Zwischen Mettwurstbauern und Negerkussbrötchen

Die grandiosen Exegesen der Wirklichkeit des Heinz Strunk als autobiografischer Roman mit dem Titel „Junge rettet Freund aus Teich“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gab es das wirklich? War das so? Wo liegt dieses Toppenhausen, das bevölkert ist von Mettwurstbauern? Und warum erzählt die Großmutter des Protagonisten in Heinz Strunks neuem Roman „Junge rettet Freund aus Teich“ Mathias Halfpape das Märchen von den Bauern, aus dem Dorf, die sich alle mit der Produktion von Mettwurst beschäftigen? Weil es so lecker ist. Weil sie es können und weil das damals so war. Damals, in den Sechzigerjahren, im Norden Deutschlands. Deshalb erzählt die Oma das Mettwurst-Märchen. Deshalb erzählt Strunk den Roman. Weil er es kann!

Heinz Strunk teilt mit dem Leser seine vermeintlich eigene Geschichte, die durchaus mit autobiografischen Elementen durchzogen sein könnte, heißt sein Protagonist doch so, wie auch Heinz Strunk im „richtigen“ Leben heißt. Aus dem Leben des Protagonisten Mathias Halfpape werden drei Lebensabschnitte im Alter von sechs, zehn und vierzehn Jahren beschrieben. Dabei geht er durchaus kritisch mit den beschriebenen Lebensumständen um und verheimlicht auch keine fundamentalen Wahrheiten, wie etwa über die Mettwurstbauern in Toppenhausen oder über Negerkussbrötchen: „In der großen Pause gehen wir entweder in die Pausenhalle oder ins EKZ, beim Bäcker Negerkussbrötchen besorgen. Und natürlich rauchen alle wie die Schlote. Ich bin jetzt schon so weit, dass ich in jeder kleinen Pause eine barzen geh.“

Wie treffend Strunk die 1970er-Jahre beschreibt, findet man an vielen Stellen dokumentiert. Dabei transzendiert er unversehens Individualgeschichte in kollektive Erinnerungsorte. Seine Protagonisten findet er in ganz alltäglichen Lebenssituationen der Mittelschicht an alltäglichen Orten in dieser Zeit. An Schulen, Bushaltestellen und in Imbissbuden spielen seine Geschichten: „Peter Dankwart ist die totale Nervensäge, mit seinem Holzkopf und der meckernden Lache. Ein Außenseiter aus Überzeugung, er scheint an nichts anderem interessiert zu sein als an seinem Chemiebaukasten und lebt in seiner eigenen Welt. Sein größter Wunsch ist, sich nächstes Jahr, mit fünfzehn, eine Mofa zuzulegen. Aber keine Zündapp oder Starflite, sondern eine Mars, aus dem Quellekatalog! Dauernd posaunt er herum, wie ‚fahrgeil‘ er jetzt schon ist. Wenn man ihn auf seinem Bonanzarad mit Hirschgeweihlenker und Bananensattel sieht, wie ein Behinderter ständig die Hand an der Dreigangschaltung, kann man sich schon vorstellen, was nächstes Jahr los ist.“

Strunk kombiniert die Schlagwörter, Stilikonen und identitätsbildenden Konsumartikel zu einem Panorama der 1970er-Jahre aus der Perspektive eines jugendlichen Lebens, das in den Wertestrukturen des Mittelstandes und Kleinbürgertums nach Orientierung sucht. Dass diese Erinnerungsorte über die gesellschaftlichen Schichten hinaus Bedeutung haben, davon zeugen die Erfahrungsberichte gescheiterter und erfolgreicher zeitgenössischer Biographien. Strunks Einblicke in die Lebensläufe seiner Mitschüler sind hingegen eher trostlos: „Wenn man so fett und scheiße ist wie Bernd Kloppstock, kann nichts mehr schön und zart oder romantisch sein. Nichts. Nie. Ich stelle mir vor, wie er jeden Morgen bereits schäumend vor Wut aufwacht und dieser Zorn im Verlauf des Tages nur noch wächst. Der Hass haut ihn fast aus den Socken.“

Auch der Protagonist hat mit seinem Leben zu kämpfen. Neue Perspektiven bieten eher der Tod als die triste Umgebung und die ereignislose Existenz: „Nur auf den Balkon traue ich mich nicht, allein schon, wenn ich in seine Nähe komme, ziehen meine Beine bis in die Magengrube, am liebsten würde ich aufs Geländer steigen und runterspringen, damit es endlich vorbei ist.“ Trotzdem sind die Figuren liebenswert. Sie sind Verlierer, aber in ihrem Leiden am Leben – ganz im Sinne von Thomas Bernhards „Leben als Krankheit zum Tod“ – sind sie trotzdem Gewinner, weil sie noch am Leben sind. Heinz Strunk gibt diesen Menschen ein Gesicht und schafft nebenbei für uns alle einen Erinnerungsort, der im Grauen der Kindheit und der Pubertät zauberhafter kaum sein könnte. Danke, Heinzer! Wir lieben Geschichten, in denen ein Bonanzarad vorkommt!

Titelbild

Heinz Strunk: Junge rettet Freund aus Teich. Roman.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2013.
283 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783498064266

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