Fiktionen vom wilden Ursprung

Nicola Gess über Figuren primitiven Denkens in der literarischen Moderne

Von David WachterRSS-Newsfeed neuer Artikel von David Wachter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit einiger Zeit wächst die Aufmerksamkeit für das primitivistische Denken der klassischen Moderne zwischen 1890 und 1930. Allzu lange blieb der phantasmatische Rückgriff auf eine „primitive Kultur“, mit welcher die Avantgarden nicht selten im Modus antibürgerlicher Provokation ihre ästhetischen Innovationen erprobten, einseitiger Gegenstand der Kunstgeschichte. Seit einigen Jahren jedoch wird die Faszination für ein archaisch Fremdes, die im frühen 20. Jahrhundert neben den Künsten auch diverse Wissensgebiete umtrieb, zu einem populären Gegenstand der Literatur- und Kulturwissenschaften – man denke nur an Erhard Schüttpelz’ „Die Moderne im Spiegel des Primitiven“ (2005) oder Sven Werkmeisters „Kulturen jenseits der Schrift“ (2010). In diesem Kontext steht auch Nicola Gess’ Habilitation, die sich an einen von derselben Autorin herausgegebenen Sammelband zum „Literarischen Primitivismus im frühen 20. Jahrhundert“ (2012) anschließt. Die jüngst erschienen Studie nennt sich „Primitives Denken. Wilde, Kinder und Wahnsinnige in der literarischen Moderne“ und formuliert somit schon im Titel ihre programmatischen Leitlinien. Es geht um zwei miteinander verschränkte Vorhaben: Zum einen soll ein spezifisches „Denken“, mithin eine humanwissenschaftliche Diskurslage zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkundet werden; anderseits interessiert sich die Autorin für die Verschränkung dieser Diskurse mit einer literarischen Moderne, die sie anhand von Robert Müller, Robert Musil, Gottfried Benn und Walter Benjamin in den Blick nimmt. Zugleich benennt der Titel die drei Figuren primitiver Alterität, auf die sich ihre Arbeit konzentriert: Wilde, Kinder und Wahnsinnige. Sie stehen für drei unterschiedliche und zugleich miteinander verbundene Wissensfelder: In Ethnologie, Entwicklungspsychologie und Psychopathologie erhalten sie als Leitfiguren die Funktion, ein jeweils disziplinspezifisches Wissen von der eigenen Kultur, ihren Ursprüngen und ihrem „Anderen“ hervorzubringen; in der Literatur erschließen sie einen neuen Themenvorrat und ermöglichen zugleich die Entwicklung innovativer Schreibformen.

In dieser doppelten Perspektive, die Wissensgeschichte und literarische Poetik zu vermitteln sucht, liegt das methodologisch Neue an Nicola Gess’ Arbeit zum literarischen Primitivismus. Teilt sie mit den erwähnten Studien von Erhard Schüttpelz und Sven Werkmeister ein wissenspoetologisches Interesse an Metaphern und Denkfiguren humanwissenschaftlicher Primitivismus-Diskurse, so lenkt sie ihre Aufmerksamkeit doch stärker auf spezifisch literarische Verfahren der Aneignung, Ausgestaltung und kritischen Reflexion dieses Wissens bei vier prominenten Vertretern der ästhetischen Moderne, die allesamt eine große Affinität zu außerliterarischen Diskursformen aufweisen. Wie bereits die Einleitung erkennen lässt, geht es ihr dabei nicht ausschließlich um die Wissensbestände, die sich in den Werken Müllers, Musils, Benns und Benjamins wiederfinden lassen, sondern zugleich um die formalen Innovationen und literarischen Gestaltungsmittel, welche die drei Autoren – so ihre zentrale These – in der Auseinandersetzung mit Ethnologie, Entwicklungspsychologie und Psychopathologie ihrer Zeit entwickeln. Primitivismus ist mithin aus Gess’ Sicht nicht nur Gegenstand, sondern zugleich Formprinzip ihrer Texte; nicht nur ein „Denken“, sondern auch ein „Schreiben“; nicht nur eine „Poiesis“, sondern auch ein „Poem“. In diesen Zusammenhang fällt dann auch ein weiteres Erkenntnisinteresse, das sich in gewissem Sinne zwischen Wissensgeschichte und literarischer Textanalyse befindet: die Rolle primitivistischer Denkfiguren für ästhetische Theorien im frühen 20. Jahrhundert. Denn während Kinder, Wahnsinnige und Wilde als Paradigmen für ein primitivistisches Wissen stehen und zugleich als Denkfiguren und Metaphern formale Innovationen in literarischen Texten stimulieren, haben sie zugleich eine wichtige Funktion für Kunst- und Sprachtheorien um 1900, namentlich für Theorien vom Ursprung der Kunst sowie für Metaphertheorien, die ein „anderes Sprechen“ gegenüber der begrifflich-logischen Sprachverwendung entwerfen.

