Eine kommende Ästhetik

Zu Christoph Menkes „Die Kraft der Kunst“

Von Sebastian SchreullRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Schreull

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sich in den letzten Jahrzehnten für Ästhetik interessierte oder für politische Philosophie, vielleicht auch für die Tradierungen kritischer Theorie, der verbindet gewiss mit Christoph Menke ein Werk. Das Aufregende an Menkes Schreiben ist nicht nur, dass es systematisch am Verhältnis von Ästhetischem und Politischem arbeitet – an einem stets zu Irritationen oder Streit neigendem Verhältnis. Wir könnten sogar sagen, dass Menke dort einsetzt, wo diese Irritationen Schulen oder Theorietraditionen entzweiten.

Wir wissen vielleicht darum, dass in der kritischen Theorie dieses Verhältnis unter Verdacht steht, zwei Extreme zu bewirken: den Ästhetizismus oder die Institutionalisierung. Der Streit darum verlief sicherlich nicht aufhebend oder sich selbst auflösend. Die Ästhetik stand entweder in Verdacht, dass sie ihre Geltung ungebührlich auf anderes (ihr nicht ‚Zugehöriges‘) ausdehne, oder es wurde dieser Position vorgeworfen, man nehme die ästhetische Erfahrung nicht ernst, indem man ihre Geltung zu sehr beschränke, man bringe kritische Theorie um ihr irritierendes, subversives Moment. Menkes Konzeption einer Ästhetik nimmt diese beiden Positionen in sich auf und reflektiert sie, um diesem Dilemma zu begegnen.

Ästhetik heißt für Menke mehr: Ein anderes Philosophieren, als es in einer theoretischen oder praktischen Philosophie vollzogen werden kann. Sie ist darum nicht die bloße Beschäftigung mit dem Schönen. Menkes „Die Kraft der Kunst“ ist die Fortsetzung und die Explikation seines Modells einer Ästhetik, das „die Doppelgestalt einer ästhetischen Anthropologie, als Lehre vom Geist, und einer ästhetischen Theorie, als Lehre von der Kunst“ ist. Ästhetik sei dadurch philosophisch, „daß sie das Begreifen des Geistes und das Begreifen der Kunst zusammenhält, ohne sie dabei miteinander gleichzusetzen“.

In „Kraft. Ein Grundbegriff ästhetischer Anthropologie“ (Suhrkamp 2008) hat Menke sich der ersten Gestalt zugewandt. Johann Gottfried Herder, Johann Georg Sulzer, Moses Mendelsohn und Friedrich Nietzsche waren damals seine Gewährsmänner für eine andere Ästhetik, die eben nicht rationalistisch im Sinne Alexander Gottlieb Baumgartens sei, sondern mit dieser ‚akademischen‘ Betrachtung der Kunst breche. Baumgarten mache die Kunst bloß zu etwas, was erst in der Vernunft oder vernünftigen Betrachtung wirklich sei. Er bleibe damit einer Subjektphilosophie verhaftet, die sich an den Vermögen des Subjekts ausrichte. Vermögen würden in sich wiederholenden Übungen erworben, in denen der Mensch zum Subjekt in gewissem Sinne „abgerichtet“ werde. Genau dies problematisiere eine bestimmte Ästhetik, als deren systematischer Neubegründer Baumgarten verstanden werden kann, eben nicht. Und doch sei genau dies entscheidend, um sinnvoll eine Ästhetik zu begründen, Geist und Kunst vermittelt zu denken.

