Irgendwo zwischen Karl dem Großen und Lady Di?

Eine Kindheit bei den Wittelsbachern im Hörbuch

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Einen Blick hinter die Kulissen und „akkurate historische Präzision“ verspricht der Klappentext zu Christiane Böhms „Alles wie im Märchen? So lebten die Prinzen und Prinzessinnen wirklich“. Das Sachbuch zum Hören wendet sich an Kinder im Grundschulalter und soll Einblicke in das private Leben echter Königskinder bieten.

Charmant ist dabei die Strukturierung der historischen Informationen: Fast alle 24 kurzen Kapitel werden durch eine Frage eingeleitet, die zum Alter der angesprochenen Zielgruppe der Sieben- bis Neunjährigen passt: Wie sah ein königliches Kinderzimmer aus? Mussten Prinzen und Prinzessinnen zur Schule gehen? Wie feiert eine Königsfamilie Weihnachten? Christiane Böhm, studierte Kunsthistorikerin, die als Regisseurin und Autorin unter anderem für das Kinderfernsehen des Bayerischen Rundfunks gearbeitet hat, weiß auf alle diese Fragen fundiert Antwort zu geben. Dabei wird nicht nur Grundsätzliches referiert, auch amüsante Anekdoten finden ihren Platz, ebenso ernsthaftere Themen wie Krankheit und Tod. Darstellende Passagen werden in vielen Fällen durch passende Originalquellen – meist Zitate aus Briefen oder Tagebucheinträgen der Prinzen und Prinzessinnen – ergänzt.

Das Konzept ist mit seiner Mischung aus Information und Unterhaltung, der professionellen guten Recherche und kindgemäßen Perspektive also durchaus gelungen – trotzdem hinterlässt das Hörbuch insgesamt einen recht zwiespältigen Eindruck. Dies beginnt bereits mit dem etwas irreführenden Titel, der einen breit angelegten, allgemeingültigen Zugang zur Thematik suggeriert. Die für die Hörversion adaptierte Vorlage Böhms heißt präziser „Wie lebten Prinzen und Prinzessinnen in Wirklichkeit? Oder: Erbsen ohne Ende! Kinderalltag im bayerischen Königshaus“ – tatsächlich geht es also nicht um „die Prinzen und Prinzessinnen“ als solche, sondern lediglich um die Wittelsbacher Königsfamilie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Diese Beschränkung auf ein bayerisches Königshaus der Moderne wird auf der Außenseite des CD-Covers nicht thematisiert, vielmehr wird hier über eine Fotografie der historistisch-neogotischen Reichsburg Cochem in Verbindung mit zwei Comicfiguren eines Prinzen und einer Prinzessin eher ein Mittelalterbezug angedeutet. Warum gerade dieses Fotomotiv aus Rheinland-Pfalz gewählt wurde, anstelle ein Gebäude mit expliziterem Bezug zu den Wittelsbachern wie etwa Schloss Nymphenburg oder Neuschwanstein abzubilden, erschließt sich von der Sache her nicht.

Ein weiteres Manko ist die gekünstelte und monotone Vortragsweise der Sprecherin Kerstin Hoffmann, der Lebendigkeit und Engagement weitgehend fehlen. Erschwerend kommt hinzu, dass Darstellungstexte und Quellenzitate von ihr in Hinblick auf die sprachliche Gestaltung kaum voneinander abgesetzt werden; selbst für erwachsene Hörer/innen sind die Übergänge nicht immer klar zu erkennen. Unterbrochen sind die Vortragsteile bisweilen durch ebenfalls sehr ruhig gehaltene Klaviermusik – insgesamt liegt also eine akustische Komposition vor, die im Vergleich mit anderen Angeboten für die entsprechende Altersgruppe von Sieben- bis Neunjährigen nicht besonders attraktiv sein dürfte.

Diesen Schwierigkeiten stehen aber auch Pluspunkte gegenüber: Die Inhalte der einzelnen Kapitel sind über die einleitenden Fragen transparent ersichtlich und können als separate Tracks jeweils direkt angesteuert werden. Die strukturgebenden Fragen wirken authentisch und sprechen Aspekte aus dem Alltag der Königsfamilie an, die Kinder tatsächlich interessieren. Erklärungen zu Fremdworten wie „Draisine“ oder „Gobelin“ werden unaufdringlich eingebunden, so dass die darstellenden Passagen für Grundschulkinder weitgehend gut nachvollziehbar sind. Bei übergreifenderen Sachverhalten ist eine passende Erklärung dagegen nicht immer gegeben – es ist beispielsweise nicht unbedingt vorauszusetzen, dass jedes Kind mit 7 Jahren weiß, was eine Kinderfrau ist; der Begriff „Hofstaat“ wird stark verkürzt als „alle Bediensteten“ erläutert. Für ein unbegleitetes Anhören eignen sich die CDs daher nur eingeschränkt – die inhaltlichen Fragen, die offen bleiben, sind aber meist solcher Art, dass mithörende Erwachsene fehlende Informationen leicht nachliefern können.

Nur bei wenigen jungen Hörern dürfte dagegen die durch den anders akzentuierten äußeren Kontext unerwartete Schwerpunktsetzung bei den Wittelsbachern des 19. und 20. Jahrhunderts Irritationen verursachen: Auch wenn es nicht um das Mittelalter geht und märchenhafte Elemente keine Rolle spielen, sind die angebotenen Fakten und Geschichten so ausgewählt, dass sie Interesse wecken und Identifikationsmöglichkeiten bieten. So etwa, wenn von Prinz Leopold berichtet wird, dass er sich im Winter im schlecht beleuchteten und zugigen Schloss oft gegruselt habe, oder wenn Böhm beschreibt, wie Prinzessin Wiltrud einen Wutanfall bekam, als ihr mit sieben Jahren verboten wurde, weiterhin Turnhosen zu tragen – dies schickte sich nicht für heranwachsende junge Mädchen.

Was bleibt als Fazit? Durch den stark regionalgeschichtlichen Bezug ist das Hörbuch vor allem für Kinder gut geeignet, denen die entsprechenden Kontexte bekannt sind – es ist beispielsweise sicherlich ideal zur Vor- oder Nachbereitung eines Besuchs im Schloss Nymphenburg zu verwenden. Auch zur Unterstützung eines allgemeiner gehaltenen historischen Interesses an den Lebensumständen von Kindern zu unterschiedlichen Zeiten bietet das Hörbuch sich an. Im schulischen Unterricht lässt sich das Hörbuch dagegen abseits eines bayerischen Heimatkundeunterrichts wohl weniger gut verwenden – hier spielt im Sachunterricht der Grundschulen die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts zumeist keine Rolle; für ältere Schüler/innen der 9. oder 10. Jahrgangsstufe ist dann später allerdings die sehr kindliche Perspektive unpassend.

Ganz grundsätzlich wäre allerdings in Hinblick auf Böhms interessante und originelle Arbeit die Printversion dem Hörbuch vorzuziehen: Darin sind die spannenden und unterhaltsamen Informationen zum Leben der bayerischen Königskinder ebenfalls enthalten – das irritierende Layout und insbesondere die wenig ansprechende akustische Gestaltung entfallen hier aber, und beim gemeinsamen Lesen und Anschauen des Buches können ergänzende Fragen leichter besprochen werden als beim Anhören der CD.

Titelbild

Christiane Böhm: Alles wie im Märchen? So lebten Prinzen und Prinzessinnen wirklich ; ab 7 Jahren.
Primus Verlag, Darmstadt 2011.
2 CDs, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783654602325

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