Dumm-kluge Frau zum Auslachen

Zur Neupublikation von Cornelius von Ayrenhoffs Wiener Molière-Adaptation „Die gelehrte Frau“ von 1775

Von Bernd BlaschkeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernd Blaschke

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Figur des Pedanten war ein wichtiges Element bei der Wiedergeburt der Komödie in der italienischen Renaissance. In den Komödien von Niccòlo Machiavelli, Ludovico Ariosto, Aretino und in Giordano Brunos „Kerzenzieher“ spielen diese Karikaturen von Humanisten oder Schulmeistern, die unverständliches lateinisches Kauderwelsch absondern, regelmäßig ihre komischen Haupt- oder Nebenrollen. Sie agieren als vermeintliche Wissensträger, deren abstraktes Wissen in der Lebens- und Liebespraxis scheitert. Man kann die Funktion dieser Figuren in den Renaissance-Komödien als Ausdruck einer in Alltags- wie Schauspielwelt verbreiteten, kritisch-satirischen Beobachtung der durch Universitäten aufkommenden Wissensspezialisten – zu denen neben Grammatikern auch Ärzte, Alchemisten, Anwälte oder Apotheker gehörten – verstehen. In der Commedia dell’Arte, die vom 16. bis 18. Jahrhundert großen Einfluss auf die Entwicklung des europäischen Theaters ausübte, hielt sich die Figur des pseudogelehrten Dottore, die meist als Gegenspieler der jungen Liebenden diese Spielart der komisch scheiternden Wissensansprüche verkörperte.

Als Mitte des 17. Jahrhunderts am französischen Hof wie in Pariser Salons gebildete Frauen mit Interessen an Künsten und Sprachen eine gesellschaftliche Rolle zu spielen begannen, reagierten Theaterleute mit satirischen Komödientexten auf diese neue Frauenrolle und ihre Wissensansprüche. Molière war wohl nicht der erste Komödiendichter, der mit seinen „Précieuses ridicules“1659 und erneut mit seiner Verskomödie „Les Femmes savantes“ 1672 einen Kreis von Frauen mit ausgeprägtem Wissensdünkel zum Gegenstand bedeutender Komödien machte. Vor ihm hatte schon Samuel Chappuzeau mit „Le Cercle des Femmes“ 1656 eine Komödie über diesen neuen Gender-Trend verfasst. Nun gab es gewissermaßen weibliche Pedanten, Frauen also, die sich lächerlich machten, weil sie auf nutzloses Wissen über Sprachformen setzten und dabei ihre Alltagsaufgaben – Hauswirtschaft, Kindererziehung und Auswahl passender Ehemänner – sträflich vernachlässigten. In der Regel (dieser Komödien) fielen diese Frauen, die als lernbegierige Verehrerinnen der Künste und des Wissens agierten, auf zweitklassige Plagiatoren wahrer Kunst, auf ‚Kitschbrüder‘ oder gar auf verkleidete Diener herein, die schlussendlich als Hochstapler oder Pseudo-Gelehrte aufflogen. Die Figur der gelehrten Frau hatte – im Gegensatz zur bauernschlauen, couragierten Dienerin, deren listiges Handeln meist erfolgreich verläuft – keinen guten Stand auf den Theaterbühnen.

Gut hundert Jahre nach Molière verfasste der Wiener Offizier und Amateurschriftsteller Cornelius von Ayrenhoff eine Adaptation der „Gelehrten Frauen“ Molières, die 1775 am Kärntnerthortheater in Wien drei Mal aufgeführt wurde. Der heute weitgehend vergessene Dramatiker war als Liebhaberschriftsteller ein wichtiger Autor für das frühe Burgtheater und positionierte sich als scharfer Kritiker der seinerzeit fortschrittlichen Literaturströmungen, also der Empfindsamkeit, des Sturm und Drang und dann auch der frühen Romantik. Von Ayrenhoff blieb seiner Orientierung an der französischen Dramatik, den meist in Alexandrinern verfassten klassizistischen Tragödien und den sich an Molière orientierenden Komödien, gegen alle Trends treu. Damit hielt er sich im Mainstream des josephinischen Wien, das mit dem Sturm und Drang der jungen Talente Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe wenig warm wurde – wenn nicht gleich die Zensur drohte und die gewagten Stücke nach wenigen Aufführungen abgesetzt wurden.

