Chance für einen unbekannten Autor

Arno Schmidt wäre am 18. Januar 2014 hundert Jahre alt geworden

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Das erste Geburtstagskind des Jahres 2014 heißt Arno Schmidt: Am 18. Januar wäre der Schriftsteller 100 Jahre alt geworden. Die meisten kennen den Bargfelder Eremiten nur vom Hörensagen, der sich zeitlebens ohne Krankenversicherung in die platte niedersächsische Einöde bei Celle zurückzog, um bei Tiefdruck-Wetterlagen, die seinem kranken Herzen wohl taten, den Rest der Welt mit misanthropischen Injurien abzustrafen und mit selbstzerstörerischem Fleiß immer dickere Bücher zu schreiben, bis er 1979 an der Schreibmaschine zusammenbrach und wenig später verstarb.

Was die Leute über Schmidt wissen oder zu wissen meinen, setzt sich neben den hier bereits angedeuteten Basis-Informationen im Allgemeinen aus folgenden verzerrten Versatzstücken zusammen: a) Schmidts Bücher könne man kaum lesen, weil er ein überaus „schwieriger Autor“ sei – siehe sein kiloschweres Buch „Zettel’s Traum“, weit über 1.000 Seiten, dreispaltig geschrieben im Format DIN A 3, ein Monumemtalwerk mithin, das höchstens einige bekloppte Nerds jemals komplett zur Kenntnis genommen hätten –; b) Schmidt müsse persönlich ein unerträglicher Mensch gewesen sein, habe er doch seine eigene Frau zum Tippen und Telefonabheben abkommandiert. Und nicht zuletzt sei Schmidt c) Nutznießer einer ganz persönlichen Vorliebe des Mäzenaten Jan Philipp Reemtsma gewesen.

Interviews mit Reemtsma, der Arno Schmidt finanziell großzügig unterstützt hatte und sich später als Inaugurator und Vorstand der Arno Schmidt Stiftung wie kein Zweiter um die Vermittlung und die Edition des Schmidt’schen Lebens und Werks verdient gemacht hat, laufen meist ungefähr nach dem hier aufgelisteten Schema ab. Frage eins: „Ist Schmidt nicht ein schwieriger Autor?“, Frage zwei: „Man sagt, Schmidt sei ein unausstehlicher Mensch gewesen?“, und sodann Frage drei: „Wie war das damals, als Sie persönlich nach Bargfeld kamen, um Schmidt Ihr Angebot zu machen?“ Wobei die Journalisten bei dem letzten Punkt – Stichwort „Millionenerbe Reemtsma“ – das Thema des Interviews meist auch schon wieder vergessen haben und den Gegenüber plötzlich unvermittelt nach seiner Entführung im Jahr 1996 fragen, die mit Arno Schmidt nun wirklich gar nichts zu tun hat.

Vielleicht wird es damit dieses Jahr endlich einmal besser. Auch wenn nach wie vor kaum jemand ernsthaft Schmidts Bücher liest und die akademische Literaturwissenschaft den Autor seit Jahrzehnten missachtet, wird dem Schriftsteller dieses Jahr doch einige ungewohnte Aufmerksamkeit zuteil werden. Dieser pressetypische Jubiläums-Trubel einer „Kultur, die im Terminkalender sucht, was sie aus dem Gedächtnis gestrichen hat“, wie es Kay Sokolowsky in der Januar-Ausgabe der Zeitschrift „Konkret“ anlässlich des Gedenkens an den Ersten Weltkrieg formuliert, könnte im Fall Schmidts zumindest dazu anregen, den allgemeinen Wissensstand über den Autor etwas zu verbessern oder vielleicht sogar ein ganz neues Publikum zur Beschäftigung mit dem Werk zu motivieren. Denn diesmal ist es tatsächlich nicht nur das Feuilleton, das aufgemerkt hat: Auch Funk und Fernsehen lassen sich nicht lumpen. So wird es unter anderem am 15. Januar um 22:30 Uhr Oliver Schwehms Arno-Schmidt-Film „Mein Herz gehört dem Kopf“ bei „ARTE“ zu sehen geben, der nach der Ausstrahlung bis zum 22. Januar auf „ARTE PLUS 7“ online stehen sein wird.

Damit nicht genug: Selbst „diese Kerle, die German= oder sonstigen =isten“, auf die Schmidt zeitlebens so wütend war, haben die Signale gehört – und zwar nicht nur die „Kerle“, sondern, man denke, auch Wissenschaftlerinnen. So wird unter anderem am 12.-14. Juni 2014 in Weimar die Tagung „Arno Schmidt und das 18. Jahrhundert“ stattfinden. And there is even more to come: Wer sich über weitere geplante Buchvorstellungen, Lesungen, Aufführungen, Konzerte et cetera informieren möchte, kann jederzeit auf der Website der Arno Schmidt Stiftung nachsehen. Dort gibt es eine kontinuierlich aktualisierte Veranstaltungsliste, anhand derer man einen Überblick über anstehende Events gewinnen kann. Eines der absoluten Highlights im Januar dürfte die – natürlich längst ausgebuchte – Geburtstagslesung in Hamburg sein, bei der sich so illustre Autorinnen und Autoren wie Dietmar Dath, Karen Duve, Christoph Hein, Reinhard Jirgl, Brigitte Kronauer, Roswitha Quadflieg, Christoph Ransmayr, Ingo Schulze und Uwe Timm ein Stelldichein zu Ehren Arno Schmidts geben werden.

Auch in der Januar-Ausgabe von literaturkritik.de finden Sie einige Artikel und Rezensionen zu und über Arno Schmidt, die wir aus gegebenem Anlass für Sie zusammengestellt haben. Wir behalten uns vor, die Beiträge in den kommenden Wochen noch um weitere Texte zu ergänzen – mögen Ihnen auch diese Artikel dazu dienen, einen der zweifellos wichtigsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts als den Avantgardisten wahrzunehmen, der er war.