Ansichtskarten aus der Hundewelt

Über Maeve Brennans Erzählungen „Bluebell“

Von Almut OetjenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Almut Oetjen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hunde in der Literatur haben eine lange Tradition. Ihre Ahnenreihe lässt sich zurückverfolgen bis Argos aus der Odyssee, dem besten Freund des Helden, der gemeinsam mit Penelope zwanzig Jahre auf die Rückkehr des Odysseus wartet. Allein Argos erkennt Odysseus bei der Ankunft wieder und kann danach endlich friedlich das Jenseits aufsuchen. Heute kommen weder Joanne K. Rowlings „Harry Potter“ (Fang und Fluffy) noch George R.R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer“ (Schattenwolf Ghost) ohne Hund aus. Allerorten bellt in der belletristischen Literatur irgendwo ein Hund. Weniger bekannt ist, was Hunde denken. Paul Auster erzählt in „Timbuktu“ von Mr. Bones, der sein Herrchen in den Himmel begleiten will.

Die Hundewelt kennt vermutlich keine Hundedarsteller, mithin auch keine Hunde als Menschendarsteller. Es gibt viele Gründe, Tiere in ihrer fiktionalen Gestaltung zu vermenschlichen.

Warum fiktionalisieren Autoren Hunde? Vermutlich nicht, um sich Klarheit darüber verschaffen zu können, was es bedeutet, ein Hund zu sein.

Der Hund in seiner Vermenschlichung dürfte ein Interesse daran spiegeln, dass Menschen diese Repräsentation nutzen, etwas über das Andere in sich oder im Menschen allgemein zu erfahren. Brennan vermenschlicht ihre Labradorhündin Bluebell in Momenten, sieht in ihr aber auch etwas Unbekanntes, als Hund Bezeichnetes, was sie nicht verstehen kann. Kinder, die in zwei Geschichten im Titel auftauchen („Die Kinder sind sehr leise, wenn sie fort sind“; „Die Kinder sind da und versuchen, nicht zu lachen“), können intuitiv auch einen Teil dieses Unbekannten wahrnehmen.

Die sechs Geschichten, die Brennan über Bluebell erzählt, erschienen von 1962 bis 1976 als Erstveröffentlichungen in der Zeitschrift „The New Yorker“, für die Brennan als Kolumnistin arbeitete. Die ersten fünf Geschichten liegen im Original als Teil der 20 Texte umfassenden Erzählungssammlung „The Rose Garden“ vor und wurden sieben Jahre nach dem Tod der Autorin im Jahr 2000 veröffentlicht. Ein anderer Teil der Erzählungen aus „The Rose Garden“ wurde 2010 unter dem Titel „Tanz der Dienstmädchen“ publiziert.

Brennans Geschichten sind Vignetten, die von längst vergangenen Zeiten und Leben erzählen, von Orten, die es so wahrscheinlich nicht mehr gibt. Vom Leben im Schwebezustand. Alles wirkt irgendwie leicht benommen, liest sich bisweilen wie eine alte Geistergeschichte, nur ohne Geister. Die Storys haben ihre komischen Momente, sind aber im Grundton traurig.

„Bluebell“ ist bestimmt durch seinen ruhigen Ton. Bluebell beobachtet und verhält sich, beobachtet von der Erzählerin Mary Ann, die das Verhalten der Hündin interpretiert. Bluebell drückt sich aus. Die Erzählerin überschreitet gelegentlich den Rahmen ihrer Restriktionen in der Kommunikation zwischen Hund und Mensch.

„Die Tür in der West Tenth Street“ erzählt eine Geschichte über Manhattan aus der Sicht eines Hundes. Bluebell kommt mit Mary Ann bei Spaziergängen an einem Haus vorbei, hinter dessen Tür sie sich den Atlantik vorstellt und den Strand, auf dem sie gerne wäre. Bis sie mit Mary Ann in die Ferien fährt, raus aus New York.

„Eine große Biene“ zeigt sehr schön, wie Mary Ann sich um das Leben eines Insekts sorgt, Rettungsbemühungen unternimmt, dabei aber nicht sentimental wird. Kurz bevor es moralisch werden könnte, wechselt sie zu Gedanken, die sie ihrem Gewissen zuschreibt, Gedanken über die Sinnlosigkeit ihres Eingreifens in den natürlichen Gang der Dinge. Die Erzählung zeigt auch, dass die Biene als Individuum ein Leben auf Messers Schneide führt. Eine kleine Unregelmäßigkeit kann ihren Tod bedeuten. Diesen Tod kann Mary Ann verhindern. Unweigerlich stellt man sich die Frage, warum die Rettung eines Insekts in freier Natur ein unzulässiger Eingriff sein soll, während die Vernichtung eines ganzen Insektenbestandes im eigenen Garten als notwendig und selbstverständlich betrachtet wird. Während der moralische Mensch in der Entscheidung darüber, ob er ein Leben auszulöschen bereit ist, durch sein Gewissen eher daran gehindert wird, äußert das Gewissen bei Brennan Bedenken an der Richtigkeit, ein Leben zu erhalten.

Überhaupt entwickelt Brennan in ihren Storys auch einen Blick auf die Welt, den man eher einem Insekt als einem Menschen zuschreiben würde. Gewissermaßen nicht Cronenbergs Brundle-Fliege, sondern Brennan-Biene.

Titelbild

Maeve Brennan: Bluebell.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser.
Steidl Verlag, Göttingen 2013.
107 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783869306643

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