Tempo und Melancholie

In Dante Andrea Franzettis „ Zurück nach Rom“ frisst die Ewige Stadt ihre Kinder

Von Klaus HübnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus Hübner

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Eine bunte und laute Weltstadt zwischen Gestern und Übermorgen, verträumt und hektisch zugleich, ein wenig verrückt und keineswegs ungefährlich: Das Rom, das uns Dante Andrea Franzetti, Chamisso-Preisträger des Jahres 1994, in seinem jüngsten Prosaband nahe bringt, kannte man bisher so noch nicht. Seine zehn Kapitel, mit einem sehr nützlichen Personenregister im Anhang, haben anderes im Sinn als die große Rom-Literatur von Goethe bis Brinkmann, die Franzetti genauestens kennt und als Hallraum seiner eigenen Beobachtungen stets präsent hält. Sie präsentieren den Moloch Rom, der sich immer weiter ins Umland frisst. Sie zeigen den rasanten Wandel einer Kapitale, in der Papisten und Faschisten ebenso zu Hause sind wie Dichter und Träumer. Sie entwerfen das Panorama eines schier unendlichen Siedlungsbreis mit obskuren Vorstadtbars, in denen eine sich hemmungslos austobende Fußballleidenschaft die Leute nicht nur am Wochenende im Griff hat. Und doch spürt der Großstadtpoet auch viel Schönes auf, und der Leser ist fasziniert von der Großartigkeit und Poesie dieser Stadt. Widersprüchlichkeit pur.

Der langjährige Rom-Kenner Franzetti, der seine dort lebenden Kinder regelmäßig besucht, hat sein Thema schon 2009 in einem wunderbaren, teilweise in den neuen Band integrierten Gesang auf die Bar Ayres an der Piazza Buenos Aires anklingen lassen. Sein Ich-Erzähler vertraut sich den römischen Buslinien an, steigt irgendwo ein und anderswo wieder aus und beobachtet mit scheinbar coolem Blick, was in der Stadt vor sich geht. „Man muss eine solche Stadt zerlegen, um sie zu beschreiben … In einer seltsam unwirklichen Gleichzeitigkeit ist Rom eine sehr schnelle und eine sehr langsame Stadt“. Spuren der Vergangenheit findet er überall, womit meistens nicht das weit über 2.000-jährige Rom gemeint ist, sondern das Rom der Mussolini-Zeit oder das postfaschistisch-moderne Rom der Fellini- und Pasolini-Filme aus den 1960er- und 1970er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Er geißelt die riesige, die Bürger mit unzähligen Gesetzen und Verordnungen quälende Bürokratie, die letztlich wenig ausrichtet: „Was gilt, steht nicht geschrieben. Was geschrieben steht, gilt nicht“. Er verurteilt die hohe Zahl der Verkehrstoten, oft Fußgänger. Er berichtet von den endlosen Rivalitäten zwischen AS- und Lazio-Anhängern, vom Durcheinander der Zugehörigkeiten: „Jeder Römer ist Eklektiker“. Er kritisiert die Umwandlung mancher Innenstadtviertel wie dem Pigneto, die als «Gentrifizierung» verkauft wird, was nur „ein elegantes Wort“ sei „für eine einfache Regel: Arme raus, Reiche rein“.

Selbst ein „untreuer Katholik“, reflektiert er über manche Geheimnisse des Vatikan, über den Katholizismus im Allgemeinen und über seine römischen Auswüchse. Er erläutert uns den aberwitzigen und eben deshalb typisch römischen Skandal um den Großbetrüger Mokbel. Und er besucht denkwürdige, oft verwunschene Orte wie – einer der schönsten Abschnitte dieses schönen Buchs – den „Cimitero acattolico“, auf dem unter anderem August von Goethe begraben liegt, 1830 gestorben, laut Grabstein keine eigenständige Person mit eigenem Namen, sondern nur „dem Vater vorangehend“: Der Alte aus Weimar bekommt, was diesen Sohn betrifft, zu Recht sein Fett ab. Drastisch die Schilderung der Via Appia, auf der der Sklave Spartacus ebenso seinen Auftritt hat wie der SS-Obersturmbannführer Kappler. Das alles liest sich, jenseits jeglicher Fremdenführerprosa, flüssig und flott, und es ist, bei aller Kritik, Trauer und Melancholie, letztlich von einer leicht verschämten, aber unbändigen Liebe zu diesem Stadtmonster getragen: „Rom ist eine in die Jahre gekommene Nutte und Mutter vieler Kinder … Eine Mutter, die man liebt, deren man sich aber immer ein wenig schämt“.

Titelbild

Dante Andrea Franzetti: Zurück nach Rom.
Lenos Verlag, Basel 2012.
199 Seiten, 21,50 EUR.
ISBN-13: 9783857874260

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