Eine solche Ästhetik, wie die Baumgartens, könne das Unbestimmte der Kunst, das Neue, was mit dem Geübten oder Gewöhnten breche, nicht begreifen. Und eine Kunst, von der nicht die Wirkung oder die Kraft dieses Unbestimmten ausgehe, was von den Vermögen angemessen gefasst werden könne, solche Kunst sei auch kein wirklich ästhetisches Werk. Menke expliziert dies in „Das Kunstwerk: zwischen Möglichkeit und Unmöglichkeit“, dem ersten Aufsatz zu seinen ästhetischen Kategorien in „Die Kraft der Kunst“: „Kein Werk kann gelingen, das nichts als Ausübung des Vermögens des Ichs ist, Wir zu sein“. Ein Ich, das bloßes Wir sei, das bloß ein Allgemeines tue, vergegenständliche, was eingeübte Handlungen bezweckten, das schaffe eben keine Kunstwerke. Und es ist bemerkenswert – wir werden darauf zurückkommen –, warum Menke nicht vom Kunstwerk als Gegenstand spricht, sondern vom Kunstwerk auf eine Tätigkeit schließt, nämlich die des Künstlers.

Menke formuliert nicht nur eine Kritik Baumgartens, sondern auch eine der Ästhetik Hegels. Er setzt Überlegungen aus „Kraft“ fort, indem er nun seine Modellierung einer ästhetischen Anthropologie um Elemente einer ästhetischen Theorie bereichert. Dies geschieht unter der Zwecksetzung – greifen wir ruhig etwas vor –, dass die Begriffe der Freiheit und der Gleichheit in der Ästhetik begründet werden. Zugespitzt könnten wir sagen: Menke zielt nicht auf eine Politisierung der Ästhetik, sondern auf eine „Ästhetisierung“ nicht nur des Politischen, um uns die Begrifflichkeiten für eine Reflexion in die Hand zu geben, warum die Veränderung unserer Praktiken auf das Ästhetische angewiesen sei. Menke entwendet nicht etwa Walter Benjamin den Begriff der Ästhetisierung (aus „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ – einen Aufsatz den Theodor W. Adorno vielleicht hasste); er definiert ihn neu, kontextualisiert ihn anders, als dies eine Tradition kritischer Theorie getan hätte. Und in einer gewissen Lesart dieser Tradition war Nietzsche eine entscheidende Referenz – wenn auch keine unumstrittene. Der Ästhetik Adornos wurde vorgeworfen, dass sie sich zu stark auf Nietzsche beziehe, seine Schwierigkeiten nicht ausreichend reflektiere. Manche empfahlen dagegen eine Lektüre Hegels, aber dies gehört jetzt nicht hierher. Menke liest Nietzsche fröhlicher, als man dies noch nach einem gewissen „philosophischen Diskurs der Moderne“ (Jürgen Habermas) tat. Und Nietzsche ist Menkes Bezugspunkt, um die Ästhetisierung näher zu fassen – sie nämlich in gewisser Weise durch das Tun des Künstlers zu bestimmen.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Tun des Künstlers bei Menke zu einem solchen wird, an dem wir etwas über unsere anderen Praktiken lernen können: Der Künstler berauscht sich, der mit dem Scheitern ‚Vertraute‘ ist ein Könner des Nicht-Könnens. Im Tun des Künstlers expliziere sich etwas, was nicht bloß subjektiv oder objektiv sei. Und zeige sich dasjenige, durch das sich unsere Praktiken verändern, indem wir sie mithilfe des Ästhetischen anders betrachteten, sie anders reflektierten. Und dies wäre dann eine Intervention ästhetischer Freiheit.

Sollten Sie sich nun wundern und fragen, ob dies nicht zu ‚subjektivistisch‘ sei, ob es nicht das ‚Gegenständliche‘ oder ‚Objektive‘ ausblende, ob es damit nicht das künstlerische Tun zu stark gewichte, dann sei Ihnen zur Lektüre geraten. Denn Menke wendet sich eben einer philosophischen Tradition zu, die einer bestimmten Situierung von Subjekt und Objekt misstraut, die nicht den Widerspruch zwischen Subjekt und Objekt oder Substanz anvisiert, sondern den Widerspruch „im“ Subjekt: Er stellt das Subjekt im Widerstreit mit ‚dem‘ Menschen dar. Der Mensch, ‚Grundbegriff‘ einer Anthropologie, sei einem Wirken von Kräften ausgesetzt; diese Kräfte wirkten irgendwie in ihm. Sie wirkten auch dann noch, wenn die Menschen „zu Subjekten abgerichtet werden. Kräfte sind menschlich, aber vorsubjektiv“. Im Wirken der Kräfte handele der Mensch nicht bewusst: „[I]hr Wirken ist nicht vom Subjekt geführt und daher vom Subjekt nicht gewußt“.