An diesem dreifachen Erkenntnisgegenstand orientiert sich auch der Aufbau von Nicola Gess’ Studie „Primitives Denken“. Ihr erster Teil – „Figuren primitiven Denkens“ – rekonstruiert den Stand des Wissens vom Primitiven im frühen 20. Jahrhundert, indem jeweils eine Figur einem Wissensbereich zugeordnet wird. Zunächst gilt ihr Interesse dem „ethnologischen Paradigma des Primitiven“, das um die Figur des „Wilden“ kreist. Hier verfolgt sie überzeugend die Grundthese, dass die ethnologische Erkundung außereuropäischer Kulturen um 1900 stets „im Dienst eines Interesses an der Erkenntnis der Entwicklung der eigenen Kultur“ stehe: Das „Andere“ werde zwar aus dem „Eigenen“ ausgegrenzt, bleibe jedoch konstitutiv mit diesem verbunden, insofern die im synchronen Blick untersuchten „indigenen Völker“ zugleich in diachroner Hinsicht für eine überwundene Entwicklungsstufe der eigenen Kultur erklärt würden. Anhand Edward B. Tylors „Primitive Culture“ zeichnet Gess den fortschrittsoptimistischen Grundgedanken einer Ethnologie nach, die das Verhältnis zwischen „Wilden“ und „Zivilisierten“ generell als Evolution begreift, weist aber auch auf die Ambivalenz von Tylors Kulturkonzept hin, das ja im Konzept des „survivals“ von einem rudimentären Fortbestehen vergangener Kulturzustände in der Gegenwart ausgeht. Ebenfalls überzeugend ordnet Gess ein weitläufiges Feld ethnologischer Theorie nach „intellektualistischen Theorien“, die von spezifisch primitiven Erkenntnisfunktionen vermeintlicher Naturvölker ausgehen, und „emotionalistischen“ Theorien, die das „primitive Denken“ affekttheoretisch von einer besonderen Form der Neugier solcher Naturvölker herleitet. Zuletzt stellt sie, ausgehend von Lucien Lévy-Bruhls Arbeiten zum „partizipativen Denken“, die Rhetorizität und Fiktionalität ethnologischer Konstruktionen eines „primitiven Denkens“ heraus. Die Ambivalenz von „Alterisierung“ und „Nostrifizierung“ des Primitiven, also die Spannung zwischen Aus- und Einschluss des Anderen aus europäischer Perspektive, bestimmt indes nach Gess nicht nur die frühe Ethnologie, sondern auch die Entwicklungspsychologie um und nach 1900. Als bestimmend für die entwicklungspsychologischen Arbeiten so unterschiedlicher Forscher wie James Sully, Stanley Hall, Karl Bühler oder Jean Piaget stellt sie das Analogiemodell heraus, nach dem die ontogenetische Entwicklung des Kindes als „Rekapitulation“ der phylogenetischen Gattungsevolution zu begreifen sei. Zugleich verweist sie auch bei diesen Theorien auf die Spannung zwischen einer Verfremdung des Kindes, das in Analogie zum Wilden aus dem Bereich des zivilisatorisch Eigenen ausgegrenzt wird, und einer Re-integration („Nostrifizierung“) des Primitiven, das gemäß dem Rekapitulationsmodell als Ursprungszustand der individuellen Entwicklung moderner Menschen auch in der fortgeschrittenen Zivilisation erhalten bleibt. Darüber hinaus weist Gess anhand der Figur des „Wahnsinnigen“ nach, in welchem Ausmaß sich auch die Psychopathologie des frühen 20. Jahrhunderts – neben Sigmund Freuds, C.G. Jungs und Sándor Ferenczis Psychoanalyse besonders die Schizophrenie-Forschung Paul Schilders oder Alfred Storchs – an der Denkfigur der Analogie orientiert. Besonders die Schizophrenie wird in diesen Diskursfeldern als „Regression“ in eine überwundene Kulturstufe gedacht, sodass sich die Fremdheit des Wahnsinns als Wiederkehr eines phylogenetischen Ursprungszustandes der Gattung darstellt. Zugleich stellt bereits die Schizophrenieforschung des frühen 20. Jahrhunderts jene Verbindung von Krankem und Künstler her, die dann im Selbstverständnis avantgardistischer Strömungen produktiv aufgegriffen und transformiert wurde.

