Eine Poetik der Naturphilosophie

Christian Enzensbergers Romanfragment „Nicht Eins und Doch“ aus dem Nachlass

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der erfolgreiche Roman von Christian Enzensberger „Was ist Was“ (1987) ist bekannt und kann in seiner Bedeutung kaum überschätzt werden. Zumindest formuliert es die Kritik bis heute so. Das vorliegende Romanfragment aus dem Nachlass kann als eine Fortsetzung des Werkes aus dem Jahr 1987 gelesen werden. Zumindest deutet dies die kenntnisreiche Einleitung und Hinführung von Stefan Ripplinger zu Beginn des Buches an. „Was ist Was“ endet mit dem offenen Satz „Aber dann –“ und „Nicht Eins und Doch“ nimmt diesen Satzanfang auf und macht daraus: „Aber dann ist er einen Feldweg gegangen…“ Und damit soll es auch schon genug sein mit den Zitaten aus Enzensbergers Roman, ergeben diese doch ebensoviel Sinn, wie aus anderen „strömenden“ Texten kleine Ausschnitte wiederzugeben. Denn eins ist sicher, wenn man sich auf die Reise mit Christian Enzensbergers Buch begibt: Es ist eine lange Reise, es ist eine intensive Reise und es ist vor allem eine sehr philosophische Exkursion, die dem Leser bevorsteht.

Es sind Dialoge des Autors mit der Natur, über die Natur und vor allem auch naturphilosophische Überlegungen, die Enzensberger in Textmeditationen übergehen lässt. Und so beginnen die Reflexionen über die Steine und deren Wesen in der Natur. Aber was kann man über Steine sagen, über ihr Beharrungsvermögen, ihre Oberfläche oder ihre Schönheit? Man kann geologische Erörterungen zu ihnen anstellen oder sie in ein künstlerisches Konzept integrieren. Zumindest Enzensberger beantwortet die Frage für den Bereich der Literatur ausgiebig und ist dabei ein Meister der Poesie, der poetischen Sprache. Seine Formen und Formulierungen, der einem Mantra ähnliche Text, werden dabei manchmal sogar zu eigenständigen, kleinen Prosaminiaturen, die einem vermitteln, warum es sinnvoll sein könnte, sich in dieser Tiefe Gedanken über die Natur und ihre Bestandteile zu machen, über ihre Beständigkeit und ihren Zerfall.

Enzensberger hat Jahre, wenn nicht Jahrzehnte über Steine nachgedacht und diese Gedanken findet man in den vorliegenden „Meditationen“ – denn solche sind es, und es ist auch eine Forderung an den Leser, geht doch die Lektüre mit einer gewissen Form des Leidens einher. Man könnte diese auch Langeweile nennen. Aber hält man es durch, hat es etwas Reinigendes. Man fühlt sich besser. Vielleicht. Und man hat natürlich Verständnis für das Romanfragment, hat man doch den Text von Stefan Ripplinger und das Nachwort von Dirck Linck und Joseph Vogl gelesen. Beide Texte vermitteln auf einfühlsame Weise die Qualitäten von „Nicht Eins und Doch“. Auch ein beiliegendes Blatt mit einem Hinweis des Lektors Christian Döring verspricht eine „tolle“ Lektüre.

Aber man muss es deutlich sagen: Die vielen Worte erdrücken die feinen, kleinen, gut ausformulierten Textstellen. Man hat diese im Schwall des Textes nahezu umgehend wieder verloren und was bleibt ist eine unstrukturierte Textmasse, die ihren Bezug zur Naturphilosophie nicht verleugnet. Man soll nicht davon abgehalten werden, sich auf einem hohen sprachlichen Niveau auf eine seltsam meditative Reise zu begeben. Aber wirklich zu empfehlen ist das nicht. Wirklich spannend und unterhaltsam geht anders. Poesie kann auch anstrengend sein.

Titelbild

Christian Enzensberger: Nicht Eins und Doch. Geschichte der Natur.
AB - Die andere Bibliothek, Berlin 2013.
543 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-13: 9783847703426

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