Zurück ins Bewusstsein

Steffi Böttgers Biografie über Hans Natonek

Von Manfred OrlickRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manfred Orlick

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die beeindruckende Publizistik des jüdischen Schriftstellers Hans Natonek (1892-1963) wieder ins Bewusstsein des deutschen Lesepublikums rückt, verdanken wir dem Lehmstedt Verlag und der Autorin Steffi Böttger. Nach jahrelangen Recherchen hat die Herausgeberin diese Texte in den zwei Bänden „Im Geräusch der Zeit“ (2006) und „Letzter Tag in Europa“ (2013) wieder zugänglich gemacht.

Zu dieser Edition wollte Böttger ein kurzes Vorwort schreiben, doch dann ergab sich die Notwendigkeit, das reichhaltige Material, das sich im Lauf der Jahre angesammelt hatte, zu einer Biografie zu erweitern. Die außergewöhnliche Lebensrekonstruktion „Für immer fremd“ verfolgt in zwölf Kapiteln Natoneks Leben von der Kindheit und Schulzeit in Prag bis zu seinen letzten Lebensjahren in Arizona.

Die Schriftstellerkarriere von Hans Natonek begann nach dem Ersten Weltkrieg, wo er bald für fast alle großen Zeitungen schrieb und 1927 Feuilletonchef der „Neuen Leipziger Zeitung“ wurde. Daneben veröffentlichte er auch zahlreiche Romane. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 erhielt nicht nur seine Karriere einen jähen Bruch, sondern auch sein Leben: Scheidung, Emigration nach Prag, dann nach Paris und später über Marseille, Spanien und Lissabon in die Vereinigten Staaten, wo er 1963 in Arizona starb.

Faktenreich beschreibt Böttger die einzelnen Lebensstationen, wobei sie bestimmte Aspekte besonders beleuchtet, so seinen anderthalbjährigen Aufenthalt in Paris, wo für Natonek das eigentliche Exil begann und der Tod von Joseph Roth für ihn eine traumatische Erfahrung war. Sehr ausführlich wird auch die „Tragödie der Familie“ geschildert, als Wolfgang, Natoneks Sohn aus erster Ehe, in der Sowjetischen Besatzungszone verhaftet und zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde, während der Vater aus der Ferne für die Freilassung seines Sohnes wenig tun konnte. Die amerikanischen Jahre werden vor allem von der folgenschweren Entscheidung Natoneks geprägt, von der deutschen zur englischen Sprache zu wechseln.

Neben den neuen Erkenntnissen, die Böttger zu Tage gefördert hat und die nachhaltig beeindrucken, ist es auch ihre Fähigkeit, das Faktenmaterial auf knapp zweihundert Seiten zu konzentrieren. Noch mehr erstaunt es aber, wie viel sich über einen Menschen erfahren lässt, der jahrzehntelang als vergessener, ja verschwundener Schriftsteller galt. Dank Steffi Böttger ist uns Hans Natonek nicht mehr „für immer fremd“.

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Steffi Böttger: Für immer fremd. Das Leben des jüdischen Schriftstellers Hans Natonek.
Lehmstedt Verlag, Leipzig 2013.
248 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783942473750

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