Wilde Wirbel

Elfriede Jelineks Versuch, dem „rein GOLD“ eine neue Bühne zu bieten

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Überschuldet hat sich schon so mancher Häuslebauer. Nun, vielleicht nicht gerade in Schwaben, aber doch auf der iberischen Halbinsel, jenseits des Atlantiks im Land der unbegrenzten Möglichkeiten und an manchem anderen Ort. Ja selbst in Asgard, dort wo die Asen und Lichtalben unter der Herrschaft des auch schon mal unbeherrschten Wotan wohnten. Richard Wagner hat davon singen lassen. Neu ist das Phänomen also keineswegs.

Aktuell aber ist die Geschichte noch immer und so hat die Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek Wagners Opern-Quadriga „Ring des Nibelungen“ aufgegriffen und unter dem Titel „rein GOLD“ ein Bühnenessay für zwei Personen geschrieben. Das heißt, Jelinek hat Wagners Libretto und seinen Prosaentwurf aufgegriffen. Die Partitur interessiert sie hingegen wenig.

ProtagonistInnen sind der Lichtalb, Wälsung und Wanderer Wotan und seine Lieblingstochter, die Walküre Brünnhilde. Beide lässt die Autorin einen sich recht monologisch ausnehmenden Dialog führen. Und ob die Monologe der beiden GesprächspartnerInnen tatsächlich in ein dialogisches Verhältnis zueinander treten, ist auch unsicher. Redet doch etwa Brünnhilde zunächst über ihren „Papa“, um ihn bald darauf selbst anzusprechen. Dann wieder ist sie mit jemandem per Sie, wobei die Adressaten nicht deutliche werden. Vermutlich die Lesenden. Ein anderes Mal ruft sie die „Arbeiter“ an: „Mime, Alberich, alle herhören!“ Schließlich scheint es sich bei dem ihr in den Mund gelegten Monolog (?) überhaupt nicht um gesprochene Worte, sondern um einen Brief, eine schriftliche Mitteilung, jedenfalls eine Niederschrift zu handeln, ein Essay halt. „Jetzt tippe ich, tippe ich und tippe ich, endlose Sätze, endlose Seiten, endlose Bits und Bytes.“ Ist es denn überhaupt die Walküre, die diese endlosen Sätze und Seiten auf ihrem offenbar modernen Schreibgerät tippt?

Soviel aber ist sicher. Mögen auch die Sätze und Seiten nicht wirklich endlos sein, die sich jeweils über etliche Dutzend Seiten erstreckenden Monologe nehmen sich zumindest so aus, müssen sie doch ganz ohne strukturierende Absätze auskommen. Man fühlte sich in die Bleiwüste der „Ästhetik des Widerstands“ versetzt, sprächen Brünnhilde und Wotan nicht mit der Stimme Jelineks, wie man sie aus ihren anderen Texten, vor allem den jüngsten, kennt und liebt. Wobei die Leidenschaft zum Jelinek’schen Stil langsam etwas an Feuer verliert, wie das bei alten Lieben nun einmal nicht anders ist, ohne dass sich allerdings abzeichnen würde, dass die Glut in Asche zerfällt. Vielmehr glimmt sie als warme Zuneigung weiter.

Nicht nur in Sprache und Stil des Textes, inklusive kalauernd anmutender Wortspiele, auch in anderer Hinsicht bietet „rein GOLD“ so manches, was man von der Autorin nicht anders erwartet: politische Bezüge (aktuelle und weniger aktuelle), intertextuelle Anspielungen und versteckte Zitate mehr als man zählen oder gar erkennen kann. Und nicht selten sind all diese Momente mit einander verknüpft.

So wird etwa die Parole der antimilitaristischen Bewegung der jungen Bundesrepublik zitiert, oder die eigentumsfeindliche Sentenz eines französischen Frühsozialisten, dessen Philosophie ein anderer elend fand, der für seinen eigenen Sozialismus den Ehrentitel „wissenschaftlich“ in Anspruch nahm. Dieser Andere wird von Literatin mehrfach namentlich genannt und noch öfter zitiert. Jelinek macht sich seine Terminologie immer wieder zu eigen, so dass fast schon der Gedanke einer literarischen Expropriation dessen, der die Expropriateure zu expropriieren anriet, nahe liegt. Doch nicht nur Sozialisten, auch deutsche Religionsstifter, altgriechische Philosophen, Quantenphysiker, ein sangesfreudiger Fremder, der seiner Geliebten lieber nicht Rede und Antwort stehen möchte, und sicher einige hundert andere die dem Rezensenten entgangen sind, werden zitiert. Entgangen sind sie ihm auch darum, weil das Literaturverzeichnis zwar ganz lustig ist, aber nur eine Hand voll Autoren und „sonst nichts“ nennt.

Eröffnet wird der Dialog zwischen Wotan und seiner Lieblingstochter mit der lapidaren Feststellung Brünhilds: „Papa hat sich diese Burgbauen lassen, und jetzt kann er den Kredit nicht mehr zurückzahlen. Eine Situation wie in jeder zweiten Familie.“ Damit ist in der ersten Zeile bereits das Thema angeschlagen. Besser gesagt sind es zwei von etlichen, deren genau Anzahl sich, wie so vieles in Jelineks Texten, gar nicht genau ausmachen lässt. Doch sind es die beiden zentralen: die alltägliche Last der einfachen Familienmenschen mit ihren finanziellen Nöten und mehr noch, woher sie rühren, sowie ein Vater-Tochter-Verhältnis und sonstige Familienbande. Etwa die zwischen Wotan und seiner Göttergattin Fricka, die zwar nichts ist als das, was sie ist, Gattin nämlich „das ist aber auch schon alles, was sie ist“. So wird sie zwar durch ihre Beziehung zu Wotan definiert, doch erkennt die Tochter in ihr zugleich eine „starke Frau“.