Menke belässt dieses Unbewusste, dieses Dunkle in dieser Weise; er ‚deduziert‘ es nicht. Es könne nicht durch Einzelwissenschaften erhellt werden (weswegen er vermutlich die Psychoanalyse in seine Betrachtungen nicht miteinbezieht), noch sei es Gegenstand einer Sozial- oder Geschichtsphilosophie. Menke will also nicht die Geltung des Ästhetischen ungerechtfertigt ‚ausdehnen‘. Das Unbewusste, dieses Spiel der Kräfte sei genuiner Gegenstand einer Ästhetik, die das Ästhetische am Künstlerischen bestimme – auch in seiner Wirkung auf andere Praktiken. Menke nimmt also das Ästhetische ernst, indem er ihm eine maßgebliche Wirkung auf dasjenige zugesteht, was unser vernünftiges Urteilen ‚übersteigt‘. Denn eine „rein praktische Freiheit“ richte sich an einer eingeübten Norm aus, was „Normativität in Normalität, Gelingen in Gewohnheit umkippen läßt“. Und nähmen wir unseren Anspruch auf Normativität ernst, „die Idee der Wahrheit oder die Idee des Guten“, dann erschöpften sich diese nicht „in einem Wiederholen sozial definierter Güter, Maßstäbe und Regeln“. Dann ist die Idee der Wahrheit oder des Guten im Verhältnis zu jenem Überstieg zu denken, jenem Überschreiten der Normativität, was für Menke wesentlich das Ästhetische ist. Der Gegenstand der Ästhetik übersteigt so nicht nur das Gute und das Wahre, sondern muss im Verhältnis zum Guten und Wahren gedacht werden. Im oder am Ästhetischen werden wir dem gewahr, dass unser Tun nicht nur von Vernünftigem und von zu vollziehenden Zwecken bestimmt ist. Haben wir dadurch nicht dem Ästhetischen eine zu grundlegende Bedeutung beigemessen?

Menke weiß um die Problematiken dieses Sprachspiels, einer Bestimmung der Ästhetik als prima philosophia. Er sichert seine Überlegungen gegen Deutungen des Ästhetischen als des Menschlichen, als „Ursache“ für unser Tun in einem mechanistischen oder biologistischen Sinne ab. Auch wehrt er sich gegen das Missverständnis, dass das Menschliche das Unentfremdete sei, zu dem man zurückkehren müsse. Das Wirken der Kräfte sei kein „Stadium“, was einmal überwunden oder vergessen sein könnte. Kräfte wirken in Kunst, aber es bedarf des Anderen der Kräfte, um sich als Werk vergegenständlichen zu können. Kunst ist nur im Widerstreit von Vermögen und Kräften „möglich“: „Denn nur wer vom Naturwesen zum kompetenten Teilnehmer einer Kultur gebildet worden ist, hat diejenige Subjektivitätsform erworben, die objektivitätsfähig ist“. Dieses Moment scheidet Menke nicht aus der Ästhetik aus, sondern will gerade auf eine Ästhetik hinaus, die die Probleme der Disziplinierung des Subjekts anvisiert, indem sie das Ästhetische als Möglichkeit und Widerstreit des Subjekts ausweist. Dadurch wird das Ästhetische zu etwas, was auf alle Praktiken als etwas Gefährdendes oder Problematisierendes wirke, aber in Menkes Sinne überhaupt so etwas wie Veränderung, gerade unserer Maßstäbe des Urteilens oder Handelns, begreifbar macht.