Auf diese bemerkenswert materialreichen und zugleich dichten Ausführungen zur Wissensgeschichte primitiver Figuren folgt ein zweiter, kürzerer Teil zum Verhältnis von „Kunst, Sprache und primitivem Denken“ um und nach 1900. Er setzt ein bei dem Befund, dass bereits in Ethnologie, Entwicklungspsychologie und Psychopathologie wiederholt auf das künstlerische Schaffen als Analogie wilden Denkens in der Gegenwart hingewiesen wird. Davon ausgehend gelingt es der Autorin zu zeigen, dass sich um 1900 eine kunstwissenschaftliche Ästhetik des Primitiven entwickelt – und zwar in zwei Filialen: Als Suche nach dem Ursprung der Kunst im Allgemeinen, aber auch als Theorie der Metapher als primitiver Sprachverwendung. Anhand der Arbeiten von Ernst Grosse („Die Anfänge der Kunst“), Carl Stumpf („Die Anfänge der Musik“) oder Johan Huizinga („Homo ludens“) sowie mit Blick auf Lyriktheorien Erich Schmidts oder Karl Büchers weist Gess nach, wie hartnäckig gerade die sich als wissenschaftlich verstehende Ästhetik der Zeit auf das Phantasma eines primitiven Ursprungs der Kunst (und mit ihr der Kultur überhaupt) rekurriert. Indem diese Arbeiten eine Beziehung zwischen Frühkultur der Menschheit und zivilisatorischer Gegenwart herstellen, lösen sie sich von einem evolutionistischen Fortschrittsmodell, schwanken aber in ihrem Verhältnis zu diesen Ursprungsfiguren weiterhin zwischen Identifikation und Ablehnung. Ihre Überlegungen zur Konjunktur der Ursprungssuche um 1900 verknüpft Gess mit einem so knappen wie dichten Parcours durch Metaphertheorien von Friedrich Nietzsche über Alfred Biese bis Ernst Cassirer, die sie schlüssig hinsichtlich der Frage differenziert, ob die Betonung des metaphorischen Charakters von Sprache jeweils zu einer grundsätzlichen Erkenntnisskepsis, zur Annahme „anderer“ Erkenntnisformen in der Kunst oder auch zur Einsicht in den poietischen, metapherngeleiteten Charakter von Erkenntnis überhaupt führt.

