Unterwegs auf kaltem Wasser

Zu Tina Uebels Reisebeschreibung „Nordwestpassage. Für dreizehn Arglose und einen Joghurt“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Titel des Buches klingt zunächst lustig. Man macht sich auf die Suche nach der Bedeutung und goutiert auf dem Weg dorthin eine unterhaltsame und kurzweilig beschriebene Reiseunternehmung einer dreizehnköpfigen Gruppe von Polbegeisterten, die auf einem Segelboot die legendäre Nordwestpassage befahren wollen. Die Journalistin und Autorin Tina Uebel kommt ihrer liebsten Beschäftigung – dem Reisen – nach und beschreibt den Verlauf der Expedition. Auf den ersten Blick scheint es zunächst eine der üblichen Reiseerzählungen zu sein, die man selbst als interessierter Leser kaum mehr wahrnimmt. Es schreibt gefühlt jeder Zweite mit Rucksack, der das Wort „Outdoor“ rückwärts buchstabieren kann, ein „Buch“ über seine „einmaligen“ Erlebnisse und Abenteuer. Diese Flut von Reiseliteratur entbirgt oft eher langweilige Texte, wie wir sie auch schon von den historischen Nordpolfahrern kennen. Uebel setzt hier einen deutlich positiven und überraschenden Akzent: Es ist nicht langweilig.

Der Autorin gelingt ein unterhaltsamer Reisebericht, dem es vor allem nicht an Humor fehlt. Dies beginnt bei der selbstkritischen Einschätzung der eigenen Fähigkeiten bis hin zu der Bemerkung: „Das wäre aber gut für das Buch“ – wenn man wieder mal einer riskanten Situation an Bord des Segelbootes aus dem Weg geht. Außerdem hat die Autorin immer wieder „Landrattenexkurse“ eingebaut, um das nicht immer vorauszusetzende Vokabular im Umgang mit Schiffen zu erklären. Eine sehr pädagogische Intention, die die Autorin aber sehr unterhaltsam umsetzt. Durchgängig immer wieder prägnante, ironisch-humorige Formulierungen, die die Lektüre mit einem Augenzwinkern begleiten: „Am Salmon Creek wirft Chef seine Angel aus, ich laufe auf den nächstbesten Hügel, wobei ich mir zunehmend Eisbärsorgen mache. Komme zu dem Schluß, daß ich zwar einerseits liebend gern einen sehen würde, andererseits – nicht einfach drauflos und allein in die Landschaft spazieren zu können, irritiert maßlos. Spielverderber, böse Biester, sollen sie meinethalben doch aussterben, ich besähe mir die schönsten Exemplare dann in einem Coffeetablebook.“

Auch die etwas tiefer zielenden Überlegungen zum Reisen an das Ende der Welt, dorthin, wo man vielleicht doch noch über den Rand der Scheibe kippen könnte, nehmen den Leser mit und zeigen ihm dieses merkwürdige Bedürfnis, beim Verschwinden einer untergehenden Welt – der Arktis, der Pollandschaften – dabei zu sein. Sehr erfreulich ist dabei, dass nicht in ein depressives Verlustgerede verfallen wird, sondern dass immer der Sinn für das Praktische im Vordergrund steht: „In welchem Maße das Privileg eines abendlichen Bieres beglücken kann, daheim machten mich zehn nicht so froh, bloß betrunken.“ So wird die Nordwestpassage für den Leser zu einem multiperspektivischen Erlebnis aus der Sicht einer Polreisenden, die durchaus ihr eigenes Tun in Frage stellt und eine untergehende Welt beschreibt. Dies ist manchmal ein wenig traurig, manchmal melancholisch und finster, trübt aber in keiner Weise das Lesevergnügen.

Zudem erfährt der Leser viel über die Schriften und Aufzeichnungen von anderen Eismeerreisen, aus denen die Autorin an geeigneten Stellen zitiert, etwa über Christoph Ransmayrs Roman über die Geschichte der österreichisch-ungarischen Payer-Weyprecht-Expedition von 1872 bis 1874, in deren Verlauf das Franz-Joseph-Land entdeckt wurde. Oder über Roald Amundsen, Fridtjof Nansen und Knutz Rasmussen und andere. Dass viele Expeditionen zu Katastrophen wurden, wundert den erfahrenen Reisebericht-Leser nicht. Letztendlich kommt Tina Uebel zu einer ernüchternden Erkenntnis: es gibt keine weißen Flecken mehr auf den Karten, überall war schon jemand – sogar auf der Nordwestpassage. Nebenbei lotet sie ein breites Spektrum der Polarforschung aus, berichtet von positiven und fatalen Erlebnissen. Treffend beschreibt sie das Reisen im Eis sehr unterhaltsam mit einem Zitat: „We are the only pulsating creatures in a dead world of ice.“ Und was es mit dem Joghurt aus dem Buchtitel auf sich hat, sollte man bei der eigenen Lektüre herausfinden. Man wird es nicht bereuen.

Titelbild

Tina Uebel: Nordwestpassage. Für dreizehn Arglose und einen Joghurt.
Verlag C.H.Beck, München 2013.
400 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783406647017

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch