Lust ohne Gnade

Der großstadterfahrene Oscar Coop-Phane führt den Leser in „Demain Berlin“ an den Puls seiner Zeit – über Paris nach Berlin

Von Caroline MannweilerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Caroline Mannweiler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleich mit seinem ersten Roman „Zénith Hotel“, der die Geschichte einer Prostituierten erzählt, gewann der 1988 geborene Oscar Coop-Phane 2012 den in Frankreich für Nachwuchsautoren vergebenen Prix de Flore und damit einen einflussreichen Fürsprecher, nämlich Frédéric Beigbeder, Initiator des Preises und nicht zuletzt Autor des Kultromans „39,90“.

Dass Beigbeder auch von Coop-Phanes zweitem Buch „Demain Berlin“ begeistert ist, kann kaum überraschen, hat er doch selbst eine große, auch literarische Affinität zu den für „Demain Berlin“ zentralen urbanen Lebenspraktiken, die mit sex and drugs natürlich nur unzureichend umschrieben sind. In diesem Zusammenhang vielleicht nicht uninteressant: Vor Oscar Coop-Phane erhielten auch Michel Houellebecq und Virginie Despentes (bekannt für ihren Roman „Baise-moi“) den Prix de Flore, dessen Preisträger übrigens ein Jahr lang im legendären Café de Flore zu einem Glas Pouilly-fumé täglich eingeladen sind. Welch nette Abwechslung für den aktuell noch als Barkeeper arbeitenden Oscar Coop-Phane!

Doch genug der Klischees. Denn diese werden keinem der Beteiligten und insbesondere nicht Coop-Phanes Roman „Demain Berlin“ gerecht. Diesem gelingt etwas, was viele gute Werke ausmacht, nämlich eine Atmosphäre zu evozieren, an die man sich auch lange nach der Lektüre erinnert, wenn man die Details der Geschichte schon längst vergessen hat. Diese Atmosphäre ist in „Demain Berlin“ vielleicht am ehesten mit einem Farbton, einem Lichtverhältnis zu umschreiben: Sie ist eine Art grauschimmernde Helligkeit, ein Leuchten, dem Wärme fehlt. Ein wenig ähnelt sie der Dämmerung, nur eben ohne die Röte, und ohne dieses Moment der Verklärung, das mit jeder Dämmerung einhergeht.

So sind es zwar oft die frühen Morgenstunden, in denen die Figuren des Romans das Berghain – den berüchtigten Berliner Club – nach einer durchtanzen Nacht, meist aber nach durchtanzten Tagen, wieder verlassen. Aber die Erwägungen, die sie zu diesem Schritt veranlassen, stören in gewisser Weise die Magie, die diesem Aufbruch im Morgengrauen doch eigentlich innewohnen müsste. Wie viel von welcher Droge hat man noch zur Verfügung? Wann ist Nachschub zu erwarten? Wie sieht es mit den Finanzen aus? Und ist es angesichts der derzeitigen Versorgungslage sowie der gegenwärtigen körperlichen Verfassung sinnvoll, noch etwas weiter zu feiern?

Nun darf man sich diese Fragen und die von ihnen betroffenen Figuren, Tobias, Franz und Armand, deren Wege sich eher zufällig in Berlin kreuzen, natürlich nicht wie in einer Sozialreportage vorstellen. Zwar spart Coop-Phane die konkreten Begleitphänomene der von seinen Figuren geführten Lebensweise nicht aus: Tobias, der, ehe es ihn nach Berlin verschlägt, das Leben in den Clubs und die Drogen zunächst in Paris kennenlernt, wird von seinem zeitweiligen Partner Victor, den er in einem Darkroom kennenlernt, mit HIV infiziert. Franz, der anders als Tobias aus sozial schwierigen Verhältnissen stammt, fängt an zu dealen, um sich finanziell besser um seine Tochter kümmern zu können, wird erwischt und landet im Knast. Und Armand, der sich als Künstler versucht, helfen die Drogen eher beim Verkennen der Realität denn bei der künstlerischen Arbeit.

Doch trotz dieser ernüchternden Tatsachen liegt Coop-Phane nichts ferner als in den Drogen die Ursache für irgendwelche Probleme zu suchen. Drogen sind weder Ursache noch Lösung, sie sind vielmehr ein Symptom und ein Kristallisationspunkt für das, was Michel Foucault so treffend „l’usage des plaisirs“ nannte, ein Ausdruck, den Coop-Phane in seinem Roman wohl nicht ganz zufällig zitiert.

Das Paradox, dem Foucault mit seinem Begriff auf der Spur war, erleben die Figuren Coop-Phanes dabei fast schon wie selbstverständlich: Lust ist nicht einfach Genuss, sondern eine Aufgabe, für die jeder einzelne selbst verantwortlich ist. Die Drogensucht mit ihren Lustkalkülen – wie viel von welchem Stoff erzeugt welches Gefühl und wie lange hält dieses an? – ist zur Illustration dieser Aufgabe wie geschaffen und erklärt auch, warum Coop-Phanes „Demain Berlin“ kein Roman der Nacht, des Rausches und des Exzesses ist – denn dem Rausch in Coop-Phanes Roman geht immer etwas voran, eine Planung, eine Absicht, so vage sie auch sein mag. Und diese hält auch dann noch an, wenn der Rausch da ist, denn ist dieser zum Ziel geworden, kann er nie ganz Rausch sein: Er muss bewusst erlebt, irgendwie registriert werden, auch wenn man sich in ihm verliert, so muss doch klar sein, dass man es selbst ist, der sich hier verliert.

Womit wir bei einem sehr interessanten Punkt in Coop-Phanes Roman angelangt wären, nämlich der Rolle der „Gemeinschaft“. Dass diese für die „Druffis“ wichtig ist, dass sie sich gut fühlen, mit anderen zu feiern, dass sie sich mitunter liebevoll umeinander kümmern, daran lässt der Roman keinen Zweifel. Und doch ist diese „Drogensolidarität“, wie es in Coop-Phanes Roman heißt, eine sehr besondere Form der Beziehung, oder besser der Beziehungslosigkeit. Denn das Ziel der Druffis ist es eher, sich gemeinsam zu vereinzeln, anstatt sich zu vereinen. Feste, nachhaltige Bindungen sind ihre Sache nicht. Dies mag zum einen an unverarbeiteten Kindheitserfahrungen liegen – Tobias wurde missbraucht, Franz von zu Hause weggeschickt – zum anderen aber auch an einer impliziten Grundüberzeugung, die in etwa lautet: Niemand kann je gerettet werden. Es geht nur darum, die Zeit mit Schicksalsgenossen zu teilen.

Und dies ist wohl noch immer das Geheiminis und das Privileg der Metropolen, der Ort zu sein, an dem die Kinder ihrer Zeit zusammenfinden, nicht, weil sie sich suchten, aber weil alle, die sich suchen, vom selben Ort angezogen werden. Früher war dieser Ort Paris, heute ist es Berlin.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Oscar Coop-Phane: Demain Berlin. Roman.
Éditions Finitude, Le Bouscat 2013.
176 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9782363390202

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