Ärgern wir uns ein bisschen…

„Thomas Bernhard für Boshafte“ im Insel Verlag ist eine von vielen (mehr oder weniger gelungenen) Kompilationen

Von Clemens GötzeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clemens Götze

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewiss, Thomas Bernhard war Zeit seines Lebens ein österreichisches Ärgernis. Als Nestbeschmutzer tituliert und gehasst, gelang ihm doch als Autor vor allem eines: in Erinnerung zu bleiben als künstlerisches Markenzeichen einer am selbstempfundenen Kleinstaatsbewusstsein laborierenden Alpenrepublik mit selten unproblematischer Vergangenheit. Dies versucht der soeben erschienene Band „Thomas Bernhard für Boshafte“ zumindest dem Titel und Cover nach abzubilden – und scheitert in dieser Unternehmung leider grandios. Aber ein Buch, das die Boshaftigkeit impliziert, verdient gewissermaßen selbstverständlich eine nicht minder ins Boshafte tendierende Rezension, solange sie so ernst gemeint, wie das Werk Thomas Bernhards trotz aller Komik ernst zu nehmen ist.

Es handelt sich um einen weiteren Band mit Textausschnitten des berühmten Österreichers, der gewiss die durchaus erbauliche Reihe im Insel Verlag komplettiert, zu Thomas Bernhard jedoch keine nennenswerten neuen Erkenntnisse oder Entdeckungen liefert. Dem Image nach ist Bernhard ja schon immer der Boshafte gewesen, deshalb stellt sich die Frage, wieso der entsprechende Band erst jetzt auf den Markt kommt, insbesondere dann, wenn darin absolut keine unbekannten Textpassagen zu finden sind.

Damit bleibt die Frage, ob es einen solchen schmalen Band überhaupt gebraucht hätte, denn für Bernhard-Kenner bietet er nichts Neues, und für Unkundige auf diesem literarischen Gebiet leistet er nicht das, was die Bernhard-Lesebücher im Suhrkamp Verlag bereits mehrmals versucht haben: einen Einblick in das mannigfaltige Schaffen eines Autors zu geben, dessen Werk heute immer stärker aus dem Fokus zu rücken scheint. In Deutschland ist Bernhard heute leider immer weniger präsent: weder in Buchhandlungen noch auf dem Theater, selbst in der Literaturwissenschaft, der er hinsichtlich der Neuerscheinungen zu seinem Werk ein schier unerschöpflicher Fundus zu sein scheint, ist er nur vereinzelt und äußerst selten eine universitäre Lehrveranstaltung wert. In Österreich mag dies naturgemäß ein wenig anders aussehen, aber eben doch nur ein wenig. Insofern stellt sich die Frage, wie das Buch in das Marktimage des Autors passt oder wie der Leser dieses verstehen soll. Vielleicht ist dies der Versuch der Suhrkamp-Gruppe, die Präsenz ihres einstigen Verkaufsgaranten in dessen 25. Todesjahr ein wenig zu pushen, wobei allerdings fraglich ist, ob ein solch unscheinbares Bändchen von gerade einmal 70 Seiten dazu tatsächlich geeignet ist.

Weitaus bedeutender scheinen die für das zweite Halbjahr bei Suhrkamp geplanten Publikationen zu Bernhard zu sein: die Fertigstellung der Werkausgabe bis Ende 2014 sowie der Band „Sätze“ mit der Transkription eines Interviews von 1970, welches als Schlüssel zur Poetik des literarischen Werkes gehandelt wird. Nun ist es kein Geheimnis, dass Thomas Bernhards Interviews – wie die vieler anderer Dichter und Autoren auch – selbst Kunstwerke sind, die seiner Literatur selbst in nichts nachstehen. Dennoch sind solche Entdeckungen wesentlich wertvoller für Forschung und Leserschaft als jene Textsammlung, die zwar nett gemeint ist, jedoch ein bisschen bemüht wirkt.

