Präsenz- und Repräsentation

Eine multidisziplinäre Studie über sakramentale Repräsentation in der Frühen Neuzeit

Von Racha KirakosianRSS-Newsfeed neuer Artikel von Racha Kirakosian

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein schweres Buch – man muss es mit beiden Händen herumtragen; selbst die Küchenwage dreht eine extra Runde und verrät dabei eine Unmenge an Material. In Häppchen für den Leser aufbereitet, arbeitet sich dieser mühsam durch ein dichtes Netz von Informationen, die von schwer verdaulich bis bekömmlich reichen und zum Teil einen überraschenden Nachgeschmack hinterlassen.

Der Anspruch des Bandes ist zunächst verwirrend: Zwar soll ein Modell der „Sakramentalen Repräsentation“ eingeführt werden, doch zielt man ausdrücklich nicht auf eine „einheitliche, zementierte Theorie“ derselben an. Der einleitende Teil von Daniel Weidner vermag erstes Licht auf die Vorstellung einer sakramentalen Repräsentation als Denkfigur zu werfen, wozu sich das Marburger Religionsgespräch von 1529 ganz besonders eignet, weil hier das Paradebeispiel der göttlichen (Real-)Präsenz verhandelt wird: die Transsubstantiation. Im Laufe des Konfessionalisierungsprozesses wurde deutlich, dass das Sakrament der Hostie in den protestantischen Gruppen verschieden aufgegriffen und ausgelegt wurde, was schließlich über die theologischen Implikationen hinaus in eine Politisierung des Diskurses mündete. Das Verhältnis von Zeichen, Körper und Substanz wird anhand einiger Texte des reformierten Theologen Théodore de Bèze untersucht: Weidner bespricht überzeugend, warum es sich bei der ersten Tragödie in der Volkssprache, mit dem Titel ‚Abraham sacrifiant‘, um ein Experiment handelt, das im Spannungsfeld einer negativen Dialektik die Krise des Glaubens und der Möglichkeit ihrer Darstellung problematisiert. Eine latent paradoxe calvinistische Sakramentstheologie äußert sich nicht nur als semiotisches und politisches, sondern auch als mediales Phänomen, wie Holzschnitte im Kontext der Meditationsliteratur demonstrieren.

Im Teil über Verkörperungen untersucht Heike Schlie die Beziehung zwischen Blut und Farbe, wobei sie sich zunächst den mittelalterlichen Blutmirakeln zuwendet. In Schlies Ausführungen, die sich eindimensional an Georges Didi-Hubermann orientieren (Blut der Bilder, 2005 – und nicht wie angegeben 2002), vermisst man die Beobachtungen Caroline W. Bynums zur religiösen Materialität im Spätmittelalter und zum Bilderproblem in der Reformationszeit (Christian Materiality, 2011), obwohl derselben im Vorwort gedankt und anderer Stelle auf ältere ihrer Arbeiten zurückgegriffen wird. Ansonsten wird auf die Frage nach der Repräsentation aus dem Eingangskapitel zur Transsubstantiation rekurriert, die hier kunsthistorisch exemplifiziert wird. Im nächsten Unterkapitel versteht Weidner geistliche barocke Lyrik als Sakramentsdichtung: Andreas Gryphius und Catherina von Greiffenberg werden insbesondere unter den Aspekten der Schriftbildlichkeit und der poetischen Selbstreflexion vorgestellt.

Heike Schlie operiert im dritten Teil (Diskursive Übertragungen) mit Gadamers Vorstellung des Vollzugs von Kunst, die sie auf Darstellungen historischer Ereignisse und biblischer Geschichten anwendet; Konfessions- und Bekenntnisbilder dienen als Visualisierungen des Sakramentalen in der Rechtssphäre. Erst an dieser Stelle wird eine etymologische Definition des Sakramentsbegriffs geliefert, dessen Kontextualisierung zu Beginn des Bandes besser auf alle weiteren Abhandlungen vorbereitet hätte. Die Entwicklung einer aus der sakramentalen Ideenwelt stammenden politischen Theologie erklärt Stefanie Ertz mit juridischen Paradigmen, die sie mit der semiotischen Brisanz der Transsubstantiationsfrage verbindet. Weitere „Sakramentsmetaphoriken“ wie Siegel und Münze trügen symbolischen und herrschaftlichen Wert in der Dynamisierung konfessionspolitischer Kontroversen.

Daniel Weidner konstatiert im vierten Teil des Bandes (Medienverbünde), dass das Theater „für die Frage nach der Sakramentalen Repräsentation der Frühen Neuzeit schon aufgrund der schlichten Tatsache interessant [sei], dass es als Verbund von Zeichen, Bildern und Gesten in größter denkbarer Nähe zur Liturgie steht“. Neue Einsichten in Walter Benjamins Ausführungen zum Trauerspiel helfen bei der Untersuchung barocker Theatralität, die sich als Inszenierung politischer und religiöser Repräsentation versteht. Der Beitrag Stefan Manns spricht sich zu Gunsten eines dynamischen Charakters in den Kombinationsmöglichkeiten von Text und Bild gegen ein statisches Verständnis der Emblematik aus. Eine detaillierte Beschäftigung mit Theorie und Praxis überzeugt vom „Sakramentalen am emblematischen Vollzug“ als frühneuzeitliche „Kulturtechnik“. Dass Bilder am Altar im sakralen Zentrum des Kirchenraums stehen, obwohl sie nicht zu den notwendigen Ausstattungen der Liturgie gehören, wird von Heike Schlie vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung problematisiert. Altarausstattungen der Reformation, das heißt im protestantischen Kontext, bevorzugten das Wort als monumentalisierte Schrift und wurden schließlich durch den barocken Kanzelaltar abgelöst, der gleichzeitig dem katholischen Tabernakelaltar strukturell verbunden blieb.

Im Abschnitt über Epistemologien behandelt Stefanie Ertz auf der einen Seite philosophische Theorien der Frühen Neuzeit zur Eucharistie (René Descartes, Gottfried Wilhelm Leibniz) und auf der anderen diskursiv-linguistischen Fragen der sakramentalen Präsenz- und Repräsentations-Verhältnisses des Sakramentsdiskurses. Der Epilog von Schlie und Weidner weitet die Diskussion der sakramentalen Repräsentation auf ihr „Nachleben“ aus und bietet kulturelle Denkmodelle für das Verständnis von Materialität und Repräsentation wie zur „symbolischen Produktion in der Moderne“ über das konfessionelle Zeitalter hinaus.

Im Großen und Ganzen ermöglicht dieser Band einen umfang- und detailreichen Zugang zum religiös-politischen Sakrament und seiner Repräsentationsmöglichkeit in der Frühen Neuzeit; doch ist dies kein leichter Zugang, denn nur Fachleute aus den Kulturwissenschaften mit nicht wenig Vorwissen auf den Gebieten der Kunst- und Religionsgeschichte sowie der Literaturtheorie kommen problemlos zurecht. Erschwert wird der Nachvollzug dadurch, dass Nachweise an einigen Stellen des theoretischen Überbaus fehlen. Dafür lockern 23 Farbabbildungen am Buchende und sonstige viele Bilder die intensive Lektüre auf.

Titelbild

Daniel Weidner: Sakramentale Repräsentation. Substanz, Zeichen und Präsenz in der Frühen Neuzeit.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2011.
320 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783770552481

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