Fast ein Meilenstein

Lucas M. Gisi, Urs Meyer und Reto Sorg haben einen Band zu Formen literarischer Selbst-Inszenierung herausgegeben

Von Clemens GötzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clemens Götze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Autorschaft, Medien und Inszenierung haben im wissenschaftlichen Diskurs aktuell seit kurzem wieder Hochkonjunktur. Dies belegt neben zahlreichen Tagungen und Publikationen der jüngst bei Wilhelm Fink erschienene Band, der zwar in seiner Brandbreite durchaus als verdienstvoll bezeichnet werden kann, dessen vielversprechender Titel „Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview“ aber leider nicht immer das zu halten vermag, was er verspricht.

Dies hat unterschiedliche Gründe zumeist formaler Natur. Ganz bewusst grenzt sich einer der drei Herausgeber in seinem als eine Art Einleitung fungierenden Beitrag von dem 2007 von Jörg Schönert und Christine Künzel herausgegebenen Band zu Autorinszenierungen ab, doch erscheint gerade diese Distanzierung im Hinblick auf den Inhalt des Bandes eher fragwürdig, denn er beschreibt ja Techniken der Selbstdarstellung, Inszenierung und Performance in unterschiedlichsten Medien vom Brief bis zum Interview. Sein Aufsatz beschreibt zwar konzis die Entwicklungslinien des Themenkomplexes Autorschaft und Medien vor dem Hintergrund seiner literaturwissenschaftlichen Relevanz, lässt aber mögliche Formen der Kategorisierung und Vorschläge für eine Bearbeitung dieses diffusen Gegenstandes vermissen. Als zusammenfassender Einstieg mag der Beitrag damit seinen Zweck erfüllen, unter der Prämisse eines als strukturierendes Dach für die Analysekategorien hingegen muss man doch Mängel attestieren, die dem Band ihre grundständige Bedeutung absprechen. Wirklich neue Erkenntnisse fördert dieser Einstiegsaufsatz nicht zutage, wenn er auch eine gut lesbare Zusammenfassung historisch-genetischer Entwicklungen abbildet.

Der Publikation der hier versammelte Beiträge ging eine Tagung an der Universität Freiburg/Schweiz voraus und bis auf wenige Ausnahmen (aus Gießen, Marburg und Salzburg) sind unter den BeiträgerInnen viele Schweizer NachwuchsgermanistInnen, deren Themen breit aufgestellt und in sich konturiert sind, so dass ein recht breites Themenspektrum auf durchweg hohem Niveau abgehandelt wird. Insgesamt werden bisher weniger beachtete Aspekte beleuchtet, der Band bietet interessante und hochwertige Analysen und Fallstudien zu den unterschiedlichsten, epochemachenden Autoren vom 19. bis 21. Jahrhundert mit sehr vielseitigen Perspektiven. Inhaltlich gibt es nichts zu kritisieren, die Beiträge sind fundiert und argumentativ einwandfrei; ihre Stilistik ist einem solchen Werk angemessen und hervorragend zu lesen.

Wenn es um die Techniken der Selbstinszenierungen geht, so sind die Beiträge von Simone Wichor, Karin Brülhart (beide zu Annemarie Schwarzenberg) und Uwe Wirth (zu E. T. A. Hoffmann) sowie jener von Andreas Freinschlag (zu Peter Handke) zu nennen, welche die Darstellung und Formierung von Autorschaft vor dem Hintergrund des Performancegedankens entwickeln und deren spezifische Formen und Methoden differenziert erörtern. Gerade bei Autoren wie Annemarie Schwarzenbach liegt der Topos der Camouflage gleichsam auf der Hand; ihre mediale Inszenierungskunst bietet ähnlich wie bei Peter Handke ertragreiche Anknüpfungspunkte für die Erarbeitung von Konzeptstrukturen im intermedialen Diskurs. So ist denn auch gerade das Beispiel E. T. A. Hoffmanns kennzeichnend für eine markierte Herausgeberfiktion in seinem Romanhauptwerk „Kater Murr“, wie Uwe Wirth es treffend herausarbeitet. Sehr überzeugend bildet Wirth die Entstehung einer Herausgeberposition als editoriales Dispositiv ab, das mittels performativer Ironie dafür sorgt, dass „die Instanz des Druckers den unzuverlässigen Herausgeber in einen ohnmächtigen Herausgeber transformiert“, die das Ausgeliefertsein der Autorschaft vor ihrem Medium des Buchdrucks anzeigt. Ähnlich interessant sind die Ausführungen Helena Elshouts zur Alter ego Erzählfigur bei Karl Kraus, deren Funktion die Neubestimmung der eigenen Autorschaft im Zeitalter der Krise als neuer Impuls für die Kraus-Forschung betrachtet werden kann. Denkt man dabei etwa an Georges Sakralisierungstypologien und Inszenierungspraktiken, lassen sich durchaus frappante Parallelen ziehen. In jedem Fall dienten die Autoren der Jahrhundertwende in vielerlei Hinsicht als Wegbereiter für die Selbstinszenierung der (nicht zuletzt österreichischen) Dichter im 20. und 21. Jahrhundert, man denke an das prominente Dreiergespann Bernhard – Handke – Jelinek.

