Laut denken auf Papier

Ein Porträt der Publikumspreis-Gewinnerin Nadine Kegele

Von Katharina KirchnerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Kirchner

Nadine Kegele und die Protagonistinnen ihrer Texte bleiben im Gedächtnis – so viel steht fest. Nicht ohne Grund haben die Zuschauer der diesjährigen Literaturtage, wo sie einen Auszug aus ihrem demnächst erscheinenden Roman „Scherben schlucken“ vortrug, ihr trotz der negativen Jurykritik zum Publikumspreis verholfen und sie so zur heimlichen Gewinnerin des Wettlesens gemacht.

Dass sie in Klagenfurt Erfolg haben würde, war Burkhard Spinnen von Anfang an klar. Der Schriftsteller hat die Journalistin nämlich für den diesjährigen Ingeborg-Bachmann-Preis vorgeschlagen. Kegele hat sich nach der Pflichtschulzeit in der Provinz nach Wien gerettet. Vielleicht hat das ländliche Bludenz sie, die Rebellin, eingeengt. Denn man kann sie sich nur schwer vor bäuerlicher Kulisse vorstellen mit ihrer kurzen Bob-Frisur, dem radikal gekürzten Pony und der zu großen Brille. Nadine Kegele in einem urigen Kaffeehaus, sinnierend über Gott und die Welt, vor der Scheibe die bunte Melange aus Touristen, Urwienern und Hipstern – das fügt sich schon harmonischer zusammen.

Wie eilig sie es hatte, nach Wien zu kommen, lässt der Grund ihres Fortgehens erahnen: Sie begann dort nicht etwa ein Studium, sondern zunächst eine Lehre zur Bürokauffrau. Kegele wollte lieber selbst denken, als in der Schule Wissen länger nur zu konsumieren und nahm deshalb eine mehrjährige Berufstätigkeit in Kauf, bevor sie dann doch ihre Matura nachholte und ein Studium begann. Germanistik, Gender Studies und Medienwissenschaften sollten es sein. Endlich konnte sich ihr Wissen frei entfalten. Nebenbei war sie immer noch in ihrem erlernten Beruf tätig und verlor so nie den Boden unter den Füßen.

Bodenständige, einfache Frauen sind auch die Protagonistinnen ihrer Kurzgeschichten, die in dem Band „Anna-Lieder“ zusammengestellt sind: Sekretärinnen, Bäckereifachverkäuferinnen und Arbeitslose, die sich in ihr Schicksal fügen. Frauen, die resignieren und sich mit ihrer gesellschaftlichen Rolle abgefunden haben.

Was macht Kegeles Texte so berührend? Aufgrund ihrer Vergangenheit als Sekretärin kommen die Figuren dieser Autorin eine besondere Authentizität. Diese Bodenständigkeit wird durch Kegeles Auftreten noch einmal bestätigt: Durch ihre mädchenhafte Kleidung kokettiert sie mit ihrer Rolle als Frau. Sie strahlt Herzlichkeit und Bescheidenheit aus – und genau die ist der Grund, weshalb man ihr jedes geschriebene Wort abnimmt und die Zuschauer in Klagenfurt geradezu an ihren Lippen hingen. Ob die 33-jährige eine zweite Elfriede Jelinek oder Marlene Streeruwitz werden könnte, bleibt jedoch zweifelhaft. Auch Kegele lässt zwar ihre Gedanken nur so auf das Papier kullern wie die beiden Kolleginnen. Allerdings zeichnen ihr Denken und ihre Sprache sich nicht durch den wütenden, lauten Protest, sondern eher durch das leise sich-Fügen der Charaktere und ihr schleichendes Zugrundegehen aus, das sie in ihrem fragmentarischen, dennoch sehr poetischen Stil andeutet. Nach eigenen Angaben ist Schreiben für sie „laut denken auf Papier“.

Man kann nur hoffen, dass der Publikumspreis für die quirlige und liebenswerte Autorin ein Sprungbrett in die Öffentlichkeit ist und darf gespannt sein auf ihren Roman. Bis dahin hält sie das Bild der jungen modernen Wienerin aufrecht, die über ihrem Kaffee sitzend die Zeit verstreichen lässt. Dabei blickt sie manchmal auf, fixiert vielleicht eine Verkäuferin, die sich in der Mittagspause ein Teilchen bestellt und beobachtet sie genau.

Dieser Text gehört zu einer Serie von Artikeln von Studierenden aus Duisburg-Essen zum Bachmannpreis 2013.