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Stefan Rinke führt in seinem Buch „Kolumbus und der Tag von Guanahani“ in die Geschichte der Entdeckung Amerikas ein

Von Patrick WichmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Patrick Wichmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt Daten in der Geschichte, die sprichwörtlich Epoche gemacht haben, die Französische Revolution 1789 etwa, oder jüngst der Mauerfall 1989. Zu diesen historischen Zäsuren zählt zweifelsohne auch die Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus: Durch sie traten Entdecker wie Entdeckte gleichermaßen in eine völlig neue Zeitrechnung ein, die ungekannte Chancen und Herausforderungen, aber eben auch Gefahren für beide Parteien mit sich brachte. Dem geschichtsträchtigen Tag von Guanahani hat sich der Historiker Stefan Rinke angenommen und bietet mit „Kolumbus und der Tag von Guanahani. 1492: Ein Wendepunkt der Geschichte“ eine knappe Darstellung der Ereignisse und der facettenreichen Folgen von Kolumbus’ Atlantik-Überquerung.

In kurzen Abrissen der wichtigsten Ereignisse und mit Rekurs auf aktuelle Forschungsdebatten nähert sich Rinke, der bereits zahlreiche Publikationen zur Geschichte Lateinamerikas veröffentlich hat, nach und nach allen Aspekten der Thematik. Dabei beginnt er zunächst mit der Ausgangssituation beider Zivilisationen, vor deren Hintergrund erst das genuin Neue zu verstehen ist und so die gegenseitigen Herausforderungen in Folge des Aufeinandertreffens deutlich werden. Auch die weiteren Ereignisse dieser Zeit, wie etwa die Vertreibung der Juden aus Spanien, das Ende der Reconquista durch die Eroberung Granadas und die Anfertigung von Martin Behaims „Erdapfel“, bringt Rinke ins Spiel. So stellt er heraus, dass die historische Zäsur 1492 heute zwar – nicht zuletzt durch die Erkenntnis der „ersten Entdeckung“ Amerikas durch den Wikinger Leif Eriksson – umstritten sein mag, jedoch ein Nexus von Argumenten in Form der Verquickung von verschiedenen Zeitenbruch-Elementen die hergebrachte Umbruchs-These zu stützen vermag. Die Interpretation des Ereignisses als historischer Wendepunkt darf also trotz des derzeit herrschenden Zäsuren-Relativismus durchaus aufrechterhalten werden.

Chronologisch schreitet der an der Freien Universität Berlin lehrende Rinke die Stationen der Entdeckung und ihre Folgen ab: von der Jungfern-Überfahrt und den ersten Kontakten, über den entstehenden Tauschhandel bis hin zur Gewalteskalation, den Eroberungszügen der Konquistadoren und dem Aufbau der Kolonialreiche. Dabei sucht Rinke stets nach den zentralen Faktoren und den Handlungsmotiven der Akteure und macht so die wesentlichen Entwicklungslinien sichtbar. Kritisch widmet er sich dem lange Zeit verbreiteten Stereotyp des wenn auch noblen, so doch inferioren und gar schon infantilen „Wilden“. Rinke beschreibt daher vergleichsweise ausführlich die facettenreiche Kultur der indigenen Bevölkerung und ihren durchaus dynamischen Umgang mit den Fremden aus dem Osten. Schon dieses Beispiel illustriert: Rinke befindet sich auf dem neuesten Forschungsstand. So widmet er sich etwa auch den kommunikativen Voraussetzungen von Kolumbus’ Unternehmen. Nicht nur die Überfahrt als solche muss als faktisch relevant gelten, sondern auch der anschließende, transeuropäische Wissenstransfer. Erst so wurde das Neue auch populär, fest im Wissenshorizont der Zeit verankert und kam erst damit letztlich zu der bekannten geschichtlichen Wirkungsmacht.

Dass sich das Buch vor allem an Laien und Studienanfänger richtet, zeigt nicht nur die überblickhaft-geraffte Darstellung, sondern auch die weitere Aufmachung des Bandes. Zahlreiche Abbildungen illustrieren Rinkes Darstellung und verleihen seinen Worten so eine hohe Anschaulichkeit. Darüber hinaus weisen Info-Kästen auf weitergehende Fragen hin, wie etwa auf das Quellenproblem: Während der indigenen Bevölkerung die schriftliche Verankerung von Gesprochenem fremd war und ihre Geschichte somit mündlich tradiert wurde, was sie heute schwer zu fassen macht, ist auf der anderen Seite das Original von Kolumbus’ Schiffstagebuch verloren gegangen.

„Kolumbus und der Tag von Guanahani“ bietet dem interessierten Einsteiger einen hervorragenden ersten Blick in die Geschichte der Entdeckung Amerikas. Komprimiert und doch verständlich zugleich führt Stefan Rinke den Leser in die zentralen Themen und Thesen ein, ohne sich dabei in Detailfragen zu verlieren. Dass er dabei zugleich souverän auf dem aktuellsten Stand der Forschung argumentiert, ist daher umso bemerkenswerter und macht das Buch zu einem fruchtbaren und hilfreichen Wegweiser, der zu tiefergehenden Betrachtungen anregt.

Titelbild

Stefan Rinke: Kolumbus und der Tag von Guanahani. 1492 Ein Wendepunkt der Geschichte.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2013.
190 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783806224689

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