Und wenn wir nun sagen, Menke schreibe ein Œuvre, weil er systematisch arbeite, dann könnten wir dies damit belegen, dass bereits seine Dissertation, „Die Souveränität der Kunst“ (Suhrkamp 1991), die These entfaltet, dass „Schönes und Wahres niemals in einem Verhältnis des Zusammenspiels stehen, sondern in dem einer unlösbaren krisenhaften Spannung“. Genau dies scheint nun in „Die Kraft der Kunst“ begrifflich in dem Sinne entwickelt zu werden, dass es einer höherstufigen Reflektion bedarf, die beinahe grundsätzlich argumentiert. Menkes Stil scheint genau dies darzustellen: Es ist kein ästhetischer Stil, auch wenn in „Die Kraft der Kunst“ Essays eingeflochten sind, die im Sinne Menkes „ästhetische Kritiken“ sind. Aber diese Kritiken unterscheiden sich von den restlichen Aufsätzen. Diese Kritiken sind eben Exkurse, in denen das verdeutlicht oder in Praxis ‚vorgeführt‘ wird, was die vorangehenden Abhandlungen über die ästhetischen Kategorien (Kunstwerk, Schönheit, Urteil und Experiment) begründen.

Menke argumentiert systematisch, um etwas darzustellen, was ohne jede Systematik sei. Menke macht sich Gedanken darum, wie das Unbestimmte oder sogar Unbestimmbare der Kunst begriffen werden könne. Und es ist auch gar nicht abwegig, wenn wir die Tradierung kritischer Theorie reflektieren, dass genau dies an einem Begriff entfaltet wird, der für das Dunkle, Unklare, ein Spiel steht, was formierend, aber formlos sei. Fraglich daran ist nur, wie diese Spannung reflektiert wird.

Dies bedeutet zuvörderst eine eigentümliche Spannung im Stil des Werkes: Bis zur Apodiktik gehende Schlussfolgerungen als das eine Extrem, prosaische Urteile über die Angemessenheit von Kunstwerken als das andere, die aus alltäglichen oder gewöhnlichen Irritationen sich schöpfen, in ihrem „unmittelbaren“ Urteilen auch problematisiert werden. Daher gilt auch die Kritik künstlerischem Tun, das sich dem Wirken der Kräfte verschließt: Neo Rauchs Gemälde „Das Amt“ wird als ein „Bild ohne Witz“, ein „Bild ohne Geheimnis“ kritisiert. Kunstwerke hätten erst Kraft, wenn sie „das urteilende Subjekt sich selbst unerträglich werden […] lassen“. Wenn Werke also klar als „gut“ oder „schlecht“ beurteilbar sind, wenn sie eben erträglich sind, weil wir sie so und so beurteilen können, weil sie sich im Gewöhnten oder Geheimnislosen erschöpften – wenn sie eben nur eine Theorie schlecht umsetzten, dann wären sie keine wirklichen, kraftvollen Werke.

Eine solche Qualität ist dem Stil Menkes nicht anzulasten. In einem philosophischen Sinne schreibt er gut, da es anstrengend ist, im Denken seiner Argumentation zu folgen. Dies liegt im Wesentlichen daran, dass er klar schreibt. Seine Argumentationen zerfasern nicht, verfolgen einen bestimmten Zweck. Durch diesen Zweck werden andere philosophische Modelle gelesen, gebraucht, Begriffe entlehnt und entfaltet, ihr Verhältnis zueinander definiert. Das Definitorische und Sukzessive ist bestimmend in diesem Schreiben. Es ist also philosophisches Schreiben in einem akademischen Sinne.

