eine besondere Verantwortung für die „Funktionstüchtigkeit“ des Staates? Hat die Literatur eine (gesellschaftliche, politische) „Aufgabe“? Und: welcher Schriftsteller der jüngeren Generation würde sich selbst heute noch als „moralische Autorität“ betrachten? Gerade die Auseinandersetzung um das Grass-Gedicht „Was gesagt werden muss“ im April 2012 macht deutlich, dass diese Zeit vorbei zu sein scheint. Der Auffassung von einer besonderen Aufgabe des „Geistes“ oder der „Literatur“ ist heute Nüchternheit und Skepsis gewichen. Nicht nur in Deutschland.

Titelbild

Günther Rüther: Literatur und Politik. Ein deutsches Verhängnis?
Wallstein Verlag, Göttingen 2013.
352 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835312333

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