Aber auch die Begriffskonstruktion des Rollenspiels findet in dem Beitrag von Sonja Klimek zu Robert Schumanns musikjournalistischem Werk im Kontext der Romantik eine hervorragende Ausarbeitung. Gleiches gilt für den Beitrag von Nina Maria Glauser zum Autofiktionskonzept bei Paul Nizon, das in einem Sammelband zur Autorschaft im 21. Jahrhundert natürlich nicht fehlen darf, stellt dieser Aspekt doch seit Serge Doubrovskys Begriffsprägung einen der bedeutendsten Diskurs in der Autobiografie- und Fiktionsforschung der letzten Jahre dar. Aus der Konzeption des Bandes fällt jedoch der Beitrag von Jens Herlth heraus, dessen allgemeine Verortung von Autorschaft im biografischen Paratext in Russland eine Sonderstellung einnimmt. Besser eingefügt hätte sich der Aufsatz, wenn andere, internationale Literaturen Betrachtung gefunden hätten, so steht er isoliert und will nicht so recht in das sonst eher personenbezogene Muster der zu einem gewichtigen Teil auf schweizerische Autoren (Schwarzenbach, Dürrenmatt, R. Walser, Nizon) fixierte Beiträge passen, was allerdings nichts an der Qualität von Herlths Bestandsaufnahme zum Thema ändert. Interessant ist hingegen noch jene Auffälligkeit, dass neben dem Schwerpunkt schweizerischer Autoren auch Österreichs Schriftsteller stark präsentiert sind mit Beiträgen zu Kafka, Kraus, Hofmannsthal, Aichinger und Handke, wohingegen die Linie der deutschen Autoren in diesem Band mit Benjamin beendet ist.

Leider gelingt es dem Band folglich nicht durchgängig, die durch Titel und Cover suggerierte Bestandsaufnahme interperspektivischer Zugänge strukturell befriedigend abzubilden. So fehlt eine grundständige Betrachtung zum Komplex medialer Prozesse im Hinblick auf Autorschaftskonstruktionen, die einleitenden Ausführungen können dem Anspruch des Bandes in dieser Hinsicht nur bedingt gerecht werden. Ähnliches muss dem letzten Beitrag bescheinigt werden, der sich damit zu retten versucht, eine nur „unvollständige Phänomenologie“ von Autorschaft und digitalen Medien zu präsentieren, worin man ihm nur zustimmen kann. Zwar ist das Herangehen seines Autors an das Thema durchaus interessant, wenn man den Bereich der computergenerierten Literatur anvisiert, doch lautete der Titel beziehungsweise Untertitel des Bandes „Formen literarischer Selbstinszenierung“, wovon in jenem Aufsatz kaum bis gar nicht die Rede ist.

Wichtig wäre in diesem Zusammenhang die Frage nach Autorenhomepages und sozialen Netzwerken gewesen, ein Faktor, der seit einigen Jahren die mediale Autorschaft in entscheidender Weise prägt. Als Parallelbeitrag zur Briefkultur wäre überdies eine Auseinandersetzung mit der Frage nach E-Mails von Autoren notwendig gewesen, überdies ein Forschungsfeld, auf dem sich mehrere Desiderate auftun. Es ist bedauerlich, dass in unserer digitalisierten Welt dieser Themenbereich noch immer kaum Eingang in die wissenschaftliche Betrachtung gefunden hat und man sich bisher scheinbar konsequent einer Erfassung verschließt. Dies gilt dann auch für die einführenden Bemerkungen Urs Meyers, der darauf ebenfalls nicht hinweist. Über die Gründe hierfür mag lange spekuliert werden, doch bleibt die Hoffnung, dass Erforschung von Mail-Korrespondenzen in Bezug auf autorschaftliche Inszenierungspraktiken bald mehr Aufmerksamkeit zuteil werde; immerhin hat es beim Autoreninterview auch seine Zeit gebraucht, ehe dieses zum geradezu modischen Forschungsgegenstand avancierte.