In all dieser Klarheit, diesem Voranschreiten mag man manchmal beunruhigt zurückbleiben. Das Gelesene erscheint apodiktisch, so als ob hier doch Wesentliches ausgeblendet, was dieses Fortschreiten unterbrechen müsste. Rasch wird beispielsweise im Aufsatz „Die Schönheit: zwischen Anschauung und Rausch“ das Verhältnis von Leben und Schönheit linear oder eine Lesart von Nietzsche oder Arthur Schopenhauer durchspielend entwickelt: „Weil beide Einsichten wahr sind, müssen sie zusammengedacht werden. Weil jedoch beide Einsichten einander entgegengesetzt sind, bilden sie zusammengenommen eine Antinomie“. Es mag für die Argumentation angemessen sein, Schopenhauer und Nietzsche so zu lesen. Beide Positionen werden aber so argumentiert, dass sie unterbestimmt sind. Und die Argumentation will diese Positionen auch nicht ‚vollständig‘ entfalten, sie will auf anderes als ‚gute‘ Urteile über Schopenhauer oder Nietzsche hinaus. Was die Lektüre unterbrechen mag, ist aber, dass beide Philosophen so argumentiert werden könnten, dass sie keine Antinomie mehr bilden, sondern unangemessene Bestimmungen eines begrifflichen Verhältnisses. Sie wären dann unwahr. Aber genau dies sollte man nicht tun. Menke ist vom Resultat her zu lesen, von den Problemen, die er sich aufgegeben hat.

Sein Stil ist daher selbst ein Mittel, um in jener Mannigfaltigkeit des Problematischen zwischen Ästhetischem und Politischem einen Faden zu entwickeln. Man könnte es vielleicht so sagen: Menke versucht Kunst als Widerstreit von Vermögen und dem Spiel der Kräfte zu bestimmen. Dieses Spiel ist als solches jedem Allgemeinen der Vernunft irgendwie vorgeordnet. Man könnte also sagen, dass Menkes Argumentation wie ein Spiel wirkt, indem die Spielenden sich bewusst darüber sind, dass man mitspielen, weiter mitspielen sollte, um Lust in der Lektüre zu erfahren. Menkes Spiel funktioniert aber mit Begriffen, daher anders als das Spiel der Kräfte, was auf keinen Begriff zu bringen ist. Menkes Stil ist in einer eigentümlichen Spannung mit seiner systematischen Argumentation. Und dies, was er argumentiert, verlangt nicht nur nach der systematischen Argumentation. Seine Argumentation begrenzt vielmehr die Geltung einer solchen Argumentation.

Die Vorgeordnetheit des Spiels ist für Menke Grund dafür, dass die Menschen überhaupt Freie und Gleiche sind. Wenn wir kein Spiel der Kräfte als Erstes annähmen, dann könnten wir nicht plausibel machen, dass wir überhaupt ein Erstes von einem Zweiten unterscheiden können. Der Mensch muss Freier und Gleicher sein, um überhaupt unterscheiden zu können, um sich zu verändern, um nicht bloß Wirkung einer Ursache zu sein oder Exemplar einer Gattung. Um weniger kann es auch einer Ästhetik nicht gehen, will sie philosophisch sein.

Wer nun diesen Streit in der Tradierung kritischer Theorie verfolgt hat, von dem wir jetzt schon so häufig sprachen, der wird dem gewahr werden, dass genau dies ein Ausgangspunkt jenes Streits war, der die Ästhetik in kritischer Theorie wieder zu einem untergeordneten Bereich erklärte: Verbleibt nicht eine solche Ästhetik als Bewusstseinsphilosophie hinter den Anforderungen eines Philosophierens zurück, was doch das Allgemeine zu denken hat? Es scheint so, als wiche Menke jenen Kritiken aus, die Aussagen der Ästhetik oder ästhetische Aussagen als sprachphilosophische Probleme denken wollen. Die also an einer Ästhetik der Kraft oder des Unbestimmbaren, des Spiels oder Widerstreits gerade kritisieren, dass es das Allgemeine des Wirkens der Kräfte bestreite oder nicht denke. Die Kräfte sind auch bei Menke das Andere der Vermögen. Aber Kräfte sind für uns eben auch als Begriffe, als Allgemeines dargestellt. Kräfte sind eben als philosophisch reflektierte nicht einfach das Andere des Begriffes.