Gut gemeint ist in diesem Fall aber nicht immer gleich gut gemacht: der Untertitel „Mit Bernhard durch den Tag“ ist zwar amüsant und strukturiert die Sammlung gut, allerdings passt der vorletzte Inhaltspunkt „Europäische Provinzen“ nicht in den Tagesablauf. Und spätestens an dem Punkt, als die Schweiz abgehandelt wird, ist man ganz offenkundig in dem seit Jahren immer wieder verschobenen Band „Düsseldorf oder München oder Hamburg: lauter Provinzen“ angekommen, der, so hat es den Anschein, niemals erscheinen wird, weswegen noch rasch ein paar Passagen daraus „gerettet“ werden, um hier ganz nebenbei und wie von Zauberhand mehr Volumen zu erzeugen. Andernfalls wäre in diesem Buch bei 50 Seiten Schluss gewesen. So sind es nun 70 Seiten, und der Leser wird mit großen Fragezeichen auf der Stirn zurückgelassen. Fällt Bernhards Hausverlag denn gar nichts Besseres ein zu seinem einstmals so hofierten Autor, oder sind das noch die Auswüchse der Existenzkrise des zweifellos bedeutendsten Verlagskonsortiums im deutschen Sprachraum?

Ein wenig leistet dieses Bändchen dann auch dem Klischee-Bernhard Vorschub, das stets – und nach seinem Tod vielleicht noch mehr – das Bild des griesgrämigen und unversöhnlichen Grantlers heraufbeschwört, und dies, ohne dieses Image der Kunstfigur in einem historischen Kontext adäquat abzubilden. Da hilft auch das viel zu knappe und lieblos hingeworfene Nachwort des Herausgebers nichts, das sich auf Seite 70 selbst entlarvt mit dem Hinweis, dass Bernhards Tiraden ohnehin nur in einem größer gefassten Kontext zu verstehen seien. Wieso, bliebe zu fragen, stellt sich dann die Notwendigkeit, diese Passagen aus den Werken überhaupt herauszulösen, um sie an anderer Stelle neu zusammenzupressen? Ob dies im Sinne des Autors gewesen wäre, muss bezweifelt werden, was allein schon der äußerst unterhaltsame und lehrreiche Briefwechsel Bernhards mit Siegfried Unseld erahnen lässt. Man gewinnt mitunter das Gefühl, hier würde ein Autor in eine Schablone gepresst, aus welcher er eigentlich bereits längst herausgewachsen ist.

Viel erbaulicher ist hingegen das Experiment des österreichischen Autors Alexander Schimmelbusch, der mit seinem Buch „Die Murau Identität“ jüngst einen wahren Überraschungscoup gelandet hat. In solchen Texten und Rezeptionen kann der Autor offenbar besser weiterleben, als in einer etwas konstruiert wirkenden Publikation mit Themenbindung, die im Wust der vielen Neuerscheinungen vermutlich unterzugehen droht. Natürlich ist aber auch dieses Werk mit Werkausschnitten Bernhards lesenswert, wie grundsätzlich alle seine Texte. Wenn Bernhard in einem seiner letzten Sätze dieses Buches seinen Erzähler bekennen lässt, „ich habe mich am Genfersee immer gelangweilt“, so lässt sich diese Diagnose keinesfalls auf die Lektüre von Bernhard-Texten ableiten. Darin liegt sicher seine größte Stärke.

Dennoch bleibt wohl anzunehmen, dass sich vorwiegend Bernhard-Kenner dieses Buch kaufen werden, um ihrer Insider-Freude zu frönen. Ihnen wird diese Zusammenstellung mit Sicherheit die Lektüreerlebnisse auffrischen und damit zur Erbauung beitragen können. Inwieweit man schließlich aber auch von der Sammlung bekannter Textpassagen indes enttäuscht sein mag, wenn man als Leser Neues erhofft hat, muss dahin gestellt bleiben. Für den Bernhard-Sammler ist der Band bestenfalls eine Ergänzung im Bücherregal; für Neuentdecker eines Klassikers ist das Buch indes nicht sonderlich geeignet. Nach wie vor gilt also die Devise: man nehme sich ein Einzelwerk eines Autors und beginne mit der Lektüre, um (gegebenenfalls) eine Entdeckung zu machen. Thesensammlungen sind hingegen etwas für Fortgeschrittene. In jedem Fall ist Thomas Bernhard auch 25 Jahre nach seinem Tod ein kanonisierter Schriftsteller, den man immer wieder neu lesen und entdecken kann – und dies erstaunlicherweise ohne Motto und zu jeder Jahres-, Tages- oder Lebenszeit!

Titelbild

Thomas Bernhard: Bernhard für Boshafte.
Herausgegeben von Raimund Fellinger.
Insel Verlag, Berlin 2012.
120 Seiten, 7,00 EUR.
ISBN-13: 9783458358534

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Alexander Schimmelbusch: Die Murau Identität.
Metrolit Verlag, Berlin 2014.
205 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783849303389

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Kein Bild

Thomas Bernhard: Sätze.
Herausgegeben von Raimund Fellinger.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014.
60 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-13: 9783518424179

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