Die Vollendung des Ganzen zur zauberhaften Erscheinung

Stefan Grosches „Malerisches Reisetagebuch“ des Dresdner Universalgelehrten Carl Gustav Carus

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Dresdner Arzt, Maler, Naturphilosoph, Ästhetiker, Psychologe und Physiognomiker Carl Gustav Carus (1789-1869) gilt zu Recht als einer der letzten Universalgelehrten des 19. Jahrhunderts. Die Fülle seiner Interessensgebiete, sein teilweise spröder Stil und die schon von Zeitgenossen als negativ bemerkte Bildungshuberei hatten lange Jahre einer intensiveren geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung im Wege gestanden. Zwar wurden manche seiner Werke – etwa seine „Neun Briefe über Landschaftsmalerei“ (1831), seine Gedenkschrift „Friedrich der Landschaftsmaler (1840) oder sein Werk „Göthe. Zu dessen näherem Verständnis“ in der Kunst- und auch in der Literaturwissenschaft rezipiert, andere Texte wie „Zwölf Briefe über das Erdenleben“ (1841), „Symbolik der menschlichen Gestalt“ (1853), „Ueber Lebensmagnetismus und die magischen Wirkungen überhaupt“ (1857), seine vierbändigen „Lebenserinnerungen und Denkwürdigkeiten“ (1865ff), „Natur und Idee“ (1861) oder „Die Lebenskunst nach den Inschriften des Tempels zu Delphi“ (1863), um nur einige seiner über 100 Schriften zu nennen, gerieten erst vermehrt im Zuge der kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Literaturwissenschaften in deren Fokus.

Als Geognost, Naturforscher und Landschaftsmaler unternahm Carus, der auch Präsident der renommierten Leopoldina war, mehrere ausgedehnte Reise, die ihn unter anderem nach Rügen (1819), nach „Prag und das Riesengebirge“ (1820) in die Schweiz, nach Italien, nach Paris und in die Rheingegenden (1835) sowie nach „England und Schottland“ (1844) führten. Seine Reisebeschreibungen umfassen dabei rund 2.500 Druckseiten.

Der Kassler Mediziner und studierte Germanist Stefan Grosche, der sich seit mehr als zehn Jahren mit mehreren Publikationen zu Carus hervorgetan hat, hat nun erstmals die literarischen Bildbeschreibungen, die der „Brückenbauer zwischen Klassik und Romantik“ auf seinen Reisen notiert hatte, als „Malerisches Reistagebuch“ publiziert. Grosche folgt damit einer Spur, die Carus selbst gelegt hatte, als er „Fragmente eines malerischen Tagebuchs“ den erweiterten Neuausgaben der „Briefe über Landschaftsmalerei“ beigefügt hatte.

Zusammengekommen sind so eine Reihe starker Bilder und eindrücklicher Bildbeschreibungen wie etwa jenes in der Metropolitankirche in Prag (1820): „So allein, mir selbst überlassen, lebte ich ganz diesem Doppelbilde, jenem innerlichen und diesem äußerlichen, und nur wie beim Herabsteigen das Bild der Stadt mir aus den Augen schwand, trat das der Madonna um so lebendiger wieder hervor, ja es schien sich alles, was ich Gutes und Schönes gekannt und empfunden hatte, in diesem Bilde zu einigen“. Auf der Reise nach Genua (1821) notiert Carus in Chamonix unter anderem: „Immer aber kehrt das Auge zu den ungeheuern Eis- und Schneemassen des Montblanc zurück, auf den die wunderbarsten Spiele von Licht und Färbung sich entwickeln.“ Und am Tag zuvor notiert er in Sion: „Eben zogen aufsteigende Regenschauer ihren zarten grauen Schleier um diese Schluchten, gespensterhaft stiegen Wolken an ihnen empor, und die abgedämpften, violetten, rötlichen und olivgrünen Töne vollendeten das Ganze zu einer zauberhaften Erscheinung.“

Gleichsam synästhetisch notiert er angesichts des Freiburger Münsters: „Wie ich nun in der großen Turmhalle stand, wie von dort die beiden kleineren Türme durch den Nebel schimmerten, die Sonne den Schatten des gewaltigen Turmes langhin auf den über der Stadt wogenden Duft warf […]. Die Wirkung zu vollenden, erklang jetzt Orgelton und Gesang von unten herauf in diese morgendlich duftige Welt […].“

Es sind jedoch nicht nur diese für sich sprechenden Bildnotate und Skizzen in Hülle und Fülle, die das „Malerische Reisetagebuch“ von Carus lesenswert machen, sondern auch das instruktive Nachwort Grosches. Denn den literarisierten Bildern des Dresdner Arztes, Malers und umfassend Gelehrten kommt nicht nur eine „Modernität [zu], die ihm in seiner Landschaftsmalerei verwehrt blieb“, sondern die „imaginierten Farbskizzen“ erscheinen ebenso unter „heilkünstlerischen“ Aspekten, wie es etwa auch die oben erwähnte Carus‘sche „Diätetik“ hatte. So resümiert Grosche treffend: „Das malerische Tagebuch dokumentiert in eindrucksvoller Konsequenz die Zuwendung zu den Künsten und zur Kultur als geistigem Eigentum und Eigentümlichkeit des Menschen und damit als einem geistigen Heilmittel, mit dem Carus – zumindest innerhalb der ihm eigenen Diätetik und Lebenskunst – den Fundus der somatischen und psychologischen Therapiemöglichkeiten überschritt und erweiterte.“ Letztlich beziehe Carl Gustav Carus „die gesamte Natur und Kultur in ein umfassendes Konzept der Gesundheitsprävention, Krankheitsbewältigung und Therapie ein.“

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Carl Gustav Carus: Malerisches Reisetagebuch.
Manz, Wien 2013.
224 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-13: 9783943856064

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