Im dritten und zugleich ausführlichsten Teil widmet sich Gess dem „primitiven Denken in der literarischen Moderne“ am Leitfaden Robert Müllers, Robert Musils, Gottfried Benns und Walter Benjamins. Dieser Teil stellt den plausiblen und ambitionierten Versuch dar, die produktive Rezeption des primitivistischen Diskurses der Humanwissenschaften im experimentellen Medium moderner Literatur an vier prominenten Autoren nachzuzeichnen. An ein kurzes Kapitel zu Robert Müllers berühmtem „Tropen“-Roman, der diverse Regressionsstrategien der Anthropomorphisierung von Tieren und Animalisierung von Menschen im Blick des Protagonisten Brandlberger entwirft, schließt sich ein längeres Kapitel zu Robert Musil – „Schwester im Wahn“ – an. Überzeugend rekonstruiert Gess die Musil’sche Rezeption ethnographischen Denkens auch abseits der bekannten Bezüge zu Lucien Lévy-Bruhl, wobei sie neben den Essays zahlreiche Vorstufen zum Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ auswertet. So gelingt es ihr zu zeigen, dass sich Musil in seiner Beschäftigung mit Autoren wie Franz Müller-Lyer oder Erich Jaensch für Wahrnehmung, bildliche Anschauung und magische Kunst-Funktion indigener Kulturen interessiert. Darüber hinaus besteht die Pointe ihres Musil-Kapitels darin, dessen Roman „Der Mann ohne Eigenschaften“ als literarisches Experiment einer „inversen Ethnologie“ zu lesen. Darunter versteht sie die Verschiebung des ethnologischen Blicks von der Beobachtung fremder Kulturen hin zur Selbstbeobachtung, die in einer Mischung aus Faszination und kritischer Distanz primitive Aspekte an der europäischen Zivilisation in den literarischen Fokus rückt. Was sie etwas unglücklich als „Selbst-Entfremdung“ bezeichnet – plausibler wäre es, hier von „Selbst-Verfremdung“ zu sprechen –, zeigt sich natürlich besonders deutlich an der pathologischen Figur der Clarisse. Erhellend sind Gess’ Überlegungen zu Clarisses Sprachverwendung, die sich durch eine Anverwandlung figurativer Sprache in Verbindung mit einer spezifischen Wahn-Logik auszeichnet: Hier wird klar erkennbar, wie Musil primitivistische Sprachtheorien zur experimentellen Entwicklung neuer Schreibstile – einem „primitivistischen Erzählen“ – nutzen konnte. Weniger deutlich dagegen sind die abschließenden Überlegungen, die diesen Stil äußerst knapp an Musils Poetik des essayistischen Schreibens in den reflexiven Romanpassagen anknüpfen. Zwar überzeugt durchaus Gess’ These, es gehe Musil nicht um eine naive „Mimesis ans Primitive“, sondern um eine reflektierte „Formsprache für nicht-ratioide Aussagen“; doch der argumentative Nachweis dieser Behauptung bleibt auf wenige Seiten beschränkt und daher ein wenig thesenhaft.

Umfangreicher noch als im Musil-Kapitel reflektiert Gess das Wechselspiel von Wissenschaftsdiskurs und literarischer Poetik im Kapitel zu „Gottfried Benns anthropogenetischem Primitivismus“. Sie konzentriert sich auf Benns Denken des Körpers „als biologisches Symbol und Erfahrungsraum der phylogenetischen Vergangenheit“. Zunächst analysiert sie Benns Auseinandersetzung mit Biologie (Ernst Haeckel) und neurologischer Psychologie (Paul Flechsig, Wilhelm Wundt), um daraufhin die Assoziationsprosa der Rönne-Texte sowie der Kurzdramen als Umsetzung primitivistischer Denkfiguren in ein innovatives Sprachexperiment (Auflösung der Syntax, alogische Motivverknüpfung, Zerfall der Prosa ins Lyrische et cetera) zu deuten. Eher knapp erörtert wird demgegenüber die Analyse der Denkfigur eines „organischen Gedächtnisses“ in Benns Essays, die bekanntlich zahlreiche Wissensfragmente zu heterogenen Textformen montieren. Hier ist resümierend von „performativen Essays“ die Rede, welche die Auflösung rationaler Logik in assoziative Textbewegungen umsetzten, ohne dass dieser Befund jedoch detailliert an einzelnen Essays entwickelt würde.

