Alltagssorgen und Liebesnöte

Lili Grün unterhält mit ihren mehr als himmlischen Gedichten und Geschichten aufs Allerbeste

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Brave Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin“, hieß es einmal – und nun ist ein Buch erschienen, das gar einen „Mädchenhimmel“ im Titel trägt. Was soll man davon halten? Nun, sehr viel. Denn die Texte, die seine Seiten füllen, sind ganz und gar nicht brav. Im Gegenteil. Und das Gegenteil von brav ist bekanntlich nicht böse, sondern frech. Und genau das sind die Gedichte und Geschichten, die Lili Grün in den 1920er und 1930er-Jahren des vorigen Jahrhunderts geschrieben hat. Anke Heimberg, die sich auch früher schon um die von den Nazis ermordete Literatin verdient gemacht hat, hat sie zusammengestellt und herausgegeben.

Das Gedicht, mit dem der Band eröffnet wird, trägt geradezu kontrafaktisch den Abschiedsgruß „Adieu!“ im Titel. Dies ist nun allerdings nicht besonders frech, sondern einfach eine Folge der streng chronologischen Anordnung. Grüns Gedichte und ihre nur wenige Seiten umfassenden Kurzgeschichten erzählen von Alltagssorgen und Liebesnöten der Neuen Frau hinter der Schreibmaschine oder nach einem One-Night-Stand. Auch stirbt in ihnen so mancher vermeintliche Märchenprinz – doch nie den Heldentod. Eigentlich sterben sie nicht einmal wirklich, sondern verwandeln sich nach etlichen Küssen in mal bloß schleimige, mal gefährlich giftige Kröten. Die Frauen wiederum hegen nicht selten Todeswünsche und Suizidfantasien. Doch nie wehklagend, sondern auf gewisse Weise launig, fast heiter, jedenfalls ironisierend und sehr hintergründig. So geht eine der Protagonistinnen wegen einer unglücklichen Liebe „vorübergehend ins Wasser“, während eine andere voller Furcht vor dem „kalten Kuß“ des Todes einen „schüchternen Flirt“ mit ihm wagt. Pathetische Anklänge werden schon gebrochen, bevor sie überhaupt auch nur die Chance haben zu erschallen. So etwa, wenn das lyrische Ich, das auch schon mal auf den Namen Lili Grün hören kann, dem Geliebten in einer ganz und gar nicht elegischen „Elegie“ gesteht, es sei „so scharf auf [s]eine Seele“. Doch ist die Liebe eine missliche Sache. Sie beraubt die Frauen ihrer Selbstgewissheit, ihrer Selbstsicherheit, ihrer Eigenständigkeit und ihres Selbstbildes etwa als „dämonische Frau“. Doch hält Grün auch manchen Rat parat und empfiehlt „Mädchen, die schrecklich allein sind, nicht zu küssen“.

Nur ganz ausnahmsweise einmal ist eines der Werke von trauriger Hoffnungslosigkeit getragen. Das Gedicht „Einzelhaftpsychose“ ist ein solches Werk. In ihm weint das lyrische Ich nach dem Ende einer Liebe vor Einsamkeit. Zweisamkeit aber führt zum Tod der Frau durch den mörderischen Ehegatten. Und auch an anderer Stelle weiß Grün ein trauriges „Lied einer Ehefrau“ zu singen.

Gelangte das älteste Gedicht des Bandes zu Beginn der 1920er-Jahre zur Publikation, so erschien die erste der Kurzgeschichten erst ein Jahrzehnt später. Grüns Geschichten handeln beispielsweise von völlig „talentlosen Männern. Sie besitzen kein Talent zur Liebe, keines Komplimente zumachen und nicht einmal eines zum streiten“. Und diese Männer sind keineswegs absonderliche Einzelfälle. Nein, „so sind sie alle“, die Männer. Jedenfalls die, mit denen die Ich-Erzählerin zu tun hatte. Ein Talent allerdings haben Männer sehr wohl – das zur Eifersucht. Hierin unterscheiden sie sich nicht von den Frauen. Allerdings sind die einen mit Niveau eifersüchtig, die anderen ohne.

Die Herausgeberin und ausgewiesene Kennerin des Lebens und Werkes Lili Grüns, Anke Heimberg, hat ein Nachwort zum Band verfasst, auf dessen rund 20 Seiten sie vermutlich mehr Informationen zum Leben Grüns zusammengetragen hat, als dies allen bisherigen Aufsätzen, Artikeln und Lexikoneinträgen zu der Literatin gemeinsam gelungen sein dürfte. Es sind ihrer allerdings auch nicht sehr viele. Jedenfalls darf man sich bereits jetzt auf Heimbergs in Aussicht gestellte Biografie Lili Grüns freuen.

Titelbild

Lili Grün: Mädchenhimmel! Gedichte und Geschichten.
Gesammelt, herausgegeben und mit einem Nachwort von Anke Heimberg.
AvivA Verlag, Berlin 2014.
188 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783932338588

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