Fünf Freunde auf Burg Schreckenstein

Michael Tietz unterhält in seinem Roman „Apfeldiebe“ mit klaustrophobischer Kost in Heimatoptik

Von Peter MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Sommerferien stolpert Alex beim Spielen zufällig über einen bislang verschütteten Zugang zu den Kellergewölben der Roggenbacher Burgruine bei Wittlekofen im Schwarzwald. Das mit Abenteuern lockende Verlies muss natürlich erforscht werden, weshalb Alex eine kleine Expedition auf die Beine stellt: Der übergewichtige Max – sein bester Freund – und dessen kleiner Bruder Timmi sind ebenso mit von der Partie wie der eher zufällig dazu stoßende und etwas ängstliche Brillenträger Kasimir, der von Max nur „das Mädchen“ genannt wird, sowie der verschlossen-depressive und stets in Schwarz gekleidete Rufus, der den zu frühen Tod seiner Mutter zu verarbeiten hat.

Auf der Burg angekommen, macht sich schnell Ernüchterung breit, denn das Gewölbe ist klein – einzig eine Sammlung alter verrottender Waffen verspricht etwas Abwechslung. Bereits bei den ersten Ritterspielen kommt es zu Verletzungen und einem Ausraster von Max, dessen sadistische Ader hervorbricht, als Kasimir gefesselt an der Decke hängt. Richtig ernst wird es aber erst, als ein Teil der Kellerdecke einstürzt und den Ausgang verschließt.

Durchaus routiniert, wenn auch ohne große Überraschungen, entwickelt sich in bekanntem Thriller-Setting ein Kampf ums nackte Überleben, als die eingesperrten Kinder ihre ausweglose Situation begreifen und verzweifelt versuchen, den Eingang wieder freizulegen. Je länger die Gefangenschaft dauert, desto mehr schwindet die Hoffnung, und die Kinder werden mit Gedanken über das Sterben, über den Tod und über Gott konfrontiert. Insbesondere Max wird dabei von seinen inneren Dämonen gejagt und verfällt nach und nach dem Wahnsinn.

Leider schafft es der Autor nicht, das große Potential, das in der Interaktion unterschiedlicher Charaktertypen in Überlebenssituationen steckt, vollends zu nutzen – auch deshalb, weil ein durchaus interessanter und vielversprechender Charakter recht früh aus der Gleichung gestrichen wird. Dafür stellt Tietz dem Überlebenskampf der Kinder den mürrischen Herrn Seiler gegenüber, der nur in Gesellschaft seines Hundes einsam seinen Lebensabend fristet.

Während sich die Kinder immer mehr ihrem Tod nähern, begibt sich dieser – geplagt von verpassten Chancen und verlorener Liebe – auf seine ganz persönliche Reise und versetzt sich dabei immer weiter in seine Jugend zurück. Diese gegenläufige Generationenerfahrung verleiht dem Roman nicht nur eine interessante Facette. Vielmehr wird Seiler, im Versuch sein Leben umzukrempeln, letztlich zur einzigen Hoffnung auf die Rettung der Kinder.

Gestört wird die solide Thriller-Kost bisweilen durch die verwendete Sprache, denn was bei einer Gruppe von Kindern noch irgendwie passend ist – „Max erleichterte sich gut hörbar. Er ließ seinen Urin in das Fass plätschern, als könne er mittels dieser Lautstärke das, was er in den Händen hielt, vergrößern oder wenigstens seinen Zuhörern Größe vorgaukeln. Ein großes Ding macht eben viel Krach […].“ – wirkt an anderen Stellen doch sehr bemüht – „Seiler selbst hatte […] außer zwei Pfandflaschen und der einen Scheibenwischer imitierenden Handbewegung eines Motorradfahrers nichts gefunden. […] den Motorradfahrer bedachte er mit einem Fluch, welcher einer ganzen Familie das ewige Fegefeuer gesichert hätte.“ – und lässt sich auch nicht allein durch eine Annäherung der Generationen rechtfertigen. Zudem dehnen sich auch mal dreißig Minuten „wie ein nagelneuer Gummibund“ oder man darf sich ausmalen, wie „erste Sonnenstrahlen die gegenüberliegenden Hänge in Brand setzen.“ Die Reduzierung mancher Bilder hätte dem Roman gut getan.

Dennoch weiß Tietz bis zum Ende zu unterhalten und die großteils schlüssig agierenden Protagonisten in Verbindung mit einem denkbaren Szenario an einem realen Handlungsort dürfte nicht nur bei vielen Eltern ein mulmiges und nachhaltiges Gefühl erzeugen.

Titelbild

Michael Tietz: Apfeldiebe. Roman.
Bookspot Verlag, München 2011.
450 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783937357522

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