Uhrmensch unter Urmenschen

„Nolde und ich“ ist ein Südsee-Traum von Hans Christoph Buch

Von Thomas SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Christoph Buchs „Südsee-Traum“ ist auf zwei Ebenen angesiedelt. Auf der ersten setzt sich der Autor mit Emil Noldes Reise nach Papua-Neuguinea in den Jahren 1913/14 auseinander. In Bildern Noldes wie „Südseekrieger“ oder „Neu-Guinea-Wilde“ erkennt Buch die „schreckhaft geweiteten Augen der Menschen, aus denen Unverständnis und blankes Entsetzen über den Untergang ihres Volkes spricht“. Buch hat in seinen Traum eine zweite Erzählebene eingezogen, die seine eigene Recherche auf den Spuren Noldes mit einer Reportage über ornithologischen Gruppentourismus kombiniert. Zwei Fotos zeigen den Autor im Schulterschluss mit Papuas. Eingefügt ist ein fulminanter Abriss der Biografie von „Queen Emma“. Es handelt sich um die Frau, die August Engelhardt, dem Protagonisten von Christian Krachts historischem Roman „Imperium“, einst die Insel Kabakon zur Gründung eines „Sonnenordens“ verkauft hat.

Warum hat Emil Nolde Max Pechstein nicht besucht?

Während das Reichskolonialamt einem Schriftsteller wie Willy Seidel ein Ticket erster Klasse in den Pazifik spendiert hat, musste Nolde seine Reise selbst finanzieren. Buchs Nolde fährt ab Hong Kong auf einem Schiff, das aus Krachts „Imperium“ bekannt ist, auf der „Prinz Waldemar“. Das Schiff dampft durch das deutsche Kolonialreich in der Südsee. Auf den Karolinen geht 1914 auch der Maler Max Pechstein an Land. Buch gestattet seinem Nolde einen Besuch bei Krachts Engelhardt, dem „blonden Einsiedler“, der sich „nur von Kokosnüssen ernährte und das Paradies auf Erden gefunden zu haben glaubte“. Diese beiden Figuren haben vielleicht mehr gemeinsam, als Buch wahrnehmen möchte. Buch rezensiert Krachts Roman als historischen „Treppenwitz“, dessen Verfasser sich arrogant über die kulturellen Leistungen der Jahrhundertwende mokiere. Exemplarisch lässt Buch die Namen Wilhelm Dilthey, Max Weber, Albert Einstein und Robert Koch fallen. Besser wäre gewesen, Hermann Hesse oder Thomas Mann zu erwähnen, die in Krachts Roman auch eine nennenswerte Rolle spielen. Buch moniert ferner, dass Kracht „Max Pechstein von Palau nach Rabaul versetzt, wo der nie war, und ‚Makaken’ in den Bäumen lärmen lässt, die es dort nie gab“. Es ließe sich ergänzen, dass Engelhardt in Krachts Version zum Antisemiten mutiert, ohne dass sich dafür eine historische Quelle anführen ließe. Wenn Buch Kracht vorwirft, geografisch und historisch nicht genau gearbeitet zu haben, setzt er damit auch einen Maßstab zur Beurteilung seines eigenen Versuchs, Geschichte zu fiktionalisieren.

Harry Graf Kessler darf bei Buch im Gespräch mit Nolde unwidersprochen behaupten, dass sich Gauguin im „Paradies“ der Südsee die Syphilis geholt habe. Aber hat nicht Gauguin die Syphilis aus Europa mitgebracht? Kessler behauptet ferner, keiner wandle „ungestraft unter Palmen“ und schiebt die Frage nach: „hat Goethe oder Schiller das gesagt?“ Das ist eine ironische Prüfungsfrage, mit der dieses Buch Leser durchfallen lässt, die um eine Antwort verlegen sind, weil sie keine Gelegenheit hatten, die‚ „Wahlverwandtschaften“ zu lesen. Tatsache ist: Buch und Kracht wählen nicht nur ein ähnliches literarisches Sujet, Parallelen gibt es auch in der literarischen Verfahrensweise.

Buchs Kritik gilt einem Kolonialismus, der in krassem Widerspruch zu seinen „Humanitätslehren“ Strafexpeditionen inszeniert, um „Urmenschen“ zu verschleppen, nur weil „deutsche Pflanzer Arbeitskräfte“ brauchen. Er konfrontiert seinen Nolde auf Papua-Neuguinea mit Kolonisierten, die dem Tode geweiht sind und ihn mit „von panischem Entsetzen geweiteten Augen“ anstarren, traumatisiert vom Zusammenprall mit der Kolonialmacht. Buch zitiert Noldes Zivilisationskritik, die dieser im Zeichen des Primitivismus formuliert hat. Die Kolonisierung beschreibt der Maler in einem Brief vom März 1914 so: Der Missionar sterbe „den Märtyrertod“, ihm folgten „Soldaten mit scheinbarem Recht, ihn zu rächen“, dann „geschlechtskrankes Gesindel“ und habgierige Kaufleute. „Urzustände und Urvölker“, die im Einklang mit der „Urnatur“ leben, nichts davon bleibe der „Nachwelt erhalten“.

