Religion, Verschwörungen und Narrationen

Thomas Hausmanninger präsentiert postsäkulare Analysen aktueller franco-belgischer Comics

Von Hans-Joachim HahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hans-Joachim Hahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der an der Universität Augsburg lehrende katholische Theologe und Comicforscher Thomas Hausmanninger trat bereits vor mehr als drei Jahrzehnten mit einer grundlegenden, im Suhrkamp Verlag veröffentlichten Studie über die Serie „Superman“ und deren Ethos als wichtiger Analytiker des Mediums in Erscheinung. Darin hielt er gleichermaßen Abstand zur jahrzehntelang dominanten Herabsetzung der Comics aus der Perspektive konservativer bildungspolitischer Bedenken und zu solchen Positionen marxistischer Gesellschaftsanalyse, die den Comics primär die Erzeugung falschen Bewusstseins und ihren Konsument_innen willenlose Unterwerfung unter Profitinteressen unterstellten. Ebenso einleuchtend wie fruchtbar an der von Hausmanninger eingeschlagenen Blickrichtung war es, Comics grundsätzlich als Teil sozialer Kommunikation zu verstehen. Ein solcher Fokus richtet sich ebenso auf die Austauschprozesse und Wechselwirkungen zwischen Comics und ihren Rezipient_innen, wie er den Gegenstand dieser Kommunikation, die Comics in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen und ihrer Materialität von Zeitungsstrip über comic books bis hin zu Alben und Buchausgaben untersucht. Auf welche Weise die Leserinnen und Leser von Comics durch ihr regelmäßiges Plebiszit am Kiosk die Produktion beeinflussen, hatte zuvor schon Alfred Clemens Baumgärtner in wenigen einschlägigen und von Roland Barthes beeinflussten Arbeiten thematisiert, die zwischen 1965 und Anfang der 1970er- Jahre erschienen.

In seiner neuen, umfangreichen Studie setzt Hausmanninger an einem auffälligen Befund an: Unter den während der letzten Jahre erschienenen Comictiteln insbesondere aus dem franco-belgischen Raum, allerdings keineswegs nur dort, sind vermehrt solche anzutreffen, die sich auf Religion beziehen. Zu Recht erscheint Hausmanninger diese „derart direkte, breite und explizite Beschäftigung mit Religion und ihrer geschichtlichen Erscheinungsgestalt, mit theologischen Problemen und Auslegungsfragen religiöser Schriften“ als untersuchenswert und für den US-amerikanischen und den franco-belgischen Raum recht ungewöhnlich. Mit Blick auf die Entstehung von Comics am Ausgang des 19. Jahrhunderts in der Konkurrenz zweier New Yorker Zeitungen, wo die frühen Strips als Mittel zur Leserbindung zunehmend an Bedeutung gewannen, und ihrer Herkunft aus der politischen Karikatur, kann diese explizite Zuwendung zu religiösen Themen durchaus erstaunen.

Zwar hat bekanntlich der wichtigste belgische Comiczeichner Hergé (eigentlich Georges Remi, 1907-1983) seine ersten Comics in einer katholischen Jugendzeitschrift veröffentlicht; Hausmanninger sieht daher den Ursprung der franco-belgischen Comics durchaus mit dem franco-belgischen Christentum eng verbunden und verweist auf die miteinander konkurrierenden französischen Pressehäuser Bayard und Fleurus. Zudem gab es bereits im Zuge des enormen Erfolgs der comics books in den 1940er-Jahren in den USA Bibel-Adaptationen in Comicform. So kann etwa die zwischen 1942 und 1946 von William Gaines, einem der Pioniere des Mediums, in den USA herausgegebene comic book-Serie „Picture Stories from the Bible“ mit ca. fünf Millionen verkaufter Exemplare als extrem erfolgreich gelten. Schließlich bleibt auch auf evangelikale Comicserien hinzuweisen, wie etwa die „Spire Christian Comics“, die von 1972 bis 1988 erschienen. Dennoch lässt sich eine Dominanz religiöser Themen in den Comics wohl kaum behaupten.