Wotan ist seinerseits ebenfalls nicht aus sich selbst heraus mit sich identisch und somit autonom. Vielmehr „ist er, was er ist, nur durch Verträge“, wie Jelinek ihn selbst die Worte eines anderen Gottes benutzend sagen lässt, dessen Name Jahwe eben die selbstbezeichnende Wendung bildet. Seine Neigung, mit Leuten wie Abraham, Mose oder dem ganzen Volk Israel einen Bund zu schmieden, lässt ihn als nicht allzu fernen Verwandten des Verträge schließenden nordischen Gottes erscheinen. Doch nicht an ihm, sondern an dem neutestamentarischen Gottessohn arbeitet sich der göttliche Töchtervater ein ums andere Mal ab. Ihn „arroganten Schnösel“ zu schimpfen, mag er sich als älterer Gott leisten können. Dass er jedoch einfach nicht von ihm lassen kann, lässt den Verdacht aufkeimen, er zähle zu jenen Vätern, die insgeheim lieber einen Sohn als viele Töchter gehabt hätten. Hatte er nicht genug an ihnen – beiden?

Nicht nur Jahwe, auch Jesu werden die Worte, mit denen er sich seinen Häschern zu erkennen gab, aus dem Mund gestohlen. Allerdings nicht von Jelinek, sie hat den Diebstahl nur bemerkt. Verübt wurde er, und das ist das lässlichste Vergehen der Delinquentin, von einer deutschen „Maid“. Nachdem sie im Herbst 2011 einige zynische „Paulchen Panter“-DVDs zur Post gegeben hatte, offenbarte sie sich auf der Polizeiwache mit eben den Worten, mit denen sich der gesalbte Gott und göttliche Sohn im Garten Gethzemane seinen Häschern übereignete: „Ich bin die, die ihr sucht.“ Die einstige Klosterschülerin Jelinek ist natürlich noch immer bibelfest genug, um das Zitat zu erkennen, das der einem gemeingefährlichen Religionsersatz anhängenden selbst womöglich gar nicht geläufig war.

In der vom vertragsbrüchigen Wälsungengott an die Riesen verschacherten Fricka wiederum tritt die „Frau als Warenform“ zutage. Die Kritik des „bühnenessays“ erweist sich jedoch insgesamt weniger als antipatriarchalisch, denn als antikapitalistisch, wenn es gegen den „Kapitalisten“ vom Leder zieht, der ziellos „die ganze Scheiße“ nimmt und als „mit Willen und Bewußtsein begabtes Kapital“, das „nur absolute Bereicherung“ und „schrankenlose Aneignung“ kennt, beschreibt. Alles ziemlich marxistisch. Dass aber „die Zirkulation des Geldes als Kapital Selbstzweck ist“, hätte Marx nicht gelten lassen. Nicht der „Zirkulationsprozeß des Kapitals“ ist ihm der Selbstzweck des Kapitals, sondern die Vermehrung des „Geld heckenden Geldes“. Und eben auf diese Form des Kapitals, das einem östereichsichen Marx-Schüler den Titel seines Hauptwerkes stiftete und in seiner modernen Form zur gegenwärtigen Bankenkrise führte, zielt die Kritik des Stückes im Kern.

Neben der Kapitalismus- bietet das Essay auch Liebeskritik. Liebe sei „eine Maschine“ und gehe daher „irgendwann kaputt“, erklärt Wotan der liebesgeschädigten Tochter. Dem Befund, dass der ringräuberische Schwarzalb Alberich „den Weg der Sublimation wählt“, indem er „die Liebe durch das Geld ersetzt“, hätte der Vater der Psychoanalyse ungeachtet verschiedentlicher Bezugnahmen auf seine Thesen und Theorien sicher nicht weniger heftig widersprochen, wie der Vater des ‚wissenschaftlichen Sozialismus‘ der Analyse des kapitalistischen Zirkulationsprozesses, verspricht das Geld doch eher Kompensation.

Mag mit der Kapitalismuskritik auch ein zentrales Thema auszumachen sein, so offenbart sich doch nicht immer sofort, und öfter auch nicht nach längerer Reflexion, wovon Wotan und Brünnhilde gerade reden, wozu auch die passionierten Jelinek-Lesenden ja nicht fremde Sprunghaftigkeit des Gedankenflusses beiträgt, der eben nicht fließt, sondern springt.

Was aber hält all das zusammen? Der wilde Wirbel, in dem es sich alles immer geschwinder umeinander dreht? Vielleicht. Die Sogkraft, die er auf die Lesenden ausübt, ist diesmal allerdings doch geringer, als der früherer Werke Jelineks.

Titelbild

Elfriede Jelinek: Rein Gold. Ein Bühnenessay.
Rowohlt Verlag, Reinbek 2013.
223 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498033392

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