Geschäfte machen

Dominique Manotti hat einen fulminanten Wirtschaftskrimi geschrieben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die Wirtschaft in ihrem Kern kriminell ist, ist common sense – wer übertrieben viel Geld verdient, muss das auf krummen Wegen tun, anders ist das überhaupt nicht vorstellbar. Diese Idee hat sogar die historische Wahrheit für sich, haben doch die großen Vermögen nicht allzu selten ihren Ursprung in den kriminellen Neigungen ihrer Gründer: Die Thurn und Taxis haben sich im 16. Jahrhundert als Bauernschlächter hervorgetan, die italienischen Kampagnenfürsten der Renaissance haben gleichfalls zu legalisieren versucht, was sie mit Gewalt zusammengerafft haben, von der Mafia heißt es, dass sie ihr Geld ehrlich machen will und deshalb wäscht. Woher die neuen russischen Oligarchen ihr Geld haben, will man gar nicht wissen, und die Kollateralschäden des Kapitalismus an der Peripherie der Industrieländer sind seit Jahrzehnten Thema in der internationalen politischen Debatte. Und nicht zuletzt steht dem Krimi ja noch das im Vergleich dazu beinahe banale Junktim von wirtschaftlichem Erfolg und Päderastie oder Serienmord als Dauerbrenner zu Gebote. Unternehmer sind alle Verbrecher? Vielleicht nicht ganz, obwohl niemand, wirklich niemand behaupten wird, dass Unternehmer in sich ruhende, ausbalancierte Persönlichkeiten seien. Man zeige uns einen solchen.

Dominique Manottis neuer Kriminalroman beutet dieses arg vitale Denkmuster nachhaltig aus. Gier als Antrieb führt nicht nur zu Reichtum, sondern ist – als a-sozialer Akt – Basis kriminellen Handelns, vom Betrug über den Drogenhandel bis hin zum Mord. Alles lässt sich in dieses Paket packen, und Manotti packt alles in ihren fulminanten Krimi.

Dabei fängt „Zügellos“ nicht einmal besonders gelungen an. Auf der Hauptversammlung eines großen französischen Mischkonzerns putscht einer der Aufsichtsräte und fordert einen radikalen Richtungswechsel. Das führt dazu, dass die alte Garde empört das Feld räumt. Und schon hat der Putschist die Macht. Nun kennt sich unsereiner im französischen Aktienrecht nicht besonders gut aus, aber dass es so ganz an den Formalia fehlt, die dem deutschen Paralleluniversum zueigen ist, wundert schon. So fehlt es zum Beispiel an Anträgen, deren Eingang befristet ist, und an Abstimmungen, an Rücktritten und deren Bedingungen, an Neuwahlen, auch die Differenz zwischen Vorstand und Aufsichtsrat oder operativen und kontrollierenden Board-Mitgliedern ist kein Thema – und angeblich ist es sogar die PR-Frau, die als Königsmacher fungiert.

Deren Auftritt ist weder seriös noch fulminant, sondern einfach nur ungezügelt – um nicht zu sagen, das würde deutschen Kolleginnen, die solche Reden in Pressevorgesprächen führen, den Hals brechen. Aber so merkwürdig der Anfang sein mag, so ausgefeilt ist der Rest. Vielleicht sogar so brillant, dass handwerkliche und Wissensfehler gar nicht auffallen. Auch Konstruktionsmacken spielen überhaupt keine Rolle, dazu ist das Ganze viel zu angespannt (wie wahrscheinlich ist es, dass der schwule Kommissar genau auf den Lebensgefährten und Wohngenossen jener PR-Frau trifft, der kurze Zeit später auch noch das Opfer einer hemmungslosen Eifersuchts-/Versagensattacke wird?). Eher unwahrscheinlich. Und wie bedeutsam ist der Umstand, dass die Ereignisse von „Zügellos“ im Mauerfall 1989 enden? Aber so merkwürdig es klingt, es macht überhaupt nichts.

Manotti hetzt durch diese knapp 290 Seiten in einer Weise, wie sie im Krimi selten geworden ist. Die Atemlosigkeit der Ereignisse findet sich in der Hast der Erzählweise wieder. Da werden Leute umgebracht, in die Luft gejagt, verbrannt und erschlagen, Pferde jagen durch die Nacht und Ställe werden angezündet, die Ermittler stöbern in allem herum, was einigermaßen zu ihrem Fall passt, und lassen zwischendurch – das muss wohl sein – auch nichts anbrennen. Die erotische Szene dieses Krimis findet denn auch zwischen zwei Männern statt. Eigentlich auch nicht anders als bei den Heteros, wenn man die Mechanik zugunsten der Metaphorik und Ornamentik außer Acht lässt (hätte man ahnen können).

„Zügellos“ zeigt nicht zum ersten Mal das grandiose Talent Dominique Manottis, das eben nicht im ausgewogenen Plot, in der gewieften Motivik oder in der elaborierten Sprache besteht. Sie muss nicht einmal eine stimmige Geschichte schreiben. Man kann sagen, Manotti hat das alles nicht nötig, um einen grandiosen Krimi zu schreiben, und dafür kann man sehr dankbar sein. Gerade die Ecken und Kanten dieses Krimis machen ihn enorm lesenswert, als durcherzählte stimmige Geschichte würde das nicht funktionieren. Eine späte Brecht-Apologetin also? Soll der doch Marieluise Fleißer bei den „Pionieren“ geraten haben, das Stück wie ein zusammengebasteltes Auto zu konstruieren, das eben nicht reibungslos funktioniert. Stattdessen aber zum Denken anregt.

Titelbild

Dominique Manotti: Zügellos.
Übersetzt aus dem Französischen von Andrea Stephani.
Argument Verlag, Hamburg 2013.
286 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783867541930

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