Menkes Hegel-Kritik behauptet aber Gegenteiliges: „Der Geist muß sein Anderes in sich tragen: das Andere des Geistes nicht bloß als er selbst in anderer Form, sondern als seine Unform“. Schon bei Hegel war der Geist ein Begriff, der das Verhältnis von Subjekt und Substanz übergriff, der selbst eine Bewegung war, kein So-Sein oder ein Wesen ‚hinter‘ den Vollzügen. Menke legt aber Hegel anders aus: Geist sei etwas mit sich selbst Identisches, etwas, was das Andere dadurch ausschließe, dass es ihm eine allgemeine Form gebe oder es nur als Vergegenständlichung als etwas Wirkliches begreife. Das Ich sei als Wirkliches bei Hegel eben das Wir, verschwinde in diesem Allgemeinen. Wir könnten aber auch Hegels anders lesen, denn es ist keine einfache Dopplung, dass Hegel davon spricht, dass dieses Ich Wir sei, aber eben auch das Wir Ich. Das eine kann bei Hegel nicht im Anderen aufgehen oder vollkommen verschieden von ihm sein. Und darum müssen wir auch den Begriff des Geistes bei Hegel anders lesen.

Hegel denkt Geist als ein Verhältnis, nicht als Subsumtion oder Auflösung des Anderen. Menkes Kritik an Hegel könnte als unangemessen kritisiert werden. So könnten wir sagen, dass Hegel das Problem des Anderen oder irgendwie Unbestimmbaren höherstufig reflektiert in der Weise, dass von ihm die Unform auch als Form reflektiert wird, nämlich als Verhältnis von Form und Unform. Menke will aber auf eine andere Ästhetik hinaus, die genau diese Unform, das Formierende näher bestimmt. Ob eine Bestimmung der Unform als Form noch geleistet, darüber wird das Kommende entscheiden.

Und dieses Problem mit dem Allgemeinen wäre auch anders zu bedenken, denn Allgemeines ist nur als sprachliches zu begreifen: nämlich im Sprechen der Menschen. Wir können uns das Sprechen nicht so denken, als wäre es bloß eine Abrichtung oder Übung, in der wir nur wiederholen müssten. Wir sprechen, wenn wir etwas vollziehen, selbst wenn wir die Unterscheidung von Kräften und Vermögen vollziehen. Wir sprechen miteinander und in diesem Tun verändert sich auch unsere Sprache. Und wir scheitern im Sprechen, wir missverstehen uns und den Anderen, vielleicht bedarf es sogar dieses Missverstehens, damit wir überhaupt verstehen. Etwas kann aber nie bloße Unform sein. Ist das Sprechen, dieses merkwürdige Verhältnis von Vermögen und Kräften, von Verstehen und Missverstehen damit ein Ästhetisches, auch ein Spiel der Kräfte? Oder ist das Sprechen doch bloß Praxis, denn Menke führt in „Die Kraft der Kunst“ einen Begriff von Praxis, der diese einfach durch das Gelingen bestimmt. Nicht nur auf das Sprechen bezogen ist aber ein solcher Begriff der Praxis unzureichend.

Genau dieses Problem findet sich jedoch bereits von Menke selbst reflektiert: In „Spiegelungen der Gleichheit“ (Suhrkamp 2004) beschäftigt er sich genau mit diesem Verhältnis von Scheitern, Gelingen und Glücken. Er stellt mit Adorno dar, weswegen das Gelingen nicht allein von unserem Vermögen abhängt, inwiefern es Bedingungen gibt, die nicht einfach durch das Tun des Individuums bestimmt sind, sondern in denen es handelt. Dies lässt uns den Ausblick auf einen Begriff der Praxis, die wesentlich auch scheitern können muss, um diese Praxis der Übungen, der Wiederholungen der Vermögen des Subjekts zu sein. Dies wäre ein Begriff der Praxis, der im Verhältnis zum Sprechen reflektiert wird. Reflektiert Menke die Praxis in „Die Kraft der Kunst“ nur als Anderes des Ästhetischen? Wir könnten ihn so lesen.