Grundsätzlich überzeugend sind zuletzt auch die Überlegungen des abschließenden Kapitels zu Walter Benjamins „primitivistischem Denken in dialektischer Wendung“. Am Leitfaden der Figur des Kindes argumentiert Gess plausibel, dass Benns Texte von einer dialektischen Spannung zwischen Verzauberung und Entzauberung bestimmt sind. Wie sie treffend hervorhebt, fungiert das Kind in Benjamins Schriften als Statthalter des „mimetischen Vermögens“; gleichwohl, und darin liegt Benjamins entscheidende Wendung, regrediert es nicht bewusstlos zu Naturnachahmung und Dingmagie, sondern entfaltet als Sammler und Bastler eine destruktive Energie, wodurch es eine eigene Souveränität gewinnt. All dies entwickelt Gess material- und kenntnisreich in Einzelkapiteln zu „Abbildlichkeit und Sprachmagie“, „Physio-logik der Ausdrucksbewegung“, „Schöpferische Innervation der Hand“ oder „Politik der Gesten-Sprache“.

Gleichwohl lässt sich am Benjamin-Kapitel neben der besonderen Leistung auch die Problematik von Gess’ Vorgehen exemplarisch bemerken. Dieses Vorgehen besteht grob gesagt darin, ein sehr umfangreiches Materialkorpus nicht Text für Text zu bearbeiten, sondern anhand spezifischer Theoreme und Denkfiguren netzwerkartig zu strukturieren, sodass einzelne Texte immer wieder unter verschiedenen Gesichtspunkten aufgerufen werden und einzelne Denkfiguren zumeist an mehreren Texten gleichzeitig erörtert werden. So kommt etwa das Unterkapitel „Das Kind als Primitiver“ in einem Atemzug auf Benjamins „Berliner Kindheit“, die „Lehre vom Ähnlichen“, eine Skizze mit dem Titel „Anthropologie“, die „Kritik der Gewalt“ sowie die „Einbahnstraße“ zu sprechen, ohne die Gattungsdifferenz und unterschiedliche Stoßrichtung dieser sehr heterogenen und voraussetzungsreichen Texte immer hinreichend zu reflektieren. Da Gess über eine beachtliche Kenntnis der untersuchten Werke verfügt, gelingt dieser freihändige Parcours über weite Strecken, und ihre Arbeit demonstriert die Vorzüge eines wissenspoetologisch geschulten Blicks auf Motivnetzwerke gegenüber einer klassisch philologischen Konzentration auf einzelne Texte. Allerdings läuft Gess’ souveräner Überblick über eine weitläufige Textbasis mitunter Gefahr, allzu viel zum gleichen Zeitpunkt in den Blick zu rücken. So entsteht dann eine beeindruckende, aber auch ermüdende Verweisungsdichte auf viele wichtige Theoriekontexte, die bisweilen nur oberflächlich gestreift werden. So etwa im erwähnten Unterkapitel „Das Kind als Primitiver“, wo viel von „vormythischem Zeitalter des Gespenstischen“, „mythischem Zeitalter des Dämonischen“, „Gerechtigkeit“, „Rettung“ oder „Erwachen“ die Rede ist, ohne dass das Verhältnis dieser extrem komplexen Theoreme hinreichend geklärt würde.

Insofern hätte Nicola Gess’ Studie zum „primitiven Denken“ eine stärkere Konzentration auf weniger (Kon-)Texte gutgetan. Das ändert allerdings nichts daran, dass ihre Arbeit einen exzellenten Einblick in den Primitivismus-Diskurs des frühen 20. Jahrhunderts bietet. Wegweisend und alles in allem gelungen ist, trotz der erwähnten Schwachstellen, ihre methodologische Entscheidung, die wissensgeschichtliche Frage nach der metaphorischen Prägung dieser Diskurse und ihren leitenden Denkfiguren mit einem literaturwissenschaftlichen Zugang zu den innovativen Schreibformen des Primitiven bei Müller, Musil, Benn und Benjamin zu verbinden.

Titelbild

Nicola Gess: Primitives Denken. Wilde, Kinder und Wahnsinnige in der literarischen Moderne (Müller, Musil, Benn, Benjamin).
Wilhelm Fink Verlag, München 2013.
456 Seiten, 59,00 EUR.
ISBN-13: 9783770554690

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