Der Vorbericht des Autors zum Stück beschreibt die Genese und Motivation seiner Molière-Aneignung. In einer Gesellschaft von Damen entstand der Wunsch, unter den in Wiener Theatern zur Aufführung gebrachten, übersetzten Stücken, mehr von Molière zu bringen. Der erfahrene Amateur-Autor hält dessen „Femmes Savantes“ für ein gutes Sujet. Er wollte freilich Molières drei Protagonistinnen auf nur noch eine ambitionierte Pseudo-Gelehrte reduzieren, zudem den Gegenstand der Literatursatire auf zeitgenössische Tendenzen aktualisieren und schließlich, im Gegensatz zu Molière, die im 21. Jahrhundert völlig unzeitgemäße Moral über die wahre Bestimmung der Frau als Vorsteherin einer Hauswirtschaft (statt als künstlerisch oder wissenschaftlich Tätige) deutlich verkünden. Schon hier zeigt sich, dass der Wiener Aufklärer 100 Jahre nach Molière keineswegs mit fortschrittlicheren Gender-Rollen operiert.

Das Stück beginnt mit der Reiserückkehr des Barons Rheinthal in sein Haus, dessen Hauswirtschaft wegen der verschwenderischen, mäzenatischen Ausgaben seiner Gattin aus den Fugen ist. Der bildungsfeindliche Schwager Rheinthal fürchtet, dass die Baronin als Närrin zum Gespött der Stadt wird und ihre Familie ruiniert. Freilich wirkt dieser Schwager hier selbst lächerlich (und keinesfalls als molièrescher raisonneur, als Stimme der Vernunft), wenn er das ungestörte Gesellschaftsspiel über die gelehrten Interessen der Baronin stellt und sich blamiert, indem er ihre korrekte Theorie der um die Sonne kreisenden Erde für eingebildeten Wahnsinn hält. In der komödientypischen Liebeshandlung möchte die bildungsbeflissene Baronin ihre Tochter Henriette mit dem naseweisen Baron von Windheim verheiraten. Dabei liebt Henriette den Grafen Sternfels, der auch der Favorit ihres Onkels und Vaters ist. Die sprechenden Namen sind typisch für die Aufklärungskomödie; so taufte auch schon Molière seinen dreifach dummen Dichter Trissotin.

Die auftretenden (Pseudo-)Gelehrten erhalten üppige Bewirtungen und Gehälter als Mitglieder der von der Baronin gegründeten Privatakademie. Als Heilung seiner irregeleiteten Frau will der Baron Rheinthal nun Zwietracht zwischen den Gelehrten stiften. Denn diese seien ja notorisch streitsüchtig und würden so ihr wahres, wenig umgängliches Wesen schnell enthüllen. Der letztlich mehr am Reichtum als an Bildung interessierte Bewerber Windheim will für Henriette ein Gedicht auf ihre gelehrte Mutter machen. Die hält diese Aneignung fremder Ergüsse für Plagiate. Windheim erwidert, in der Gelehrtenrepublik nehme man es nicht so genau mit geistigem Eigentum und Diebstahl.

Zu Fall kommen die falschen Gelehrten aber nicht zuerst wegen ihrer hinfälligen Ansprüche auf Wissen oder Kunst, sondern weil die Bildungsobsession der Baronin ins ökonomische Desaster führt. Ihr Haushofmeister hat sich mit 1000 Gulden davongemacht, woran seine unzulängliche Beaufsichtigung durch die Baronin mitschuldig sei. Im Gegensatz zu seinem Bruder (einem aufklärungsfeindlichen Adeligen alter Schule, der seine Zeit mit Spielen statt mit Künsten und Wissenschaften zubringt) unterscheidet der Baron Rheinthal zwischen wahren, nützlichen Gelehrten, die durch ihren Fleiß Kenntnisse und Herzen erweitern, und den halbgebildeten Scharlatanen. Zudem erklärt Rheinthal – als Identifikationsfigur des Autors – man dürfe den geschätzten Musen nur jene Zeit opfern, die nach der Besorgung der Lebensnotwendigkeiten übrigbleibe.

