Kein lustiges Spiel

In „Funny Games“ vereint Bert te Wildt einen Essay über mediale Gewalt mit einer lesenswerten Interviewreihe

Von Martin BeckerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Becker

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit „Funny Games“ gelang Michael Haneke 1997 der Durchbruch. Der Film erzählt, wie zwei Männer eine Familie foltern und töten. Es handelt sich jedoch nicht um einen gewöhnlichen Horrorfilm. Stattdessen unterläuft er die Sehgewohnheiten und macht die Gewalt im Film unerträglich.

Diesen Film nimmt Bert te Wildt als Ausgangspunkt für seine Überlegungen zur medialen Gewalt. Von Haus aus Oberarzt in der Ambulanz der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie in Bochum beschäftigt sich te Wildt auch in anderen Werken mit Medien, beispielsweise in verschiedenen Aufsätzen zu Filmen (Literaturkritik Nr. 5 Mai 2009) oder in „Medialisation mit der Medienabhängigkeit des Menschen. Die grundsätzlich kritische Haltung des Autors wird auch im Essay deutlich. Man bekommt allerdings in den Eindruck, der Essay könne dem Film keine neuen Gedanken zu dem Thema hinzufügen. Am Ende lässt er eine alles entscheidende Frage offen.

Bert te Wildt führt die Unerträglichkeit von „Funny Games“ in seinem Essay darauf zurück, dass der Zuschauer sich nicht mit den Tätern identifizieren kann. Es gibt keine Erklärung für das Verhalten der beiden Männer, die ihre Handlung für den Zuschauer  entlasten würde. Der Autor geht davon aus, dass die Lust an der Gewalt mehr ist als nur die Spannung, die entsteht, wenn wir hoffen, dass die Opfer gerettet werden, weil wir mit ihnen leiden. Stattdessen habe auch der Zuschauer eine Lust an der Aggression, die die Täter im Film stellvertretend ausüben. Somit muss der Zuschauer von „Funny Games“ sich aber nur mit den Opfern identifizieren. Haneke gebe uns unsere Empathie zurück, die das Genre des Horrorfilms untergrabe.

Diese Interpretation des Films ist für te Wildt der Ausgangspunkt für weitere Überlegungen über das Verhältnis von medialer und physischer Gewalt. Für ihn ist Hanekes Film nicht nur eine Kritik am Genre des Horrorfilms, sondern an Medien insgesamt.

Auch in vielen Computerspielen agiere der Spieler aus der Perspektive des Täters und identifiziere sich mit dem Kämpfer. Der narrative Kontext sei dabei sekundär. „Hier gibt es in aller Regel keinen Kampf zwischen Gut und Böse, der auf eine Katharsis hinausläuft, keine Moral von der Geschichte.“ Te Wildt zieht psychologische Studien heran, die eine Korrelation zwischen der Herabsenkung der Empathie und dem Konsum von diesen so genannten „Ego-Shooter“-Spielen herstellen. Interessanterweise werden solche Spiele auch in der Armee zur Desensibilisierung verwendet, um die natürliche Hemmung des Menschen vor der Tötung seiner Artgenossen zu wegzukonditionieren. Dieser Effekt lässt sich sogar bei Soldaten mit posttraumatischen Störungen nachweisen, die mithilfe von Computerspielen nach ihrem Einsatz an der Front therapiert werden.

Dieser Empathieverlust zeigt sich auch in der virtuellen Kriegsführung durch Drohnen, die das Geschehen und das Leid der Opfer noch weiter distanzieren.

Einen ähnlichen Zusammenhang sieht te Wildt auch bei der medialen Darstellung der Folter, die im 21. Jahrhundert im Kino und TV an Bedeutung gewinne, man denke an Filme wie „Saw“, „Hostel“ oder die Serie „24“. Te Wildt führt die Beschäftigung mit Folter auf die Folgen des 11. September, den Irakkrieg und die Enthüllungen über Abu Ghraib zurück. Gerade letzterer Fall habe zwar eine Debatte über die Legitimation von Folter angestoßen, ohne aber die Opfer zu schützen, deren demütigende Bilder und Videos nach wie vor im Internet zu finden sind.

Te Wildt kommt zu dem Schluss, dass sich der Cyberspace immer weiter von der Realität entferne, so dass der echte Mensch immer mehr zum Objekt werde, mit dem man spiele könne.

Am Ende kommt te Wildt noch einmal auf Susan Sontag und ihren Essay „Regarding the pain of others“ zurück. Wie sie nimmt er den Rezipienten in die Verantwortung. „ ‚Wo ist er jetzt dein Held?’ fragt Paul am Ende Peter. In diesem Film gibt es keinen Helden. Vielleicht sind wir damit gemeint. Wir werden dazu aufgefordert, sich der virtuellen und konkreten menschlichen Realität zu bemächtigen. Jenseits des Heldentums können wir Verantwortung übernehmen für alles, was wir sehen.“

Das Ergebnis bleibt allerdings unbefriedigend. Die Frage danach, wie Verantwortung als Rezipient übernommen werden kann, bleibt Te Wildt schuldig. Sein Essay geht damit nicht über den Film hinaus und auch dieser wurde nie von einem breiten Publikum rezipiert; weder in Deutschland noch in den USA nach dem Remake von 2007. Dies mag einen fast hoffnungslos stimmen.

Auch die Interviewreihe, die sich an den Essay anschließt, thematisiert diesen Zweifel an der Wirksamkeit des Films. Hierfür hat Te Wildt Haneke und seine Schauspieler, von denen drei mittlerweile verstorben sind, bereits vor einigen Jahren interviewt.

Die Interviews sind insofern interessant, als dass hier deutlich wird, dass die Beteiligten zwar bei der Lektüre des Drehbuchs emotional stark affiziert waren, bei der Arbeit und während des Drehs dann aber die Professionalität die Oberhand behielt. Außerdem erhält man Einblicke in die Rezeption des Films, deren Geschichte bekanntlich kontrovers verlief.

So beschreibt Susanne Lothar, die die Mutter in „Funny Games“ spielt, die Premiere in Cannes: „Es gab eine Pressevorführung am Vormittag und ein französischer Kritiker verlor vollkommen die Beherrschung über den Film, schwitzte und weinte. Dem rutschte die Brille von der Nase und sein Mikrofon fiel herunter. Ich hätte den drücken können, weil der so reagiert hat, wie ich mir das gewünscht habe. Der war einfach fertig. Und es gab wohl auch Leute, die dann relativ schnell herausgegangen sind, den Film vollkommen grauenvoll und widerwärtig fanden. Der Film hatte große Anhänger, auch unsere einzelnen Leistungen fanden zum Teil große Anhängerschaft. Und zum Teil fanden die Leute es furchtbar. Das ist mir angenehmer, als wenn da nur gefeiert wird, weil der Film auch nicht nur gefallen soll. Der Film ist so konzipiert, dass er einen Stachel ins Fleisch schlägt und Leute mit einer neuen Erkenntnis entlässt.“

Insgesamt ist die Interviewreihe damit wesentlich interessanter als der Essay und lesenswert für jeden Fan von Hanekes Filmen.

Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz

Titelbild

Bert te Wildt: Funny Games. Über das Wechselspiel von realer und virtueller Gewalt.
Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2013.
157 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-13: 9783826052712

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