Vielleicht ist aber die Kraft nicht einfach vorsubjektiv, vielleicht müssen wir einen solchen „tieferen und ursprünglicheren Bereich“ denken, wie Jacques Derrida vorschlägt, der in unserer Reflexion Subjektivität und Objektivität vorgeordnet sein muss. Mit Adorno könnten wir diesen nicht nur als bloß Vorsubjektives denken, sondern als eminent gesellschaftlich: die Natur der Kraft als Geschichte, die Kraft der Geschichte als Natur. Es ist daher nicht zufällig, dass in kritischer Theorie bereits eine Kritik einer Ästhetik expliziert ist, so dass „Kunst […] vielmehr das Feld einer Freiheit nicht im Sozialen, sondern vom Sozialen; genauer: der Freiheit vom Sozialen im Sozialen“. Diese paradoxale Konstruktion bestimmt Menke. Könnten wir aber sie so entfalten, dass die Kräfte, das Wirken des Sinnlichen nicht einfach das Unbestimmte oder Unbestimmbare, sondern „der Gang der Geschichte“ (Karl Marx)?

Noch ein Exkurs sei gestattet, der genau dies als eine Tradition kritischer Theorie liest. Adorno widmet sich diesem Problem schon sehr früh. Seine ersten Vorlesungen handeln davon. Adorno schreibt in der Aufnahme einer Benjamin’schen Überlegung, „daß da das Versprechen der Versöhnung am vollkommensten gegeben ist, wo zugleich die Welt von allem ‚Sinn‘ am dichtesten vermauert ist. Damit weise ich Sie auf die Struktur des Urgeschichtlichen am Schein selber zurück, wo der Schein in seinem Sosein als ein geschichtlich Produziertes sich erweist: in der üblichen Sprache der Philosophie: wo Schein von der Subjekt-Objekt-Dialektik gezeitigt wird. Es ist in Wahrheit die zweite Natur die erste. Die geschichtliche Dialektik ist nicht bloß Wiederaufnahme umgedeuteter urgeschichtlicher Stoffe, sondern die geschichtlichen Stoffe selber verwandeln sich in Mythisches und Naturgeschichtliches“ („Die Idee der Naturgeschichte“). Ein geschichtlicher, gar mythischer, dunkler Stoff ist die „Kraft“ (und darum weiß Menke, seine Überlegungen zu Hegels Begriff der zweiten Natur sind unbedingt lesenswert). Die Regellosigkeit der Kraft kann aber erst in der Regellosigkeit des Sprechens begründet werden.

Die Regeln des Sprechens sind andere als die Regeln der Sprache(n), sie unterscheiden sich von einem bloß Allgemeinen. Nur im Gebrauch jener Kräfte, jenes Wirkens der Gegen-Stände, des Widerstreits Anderer können wir so sprechen, so dass wir missverstanden werden, so dass wir im Vollzug des Sprechens wirklich verstanden worden sind.

Vielleicht ist deshalb Menkes „Die Kraft der Kunst“ trotz all seiner systematischen Klarheit offen, wird sich in den Lektüren wandeln – weil es nicht die Abgeschlossenheit anvisiert, sondern das Denken der Lesenden – die sich gerade nicht vor Setzungen fürchten, sondern diese reflektierend wieder in Bewegung setzen. Dies könnte eine der Pointen Menkes sein: Der „Geschmack in Wahrheit“, das Geschmacksurteil, was jede Rezension nicht zu einer systematischen Abhandlung werden lässt, stellt einen Widerstreit des Geschmacks selbst dar: „In der Wendung des ästhetischen Geschmacks gegen sich selbst – in derjenigen Wendung also, die ihn zum ästhetischen macht – regiert nicht die Toleranz für das andere, sondern die Intoleranz gegen sich selbst“.

Titelbild

Christoph Menke: Die Kraft der Kunst.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2013.
179 Seiten, 10,00 EUR.
ISBN-13: 9783518296448

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