Jeansdinge lesen

Zu dem von Katharina Hohmann und Katharina Tietze herausgegebenen Sammelband „Denimpop“

Von Sandra HeppenerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sandra Heppener

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine isländische Elfe wird nach Berlin verschleppt. Ein Studierender der Skandinavistik hatte sie unwissentlich in einem Obsidian aus Island mitgenommen. Die Elfe trägt Röhrenjeans, als sie in der Berliner Studentenbude von ihrem Entführer entdeckt wird. Wolfgang Müllers mythologisch überhöhtes Beispiel zeigt, dass es in „Denimpop“ nicht um die Jeans als Hose geht. Es geht um die Jeans als Bedeutungsstifterin.

Was bedeutet die Jeans als gesellschaftliches Ding? Im Sinne der Materiellen Kultur haben Katharina Hohmann, Bildende Künstlerin, und Katharina Tietze, Professorin für Design, 17 verschiedene Beiträge zu Jeansdingen in ihrem Sammelband herausgegeben. Auf unterhaltsame, kritische und informative Weise werden Reflektionen über Gebrauch und Wahrnehmung der Jeansdinge im Alltag thematisiert. Die beschriebenen Jeansdinge stammen aus der gleichnamigen Sammlung der beiden Herausgeberinnen. 2003 wurden unterschiedlichste Dinge wie Gummistiefel, Kaffeekannen, Reisetaschen, Duftbäumchen, Schalke-Jeanswesten und viele weitere bisweilen skurrile und faszinierende Dinge zusammengetragen, materiell beschrieben und unter dem gemeinsamen Bezugspunkt Jeans museal in Weimar aufbereitet. Über die Ausstellung hinaus können tiefschürfend in „Denimpop“ weitere Fragen gestellt werden: Warum konnte die Jeans als Design so viele Objekte vereinnahmen? Wie inkorporieren Mode und Pop-Musik das Jeanskonzept? Warum kann Jeans als kapitalistischer Helfershelfer fungieren? Wieso differieren gerade beim Thema Jeans die Geschmäcker? Und was sagt der Gebrauch des Jeansdings letztlich über das Menschsein in der postindustriellen Gesellschaft aus? Die Autorinnen und Autoren der Beiträge konnten sich ein Jeansding aus der Sammlung aussuchen und es zu ihrem Thema machen. Ihr Jeansding ist als Fotografie den Beiträgen vorangestellt und imaginiert dem Lesepublikum die Haptik der vergangenen Ausstellung.

Thomas Meinecke philosophiert im Interview mit einem Augenzwinkern über Jeans in Songtiteln und Bandnamen. Natürlich liegt Meinecke das „Jeans-Team“ auf der Zunge. Das „Jeans-Team“ aus Berlin hat sich nach einer 70er-Jahre-Leuchtreklame aus dem Wedding benannt, und macht seit 1995 elektronische Musik. Die Leuchtreklame bewarb eine günstige Modekette. Angeregt wurden Meineckes Gedankenspiele durch Katharina Hohmann und das Interview besticht durch die Aura des lockeren Gesprächs. Mikro-Anekdoten, die hier theoretisch fundiert erscheinen, bleiben gerne im Kopf hängen. Zum Beispiel taucht die Latzhose als popmusikalisches Motiv erstmals in der Appalachenmusik auf. Gleichzeitig gilt sie damit als erste Jeans, die in der Popmusik genannt wurde.

En passant erfahren die Leserinnen und Leser in „Denimpop“ Wichtiges aus der Geschichte der Jeans. Als ländliche Arbeitshose machte sie ihren Anfang bei den Goldgräbern und Cowboys in den USA. Frühe Auswirkungen der beginnenden Globalisierung werden anhand solcher Jeansgeschichten deutlich: Stacheldraht ersetzt die Arbeit des Cowboys als Viehhüter. Die Cowboys sind arbeitslos und gehen mit ihrer Berufskleidung, der Blue Jeans, vom Land in die Stadt. Dort gelangt ihre Hose in einen neuen modischen wie urbanen Kontext. Roger Behrens macht so im dritten Beitrag auf die Dekontextualisierung der Jeans aufmerksam. Aus dem originären Gebrauchswert der Jeans wird ein optischer. Die Jeans beginnt ein Modeobjekt der Rebellion zu werden. Nachdem die Cowboys in die Städte gingen, machte der Rock’n’Roll als Musik der amerikanischen Arbeiterkultur die Jeans zum Symbol gegenkultureller Jugendbewegungen. In den 1950er-Jahren finden Jeans und Rock’n’Roll gemeinsam auf Platten-Covern den Weg in deutsche Kleiderschränke und deutsche Popkultur. Roger Behrens Beitrag „Jeans auf Schallplatten“ stellt konzise und in leicht verständlicher Sprache den Weg der Jeans in die Popkultur dar. Kompetent verdeutlicht Behrens die Transformation von der Arbeitshose zum musikalischen Symbol. Der fetischistische Warencharakter der Jeans geht auf dem Plattencover die Verbindung zwischen Mode, Musik und Design ein. Gleichzeitig erfährt die Jeans eine Intermedialisierung. Als massenkonsumerable Alltagsmode im Spätkapitalismus sei die Jeans Individual- und Uniform in einem. Als Karikatur der Alltagsmode werden Jeans auf Plattencovern der 1950er-Jahre zur Verheißung. Die Verheißung der Jugend, ihr sexuelles Begehren, soll sich in der Musik erfüllen – wie Behrens anhand des Covers zu dem Rolling-Stones-Album „Sticky Fingers“ eindrucksvoll erläutert. Durch die Inszenierung der Schallplatte als Ware gewinnt das Trägermedium ästhetische Qualität – nicht in ihrem Wesen als Tonträger.

Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt Nils Röller. In der Tradition Vilem Flussers widmet er sich der Stofflichkeit von Jeans und Jeans-Notizbüchern. Wie kann das eigene Leben schreibend in einem solchen Notizbuch gestaltet werden? Nur durch die Imitation von Jeans. Richtiger Jeansstoff wäre zu dick für den Einband eines Buches, die Buchfunktion wäre behindert. Gerade das Imitat stelle Konvergenz zwischen Leben und Schreiben her. Direkt auf Jeans zu schreiben erzeuge bereits aufgrund der Materialität Widerstand und erzeuge so Spannung im Leben. Scheint hier eine Verbindung zu den Jeansdingen weit hergeholt zu sein, überzeugt Friedrich Tietjen in „Ceci n’est pas un jean“ durch seine semiotische Herangehensweise. Gerade als offener Bedeutungsträger sei die Jeans durch Polyvalenzen gekennzeichnet. Die Bedeutung liege in der Nichtbedeutung. Das, was ein Ding im Augenblick der Betrachtung eben nicht sei, sage mehr über die Bedeutung aus als das, was offensichtlich sei. Pragmatisch überträgt Tietjen kapitalismuskritisch seine zeichentheoretischen Überlegungen auf die Kaugummizigarette. Seine Kaugummizigaretten sind in einer Zigarettenpackung in Jeansoptik verpackt. Ihr Markenname lautet nicht überraschend „JEANS“. Kaugummizigaretten sehen so aus als ob. Als ob sie Dinge der Erwachsenenwelt seien, als ob sie aus echtem Tabak seien, als ob mit ihnen erwachsene Gesten von Kindern einstudiert werden könnten. Gerade durch die Omnipräsenz des Jeansstoffes in der Kinder- und Erwachsenenwelt eigne sich dieser, um marketinggerecht Kindern das Rauchen zu vermitteln. Solide vermittelt Tietjen die gewinnorientierten Strategien der Zigarettenindustrie.

Kurz vor Ende von „Denimpop“ meldet sich Katharina Tietze zu Wort: „Trinken aus Jeans?“ verhandelt die Schönheit und/oder Hässlichkeit der Jeansdinge. Als körperliche Verlängerung sei die Jeans sozusagen nur schwerlich auf einen Gegenstand zu übertragen. Die menschliche Bekleidungsstrategie auf einer Kaffeekanne wiederzufinden sei hässlich. Tietze verwebt in wenigen Sätzen sehr anschaulich, warum die Allgegenwärtigkeit der Jeansdinge längst nicht mehr nur in den Kategorien schön und hässlich einzuordnen ist. Gerade die Universalität des Stoffes verschleiere die Motivik, warum etwas im Jeansdesign gestaltet ist. Das mache die Jeans gleichzeitig bedeutungsoffen. So könne sie auch komisch und hässlich sein. Camp sei ihre Strategie, die Lust am hässlichen Design wertfrei zu befriedigen.

Scheinbar zufällig haben die Autorinnen und Autoren von „Denimpop“ ihr Jeansding ausgesucht. Die so entstandene Zusammenstellung der verschiedenen, variantenreichen Beiträge macht augenfällig, wie sehr die Jeans im übertragenen Sinne ein symbolischer Gebrauchswert des Alltags und der kapitalistischen Gesellschaft geworden ist. Ferner zeigt die Analyse durch die Material Cultures in Mode und Design, was Dinge als historische Quelle des Alltags leisten können. „Denimpop“ zeigt, warum es gesellschaftlich lohnenswert ist, sich interdisziplinär einem populären Massenprodukt wie der Jeans zu nähern. An solchen kulturellen Symbolen des Alltags lässt sich die Geschichte der Industriegesellschaften ablesen. Also: Jeans on!

Titelbild

Katharina Hohmann / Katharina Tietze (Hg.): Denimpop. Jeansdinge lesen.
Merve Verlag, Berlin 2013.
192 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783883963358

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