Hausmanninger führt das Argument an, dass zumindest in den USA die Einführung des „Comics Code“ 1954, die die Verleger von comic books auf eine freiwillige Selbstzensur ihrer Produkte verpflichtete und dabei auch die Verletzung religiöser Gefühle verbot, „real existierende Religion“ weitgehend als Thematik ausschloss. Damit sei den Religionsgemeinschaften die Deutungshoheit ihres Glaubens selbst überlassen worden. Die Verlagspolitik der europäischen Comicproduzenten, für die der franco-belgische Raum als besonders wirkmächtig gelten kann, sei ganz ähnlich gewesen, vor allem wegen der laizistischen Vorstellung, Religion sei Privatsache und habe daher in der öffentlichen Kommunikation nichts zu suchen. Vor diesem Hintergrund lässt sich Hausmanningers These zustimmen, dass die „Intensität, mit der vor allem seit den 1990er-Jahren das Christentum, seine Geschichte, die katholische Kirche, der Islam, das Judentum und selbst nicht-theistische Glaubensformen zum Thema der Comics werden“, […] „ein neues Phänomen“ darstellt. Freilich waren die Regeln des „Comics Code“ schon seit Ende der 1960er-Jahre durch die Bewegung der „Underground Comix“ radikal infrage gestellt worden und verloren allmählich ihre bindende Wirkung auch im Breich der Kinder- und Jugendcomics.

Bislang hat sich zumindest die deutschsprachige Comicforschung nur sehr vereinzelt überhaupt mit dem Verhältnis von Comics und Religion beschäftigt. Immerhin widmeten Wolfgang J. Fuchs und Reinhold Reitberger in ihrem „Comics-Handbuch“ (1978) ein paar Seiten dem Umgang mit biblischen Motiven in Comics und den Versuchen, die Bibel insgesamt als Comic zu adaptieren. Schon insofern betritt Hausmanninger mit seinem Untersuchungsgegenstand weitgehend Neuland. Mit Blick auf die Materialfülle beschränkt er sich auf verschwörungstheoretische Erzählungen, die innerhalb der konstatierten Religionswelle insbesondere der franco-belgischen Comics einen beträchtlichen Anteil ausmachen. Ausgehend von seinen konkreten Analysen zielt Hausmanningers Studie darauf, „allgemeinere Einsichten auch in die Eigenart der verschwörungstheoretischen Erzählungen in den populären Medien sowie ein werkbezogenes Verständnis ihrer Attraktivität und damit ihrer Konjunktur selbst als Zeitereignis zu gewinnen.“

Sein theoretisches Interesse gilt in erster Linie dem Säkularisierungstheorem, das er als eine Ideologie versteht. Wenn innerhalb einer Sichtweise auf die Rationalisierung die Begrenzung auf die Immanenz nicht methodisch sondern absolut gefasst werde, so verwickle sich diese in einen performativen Widerspruch und werde selbst metaphysisch, wobei sie gewissermaßen „religiöse Züge in negativer Form“ annehme. Allen etwa in der historischen Soziologie von Auguste Comte oder Max Weber entwickelten Vorstellungen, „die das Verschwinden oder Absterben der Religion im Sinn einer historischen Notwendigkeit postulieren und diese Notwendigkeit gleichzeitig als emanzipatorisches Ziel oder als Bedingung der Emanzipation behaupten“, eigne letztlich, so Hausmanningers These, „[d]er Charakter einer Weltanschauung“. Vor diesem Hintergrund diagnostiziert er in gegenwärtigen Mediendiskursen „eine popularisierte diffuse, allgemeine postmetaphysische und postreligiöse Zeitstimmung, die Kirchen- und Religionskritik für progressiv“ halte und für die nur das „Immanente“ als vernünftig gelte. Anknüpfend an Jürgen Habermas versteht Hausmanninger demgegenüber unter dem Begriff der Postsäkularität die Verabschiedung des Säkularitätstheorems im obigen Sinne, was bei ihm damit verbunden ist, dass er eine grundsätzlich affirmative Haltung gegenüber Religionen einnimmt. Fundamentalismus gilt ihm dabei nicht als religiöses Phänomen und gewissermaßen als „Kehrseite der Postsäkularität“. Für die postsäkulare Situation sei eine „Selbstverständlichkeit des Pluralen“ kennzeichnend, wie sie in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich und Belgien bereits seit der Reformation bestehe. Religion und religiöse Phänome seien zugleich veränderbar; so brächten „Individualisierung und Autonomisierung […] neue religiöse Sozialformen hervor“. Und an diesen Entwicklungen haben Comics ebenso teil, wie sie sie reflektieren, affirmieren oder kritisieren.