Als bloß prätentiöse, eitle Pseudo-Gelehrte erweisen sich die Dichter Dramschmied und Schöpfius, wenn sie erbittert um den Vorsitz der neuen Akademie streiten. Prunk und Pomp sollen die Akademiesitzung, mit der die Baronin ihren Mann von ihrem Kreis und ihrer Sache überzeugen will, begleiten. Der Autor Dramschmied plant, den Entwurf seines (unvollendeten) Schauspiels „William mit dem hölzernen Fuß“ vor der Versammlung vorzulesen. Mit dem hier skizzierten Drama inszeniert von Ayrenhoff eine eher plumpe Parodie auf Goethes „Götz von Berlichingen“. Wenn der Akademiekreis die grotesk blutrünstigen, melodramatischen und exotischen Handlungen rühmt, zielt dies literatursatirisch auf die unregelmäßigen Shakespeare-Dramen und ihre Sturm und Drang-Nachfolger. Doch Zuspitzung und Lösung der Dispute werden letztlich keineswegs poetologisch entschieden, sondern durch Charakterlosigkeit und Kriminalität einiger Beteiligter. Baron Windheim enthüllt einen Brief von Kühnwitz, der die Baronin als dumme, eitle und leicht ausbeutbare Pseudo-Dichterin bezeichnet. Diese ist geschockt und der geplante feierliche Akademie-Aktus wird abgesagt, weil zwei der Akademiker mittlerweile im Gefängnis sitzen und Kühnwitz als treuloser Verräter verbannt wurde.

Im Finale wird die Heirat Henriettes mit Sterntal von Vater und Onkel durchgesetzt. Der Onkel diskreditiert den Pseudo-Gelehrten Windheim: „Nichts ist er als ein gelehrter Windbeutel, in Prosa und in Versen; alle seine witzigen Sächelchen spickt Er von andern ab; Er selbst ist nicht im Stand, etwas Gutes zu machen.“ Der Akademiesekretär wird durch ein Schreiben des Polizeiministers als gerade zu drei Jahren Zwangsarbeit verurteilter Publizist entlarvt. Denn er habe in ausländischen Journalen die verdientesten und angesehensten Männer des hiesigen Staates in ihrer Ehre angegriffen. Hier zeigt sich die Staatsnähe des Komödie schreibenden Offiziers auf unangenehme Weise: Ein offenbar politischer Schriftsteller wird im Lustspiel verstoßen, verlacht und verurteilt für seine staatsgefährdende Publizistik.

Zuletzt fordert der Onkel den Dichter Dramschmied auf, aus der Windheim-Affaire eine Sittenkomödie zu machen und sich dabei keineswegs um die Kunstrichter zu kümmern, die neuerdings nur rührende Lustspiele gelten lassen wollen – und die doch ihren Geschmack wie ihre Weltkenntnis ausschließlich aus Büchern beziehen würden. So wird abschließend jener Dramschmied, dessen wild-gewaltsamer Dramenentwurf vorher lächerlich gemacht wurde, vom konservativen, kunst- und gelehrtenfeindlichen Onkel akkreditiert als „gescheiter Kerl“. In dieser Aufwertung des modernen Künstlers durch den überkommenen Altadeligen liegt die ironische Schlussvolte der komödiantischen Zeitkritik.

Während Molières Sittenkomödie „Les Femmes savantes“ ein in eleganten Versen geformtes Meisterwerk der französischen Sprache war, kommt von Ayrenhoffs Adaptation als eher schnell geschriebene Prosakomödie daher. Die nun vorgelegte Wehrhahn-Ausgabe gibt den Text der Wiener Ausgabe von 1775 wieder. In seinem Nachwort erwähnt Matthias Mansky, der durch seine Dissertation als Kenner von Ayrenhoffs und des josephinischen Theaters ausgewiesen ist, dass sich Ayrenhoffs Literatursatire, in einer überarbeiteten 2. Auflage 1809, mit einigen Schlagworten auf die jüngsten, romantischen Tendenzen bezog. Immerhin waren seit 1808 einige der bedeutendsten romantischen Autoren (so Friedrich Schlegel, Adam Müller, Clemens Brentano, Joseph von Eichendorff) immer wieder für längere Zeit in Wien.

