Wenn Blicke töten können

Silke Betscher schreibt eine Bildgeschichte des Kalten Krieges

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Silke Betscher wirkt an der Universität Bremen. Ihre Dissertation, „Von großen Brüdern und falschen Freunden“, legt dar, wie ost- und westdeutsche Illustrierte USA und Sowjetunion in Fotografien und Karten zeigten. Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich von 1945 bis 1949, durch das deutsche Interregnum der Besatzungszeit. Das Korpus umfasst 8.000 Abbildungen aus dem „Spiegel“, „Heute“, der „Neuen Berliner Illustrierten,“, der „Illustrierten Rundschau“ und allerlei anderen Magazinen.

Weil vieles in der Schwebe ist, bieten jene vier Jahre lohnendes Anschauungsmaterial, eine „Laborsituation“ visueller Diskursanalyse. Der Leser freut sich auf komplizierte Gemengelagen von alten (nazistischen) und neuen Ideologien, Borniertheit und Freisinn, Hoffnung und Resignation, Zensur und politischer Rücksichtnahme. Betscher zeigt, „wie der Kalte Krieg Einzug in den öffentlichen Diskurs in Deutschland“ hielt.

Dass Betscher, die lange in der Filmbranche gearbeitet hat, nicht allein wissenschaftliche Weisen des Ausdrucks kennen gelernt hat, erweist sich am exoterischen Duktus ihrer Prosa. Sie kommt ohne Stilblüten aus, gedankliche Pirouetten, terminologische Exzesse und begriffliche Nebelkerzen. Mag eine stilistische Gipfelwanderung nicht angestrebt sein, sind diese 400 Seiten doch lesbar. Das ist ungewöhnlich für geisteswissenschaftliche Schriften.

Wer sich der Arbeit des Begriffs nicht unterziehen mag, kann Bilder betrachten – viele Untersuchungsobjekte sind in schmuckem Schwarz-Weiß abgedruckt worden. Betschers Bildanalysen sind also am Gegenstand nachzuvollziehen. Erleichtert wird das Textverständnis durch vorbildliche Klarheit der Gliederung und Gedankenführung. Methodische Reflexionen bilden den Rahmen. Nach Bemerkungen über politische und pressegeschichtliche Zusammenhänge folgen zwei Hauptteile zu „Bildern der USA“ und der „Sowjetunion“. Dann werden Einzelgesichtspunkte herausgestellt: „Bilder der Großmächte als Besatzungsmächte“, „Berlin als symbolischer Ort“ und die Luftbrücke.

Es glücken Durchblicke, die gesellschaftliche Wirklichkeit hinter den Bildern erhellen, so das Verhältnis beider Deutschland zu eigenen und fremden „Führer“-Figuren. „Der Führerkult um Stalin“ wurde „zum zentralen Referenzpunkt innerhalb des deutsch-deutschen Diskurses […], da hierin die eigene Vergangenheit mitverhandelt werden konnte“. Auch Bilder Trumans waren ubiquitär, wenngleich von anderer Beschaffenheit. Man zeigte sich bemüht, „Trumans Nähe zum Volk“ abzubilden, zum Beispiel durch Nacktheit am Strand.

Betscher stellt gründlich, doch ohne Geschwätzigkeit, dar, wie Medien in Ost und West mit „Bildern und Gegenbildern“ aufeinander reagierten. Ihre „reaktive Mechanik“ brachte eine eigene Dialektik hervor, ließ die „Gegenberichterstattung doch indirekt die Berichterstattung der anderen Seite“ erkennen. Bemerkenswert bleibt, dass in antikommunistischer – und antikapitalistischer – Agitation während des Kalten Krieges Darstellungsformen nationalsozialistischer Propaganda fortgeschrieben wurden, trotz Neuanfangs, Umerziehung und sogenannter Entnazifizierung.

Besonderes Augenmerk gilt der Kategorie „Raum“. Weil während des Krieges und danach Grenzen, Staaten und Völker im Raum fast beliebig verschoben wurden, kam Karten besondere Bedeutung zu. Sie ermöglichten Orientierung, wo Raum zum „beweglichen, undefinierbaren Gebilde“ abgesunken war, das die Identität seiner Bewohner hartnäckig unterminierte.

„Visuelle Diskursanalyse“ wirft zahlreiche Fragen auf, und Betscher bringt wertvolle Klärungen an. Ein eigenständiges Kapitel ist „methodologischen Reflexionen“ gewidmet. Glücklicherweise erspart es dem Leser jene Grundsatzdebatten, die Dunkelheit des Ausdrucks als Tiefe des Gedankens missdeuten. Betschers methodische Betrachtungen sind bodenständiger Natur, wenngleich sie modischen Jargon um „Intermedialität“ zumindest zitieren. Sie gelten beispielsweise der Auswahl des Bildmaterials und Unterschieden zwischen Bildern und Sätzen. Die sprachliche Aussage sei „selten derart polyvalent wie das Bild“, weniger missverständlich, methodisch leichter zu bewältigen.

Mit seltener Redlichkeit werden die Grenzen der Darstellung bezeichnet. Weil alles Material unter einem Gesichtspunkt und „dichotomisch“ sortiert werde – im Schema Freund – Feind – bestehe die Gefahr der „Vereindeutigung“. Betscher fürchtet außerdem die eigene „‘Betriebsblindheit‘ gegenüber parallel verlaufenden und möglicherweise für die Deutschen der Nachkriegszeit bedeutsameren Diskursen“. Allein der Erkenntnisgewinn der „Großen Brüder“ wiegt solche Bedenken jederzeit auf. Wer sich für deutsche Geschichte der 1940er-Jahre interessiert, oder die Sprache der Bilder, kann stark profitieren.

Kein Bild

Silke Betscher: Von großen Brüdern und falschen Freunden. Visuelle Kalte-Kriegs-Diskurse in den deutschen Nachkriegsillustrierten.
Klartext Verlagsgesellschaft, Essen 2013.
420 Seiten, 39,95 EUR.
ISBN-13: 9783837507362

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