Auch hier rechtfertigt ein spezieller Beitrag zu den Interviews von Ilse Aichinger nicht unbedingt den Untertitel, gibt es doch unzählige AutorInnen, deren Interviewpräsenz zu einem großen Teil die öffentliche Wahrnehmung und Wirkung ausmachen, man denke an W. G. Sebald, Heiner Müller, Günter Grass oder Elfriede Jelinek. Die vielen medialen Facetten dieses Aspektes bleiben in dem vorliegenden Band jedoch unberührt. Man mag dagegen halten können, dass ein gut 300-seitiger Band freilich nicht alle Aspekte gleichermaßen intensiviert berücksichtigen kann, aber beim Anspruch einer solchen Publikation erscheint diese Auslassung eben doch als ziemlich eklatantes Manko. Freilich hätte man dem Problem mit einem zumindest ausblickhaften Nachwort entgegenwirken können, so aber bleiben wesentliche Gesichtspunkte im Bereich medialer Autorschaftskonzeptionen leider schlichtweg unbegründet ausgeblendet.

Insgesamt hätte auch das Inhaltsverzeichnis klarer strukturiert sein können, da beispielsweise die letzten zwei Beiträge allgemeiner Natur sind, was sich mit dem vorangegangenen und durchgehaltenen Konzept einer thematischen Fixierung nur bedingt vereinbaren lässt. Zwar ergibt sich die Aufteilung und Platzierung der Beiträge aus einer literarhistorischen Chronologie heraus, doch im Ganzen fallen die zwar als Einleitung fungierende, jedoch nicht als solche bezeichnete erste Arbeit, sowie die zwei letzten Aufsätze aus diesem Chronologiekonzept heraus, da sie überblicksartig allgemeinere Tendenzen beschreiben, die nicht an nur einem Autor verifiziert werden. Vielleicht wäre aber gerade vor dem Hintergrund des Titels eine mediale Strukturierung in Form thematischer Panels für den Band die bessere Wahl gewesen, um die Übersichtlichkeit zu gewährleisten. So wirkt der Band mit seiner behelfsmäßigen Einleitung und fehlenden Ausblicksdarstellungen in seinem Rahmen etwas bemüht, was auch deshalb schade ist, da der Titel diese klare Strukturierung im Grunde vorgibt beziehungsweise anstrebt, und in der Folge leider nicht aufgreift und einhält.

Positiv anzumerken ist aber definitiv die umfängliche Bibliografie, die zusammengefasst die zitierte Literatur auf einen Blick abbildet, und das Personenregister im Appendix, was nicht nur die Beiträge auf Wesentliches im Inhalt beschränkt und somit lesbarer gestaltet, sondern auch die Recherche für Anschlussarbeiten erleichtert. Was indes bedauerlicherweise fehlt, sind Kurzbiografien der Autorinnen und Autoren, vielleicht hielten dies die Schweizer Herausgeber nicht für erforderlich, abgerundet hätten sie Band jedoch allemal.

Abschließend sei vermerkt, dass hier der Versuch vorliegt, ein möglichst breit angelegtes Themenspektrum anzubieten, das die neuere Autorschaftsforschung stärker auf den Medienkomplex ausrichten will. Für die Frage nach Inszenierungspraktiken der Autorschaft sind nicht alle Beiträge gleichermaßen bedeutsam und intensiviert genug, um als unumstrittenes Standardwerk und unverrückbare Bestandsaufnahme für künftige Betrachtungen gelten zu können. Gelungen ist der Sammelband trotz kleinerer Kritikpunkte aber in jedem Fall, auch wenn er sein Potenzial hinsichtlich der Themenbandbreite nicht vollständig ausschöpft. Insofern bietet er – wie man fairerweise zugestehen muss – genügend Anknüpfungsspielraum für weitere Bände dieser Art.

Titelbild

Lucas Marco Gisi / Urs Meyer / Reto Sorg (Hg.): Medien der Autorschaft. Formen literarischer (Selbst-)Inszenierung von Brief und Tagebuch bis Fotografie und Interview.
Wilhelm Fink Verlag, München 2013.
300 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-13: 9783770555185

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