Immer wieder Wagner

Sven Friedrich präsentiert eine Auswahl von zeitgenössischen Texten über Richard Wagner

Von Julian KöckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julian Köck

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Wagner-Rezeption hat ein durchaus zeitloses Element: Zwar kann man mehrere Brüche aufzeigen oder sich mit genauso viel Berechtigung mehr auf die Kontinuitäten konzentrieren, eines indes gilt seit Wagners Lebenszeiten: Sein Werk weckt Emotionen und polarisiert in einem Maße, wie es sich von keinem zweiten Komponisten sagen lässt. Entsprechend umfangreich ist die Wagner-Literatur, entsprechend groß der Zweifel an der Sinnhaftigkeit weiterer Publikationen.

Der vorliegende, vom Direktor des Richard-Wagner-Museums zu Bayreuth Sven Friedrich herausgegebene Band nimmt solchen Zweifeln charmant den Wind aus den Segeln: Es wird im Wortsinn nichts Neues über Wagner gesagt, stattdessen kommen seine Zeitgenossen zu Wort. Friedrich präsentiert eine umfangreiche Auswahl von Kommentaren zu Wagner in Form von publizierten Erinnerungen, Zeitungsartikeln, aber auch Briefauszügen und schließlich sogar einem geheimen Polizeibericht.

Tatsächlich kann man die Stärke der Emotionen, die Wagner auslöste, nicht besser verdeutlichen als mit Zitaten; für den eingedeutschten Rassenphilosophen Houston Steward Chamberlain war Wagner die „Sonne meines Lebens“, für Elsa Bernstein der „Unbezwinglichste der Riesengeister“ und schließlich für Wagners Hofpublizisten Hans von Wolzogen ein „Weltbild-Meister“, um nur eine kleine Auswahl der Wagner-Begeisterung zu bieten.

Das Buch verdeutlicht in seinen Texten indes auch die Abneigung, die Wagner entgegenschlug: So erklärte der Theaterkritiker Julius Bab den „Massenerfolg“ Wagners mit dem „Unterleib“ der „Philister“, die „mit unerhörtem Gefallen auf dem breiten Wege einherstampfen, der mit Hochzeitsnächten, Ehebrüchen und Blutschande gepflastert ist, und daß sie mit triefendem Schweinebehagen sich hier aus der Kunst eine Verherrlichung ihrer einfachsten Philister-Instinkte zurechtmachen.“ Kurz: Wagners Kunst sei ein „Attentat auf die Sittlichkeit“.

Keine Biografie kann diese Gegensätze und diese, man möchte heute fast sagen, Exaltiertheit auf allen Seiten so eindrücklich vor Augen führen, wie es diese Sammlung tut. Auch erhält man einen exzellenten, immer sehr unterhaltsamen Einblick in den Charakter Wagners und seine Umgangsformen. Trotz der zitierten Einschätzung Georges Bizets, dass der „deutsche Geist des 19. Jahrhunderts […] in diesem Mann verkörpert“ sei, beschränkt sich das Buch in seiner Auswahl weitgehend auf die Persönlichkeit Wagners und sein musikalisch-dichterisches Werk. Wagners politische und philosophische Ansichten bleiben außen vor.

Im Hinblick auf das immense Schrifttum von und über Wagner ist diese Schwerpunktsetzung sehr sinnvoll. Hervorragend ist die Anordnung der Texte, die zwar chronologisch erfolgt, gleichzeitig aber auch immer eine thematische Verbindung aufweist, wodurch der Leser einen guten Überblick über Wagners Leben erhält. Allerdings kann (und will) das Buch keine Biografie ersetzen. Wer Wagners „Das Judentum in der Musik“ nicht gelesen hat, dem sagt auch Gustav Freytags Text dazu nichts – um nur ein Beispiel zu nennen. Daran ändern auch der chronologische Abriss zu Wagners Leben und die Kurzbiografien zu den zitierten Zeitgenossen im Anhang nichts. Geholfen hätte ein kurzer Kommentar zu den jeweiligen Texten – so fragt man sich etwa, in welchem Kontext die Wiener Polizei 1854 zu dem Schluss kam: „Der Glaube an seine Musik der Zukunft ist bedeutend im Sinken.“ Auch wären Literaturhinweise in einer Neuauflage von Vorteil, da so dem – durch diese Sammlung immer wieder geweckten – Interesse des Lesers leichter nachgegangen werden könnte.

In jedem Fall aber lässt sich das Buch für Wagner-Interessierte mit gewissen Vorkenntnissen uneingeschränkt empfehlen.

Titelbild

Sven Friedrich (Hg.): Wagner. Im Spiegel seiner Zeit.
Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2013.
364 Seiten, 10,99 EUR.
ISBN-13: 9783596905195

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