Buch kolportiert, dass Nolde 1914 auf der Rückreise von Neuguinea das Angebot ausgeschlagen habe, Max Pechstein, seinen „Weggefährten aus ‚Brücke‘-Zeiten“, in Palau zu treffen. Wenn der Autor keine Gründe für diese Entscheidung angibt, dann ist das eine symptomatische Leerstelle seines Buchs. Realhistorisch ist es so, dass Nolde meinte, Pechstein 1933 beim Propaganda-Ministerium kontrafaktisch als ‚Juden‘ anschwärzen zu müssen. Buch nimmt Nolde aber gegen den Vorwurf des Antisemitismus in Schutz. Zwar konzediert er eine Attacke auf Max Liebermann und eine gewisse antisemitische Paranoia. Doch sei der Maler auf seiner Südsee-Reise auch vom „Judenhass geheilt“ worden. Von einer solchen Kehre kann keine Rede sein. Der ambivalente Nolde war ein Kritiker des Kolonialismus und als Maler mag man ihn schätzen, aber zweifellos war er auch ein Nazi, nicht anders als der pseudosamoanische ‚Papalagi‘ Erich Scheurmann. Eine Zweitauflage sollte sich dieser Tatsache stellen.

Tropische Alpträume

Buchs eigene Reise in die Südsee bricht mit dem Gerstäcker-Klischee, dass ein Südsee-Mädchen ‘schlank gewachsen wie die Palme ihrer Wälder’ auftreten müsse. Auf einem Flughafen sucht den Autor der „Alptraum“ heim, mit einer „Samoa-Prinzessin verheiratet zu sein“. Denn: „Samoa hat die dicksten Frauen der Welt.“ Die tropische Szenerie Papua-Neuguineas nimmt er mit Alfred Döblin als „Berge, Meere und Giganten“ wahr. Auf seiner Suche nach dem Urmenschen entpuppt sich Buch selbst als Uhrmensch. Sein Zeitgefühl mag insofern durcheinander kommen, als er sich nicht immer genau an das Datum erinnern kann, doch die Uhrzeit notiert er beharrlich mit. Seine Aufmerksamkeit gilt weniger der sexuellen als der linguistischen Hybridisierung im Pazifik. Immer wieder registriert er die Poesie des Pidgin-Englisch, vom „Singsing“ zum „Pukpuk“ (Krokodil): „Wandern heißt auf Tok Pisin ‚throw away leg‘“. Am Ende seiner Geschichte findet sich Buch in einer Berliner Bundeswehrklinik wieder, deren Ärzte das entzündete Bein und das Leben des Autors retten. Fast wäre er an einer Blutvergiftung in Folge einer Schürfung am Knie gestorben, die er sich „unter Palmen“ zugezogen hat. In einem meisterhaften Blues bittet Buch sein Bein, ihn nicht im Stich zu lassen.

Eigentliches Glanzstück des Buchs ist die Novelle über „Queen Emma“. Sie stellt sich hundert Jahre nach ihrem Tod als „Emma Eliza Coe“ vor, Tochter eines amerikanischen Matrosen und einer samoanischen „Königstochter“. Dann erzählt sie höchstpersönlich ihre Karriere als erfolgreiche Geschäftsfrau in den deutschen Pazifik-Kolonien und hakt ihre unerhörten Männergeschichten ab. Das ist spannungsreicher Stoff, und hier läuft Buch trotz der Probleme mit dem linken Bein zu seiner Höchstform auf. In einer Anekdote, die das Verhältnis von Queen Emma zum Kapitän Agostino Stalio schildert, schießen ihr Leben, kolonialer Terror und antikolonialer Widerstand zusammen: „Als Stalio Ansprüche auf meinen Besitz geltend machte, übertrug ich ihm das Kommando einer Strafexpedition nach Utuan, wo die Angestellten Kleinschmidt, Schultze und Becker ermordet worden waren, und zur Insel Fead, wo Aufständische meinen Bruder John Mynderssee Coe erschlagen hatten. Bei diesem Einsatz kam Kapitän Stalio ums Leben, und ich ließ ihn im Garten meiner Residenz beisetzen“. Hier beweist Buch geradezu kleistsches Format.

Titelbild

Hans Christoph Buch: Nolde und ich. Ein Südseetraum.
AB - Die andere Bibliothek, Berlin 2013.
110 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783847730033

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