Mansky hält das Stück für bemerkenswert, nicht aufgrund seines (geringen) Aufführungserfolgs, sondern weil es beispielhaft für die Tendenzen der österreichischen Aufklärungsdramatik stehe und die Theaterdebatten im josephinischen Wien widerspiegele. Das Nachwort bringt Hinweise zu weiteren Werken des Autors, zur Lage der damaligen Wiener Theaterdebatte und zu Bezugspunkten der Literatursatire auf die Shakespeare-Manie des Sturm und Drang und auf die Regelablehnung der Romantiker. Hilfreich sind auch seine Hinweise auf die teils beifälligen, teils kritischen zeitgenössischen Rezensionen des Lustspiels.

Eine weitere Einordnung des Texte in die Geschichte der Misogynie und der Wissenssatire, die diesen in vieler Hinsicht nicht ganz zu Unrecht vergessenen Text kulturgeschichtlich bedeutsam machen könnte, bietet das knappe Nachwort nicht. Eine Verortung im zeitgenössischen Kontext deutscher Gelehrten- und Literatursatiren auf dem Theater müsste von Ayrenhoffs „Gelehrte Frau“ in Beziehung und Vergleich bringen etwa mit Luise Gottscheds „Die Pietisterey im Fischbeinrocke“ (eine Komödie um religiöse Normen, aber auch um Bildungsansprüche von Frauen; von 1736) und ihrem Einakter „Der Witzling“ von 1745. Lessings „Der junge Gelehrte“ fokussierte 1747 weit detaillierter und umfangreicher die lebenspraktisch dysfunktionalen Tendenzen und Themen eitler Gelehrter (und ihre Misogynie) als dies der behäbige Wiener Aufklärer vermochte. Quasi zeitgleich mit dem Wiener Stück schrieb Jakob Michael Reinhold Lenz seine schwarze Gelehrten- und Sozialkomödie „Der Hofmeister“ 1774, zudem auch seine grotesk komische Literaturbetriebssatire, das erst 1819 postum publizierte „Pandämonium Germanicum“. Diese wiederum entstand im Gefolge von Goethes polemischer Literaturkomödie „Götter, Helden und Wieland“ von 1774.

Der Schwung und die streckenweise abgründige Komik, mit der Wissensansprüche und Kunstformen in diesen satirischen Komödien verhandelt werden, machen sie zu heute noch lustiger Lektüre – die freilich ziemlich viel Wissen um die historischen Hintergründe voraussetzt. Auch wenn ihr Bühnenschicksal wohl beendet ist, das heißt eine heutige Aufführbarkeit all dieser Texte wegen ihrer datierten literatur- und wissenspolitischen Gemengelage nur schwer vorstellbar ist, bleiben sie doch kulturgeschichtlich bedeutsame, witzige Polemiken. Dagegen wirkt von Ayrenhoffs moralisierender Blick auf die weiblichen Wissensansprüche und seine Zurückweisung anti-klassizistischer Literaturformen ziemlich bieder.

Dank und Anerkennung gebühren dem Herausgeber Matthias Mansky und dem umtriebigen Hannoveraner Verlag Wehrhahn dafür – neben vielen anderen weithin vergessenen und schwer zugänglichen historischen Theatertexten – nun auch dieses Wiener Stück neu gedruckt zugänglich zu machen. Wenn auch von Ayrenhoff nicht unbedingt in den Vordergrund der Literatur- oder Theatergeschichte treten wird, so bleibt sein Lustspiel doch ein diskursgeschichtlich verwendbarer Baustein in der heute allemal aktuellen und anschlussfähigen Geschichte des Wissens, der Wissenssatire und in der Geschichte der Geschlechterrollen.

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Cornelius von Ayrenhoff: Die gelehrte Frau. Ein Lustspiel in fünf Aufzügen.
Mit einem Nachwort und herausgegeben von Matthias Mansky.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2014.
127 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783865253705

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