Gemessen am Gesamtumfang der Studie von 500 Seiten fällt der methodologische Teil mit gerade einmal sechseinhalb Seiten etwas knapp aus. Hausmanninger optiert plausiblerweise für einen methodenpluralen Ansatz, bemängelt zu Recht jedoch, dass bislang zumindest in Deutschland noch kaum Zusammenfassungen von Analysemethoden geschweige denn ein Lehrbuch bestünden, wie es die Film- und Fernsehstudien längst besäßen. Bedenkenswert ist Hausmanningers Einschätzung, unter den Autoren der wenigen monografischen Studien aus dem letzten Jahrzehnt herrsche bislang „wechselseitige Ausblendung und bei den Rezensenten Abgrenzung vor, mit welcher jeder seinen Zugang als den einzig legitimen darzutun versucht.“ Auch wenn sich dieses Bild im Hinblick auf eine Reihe von Sammelbänden zur Comic-Theorie (etwa Eder et al. 2011), die einen methodenpluralen Zugang vertreten, relativieren lässt, ist wissenschaftliche Comicforschung hierzulande institutionell weiterhin noch wenig etabliert.

Sein eigenes Vorgehen bezeichnet Hausmanninger als Werkanalyse bzw. als werkanalytische Rekonstruktion und nimmt die publizierten Comics zum Untersuchungsgegenstand. Sein forschungsleitendes Interesse richte sich dabei „auf die religionsbezogenen Bedeutungen und Geltungsansprüche sowie den davon konstituierten religionsbezogenen Diskurs der von den zu untersuchenden Comics vorgelegten verschwörungstheoretischen Erzählungen.“ Ihm geht es unter diesem spezifischen themenbezogenen Fokus um die Werke, das heißt nicht um erschöpfende „Totalanalysen“.

Seine erste Analyse ist der in vier Bänden zwischen 1997 und 2002 in Frankreich publizierten Miniserie „Le troisième testament“ (dt. „Das Dritte Testament“, 2002-2003) von Xavier Dorison (geb. 1972) und Alex Alice (geb. 1976) gewidmet, die bereits viele der zentralen Motive auch der anderen untersuchten Werke enthält. Auf etwa 100 Seiten präsentiert Hausmanninger seine gründliche Lektüre der vier Bände, die zu der allgemeinen Einsicht führt, „dass das Genre der verschwörungstheoretischen Erzählung differenzierte diskursive Positionen nicht notwendig verhindert, sondern durchaus ermöglicht.“ In „Le troisième testament“ werde das Genre subtil genutzt als kritischer Kommentar „zu einer negativ-apokalyptischen Metaphysik“, während es zugleich „die Möglichkeit einer positiven Bedeutung von Theologie und Glaube“ offenhalte. So besteht der Gewinn dieser wegen ihrer Ausführlichkeit und mancher Wiederholungen allerdings auch teilweise ermüdenden Analysen vor allem darin, dass sie die Virulenz und Vielstimmigkeit postsäkularer Reflektionen im Genre verschwörungstheoretischer Comicnarrationen aus dem franco-belgischen Raum nachdrücklich vor Augen führen.

Titelbild

Thomas Hausmanninger: Verschwörung und Religion. Aspekte der Postsäkularität in den franco-belgischen Comics.
Wilhelm Fink Verlag, München 2013.
522 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-13: 9783770555086

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch